
Krisensituationen sind unbehaglich
12.02.2021
Sehr geehrter Herr Weber,
herzlichen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar, die Auseinandersetzung mit meinem Artikel und die Gelegenheit den ein oder anderen Aspekt herauszugreifen.
Ich bin ganz bei Ihnen: Was ich schreibe ist keine Raketenwissenschaft. Es gibt ein paar Aspekte, die in Krisenzeiten besonders hilfreich sein können, um das Unbehagen zu mildern - dazu gehören bspw. der Mut zu durchgreifenderen Entscheidungen, der Mut zur Transparenz und zu einer offenen Kommunikation und dem Mut, bekannte Pfade zu verlassen und neu zu denken.
Auch ich halte das Aufarbeiten oder Nachholen möglicher Versäumnisse in der Vergangenheit in Krisenzeiten für wenig sinnvoll. Die Dinge sind wie sie sind. Ein „wir hätten dies und jenes tun sollen“ bringt niemanden weiter. Insofern bin ich ganz bei Ihnen. Nicht nachholen was (vielleicht) versäumt wurde, sondern den Blick nach vorne richten und aufbauen was jetzt möglich ist und Nutzen stiftet und gerade deshalb braucht es in Krisenzeiten diese klare Entscheidungen die daraus hervorgehen. Man darf das hier vorgestellte Instrument nicht verstehen als "Prozess etablieren", sondern als schnelles pragmatisches Hilfsmittel.
Dies wird nach meinen Erfahrungen dann erreicht, wenn es gelingt, starke Persönlichkeiten für diese Führungsaufgabe auszuwählen, die eben diese positiven, motivierenden, Mut machenden und entscheidungsfreudigen Merkmale mitbringen. Ich bin mir nicht sicher, vermute aber, dass wir eine unterschiedliche Perspektive auf den Begriff „Führungskraft“ haben. Mir geht es im Artikel nicht um die Position (Führungskraft, Abteilungsleitung, Teamleitung, o.ä.) an sich, sondern vielmehr um die Haltung, die innere Einstellung und die dafür nötigen Merkmale dieser Persönlichkeit. Projektleiter/innen sind für mich ganz klar Führungskräfte auf Zeit auch wenn sie im Unternehmens-Organigramm meist nicht als solche Führungskraft dargestellt sind. Es ist ihre Aufgabe und Verantwortung, Menschen so zu führen, dass gemeinsam ein gutes Ergebnis entsteht.
„Gemeinsam" ist denn auch das Motto, das all unserem Vorgehen zu Grunde liegt und Grundlage ist der im Artikel skizzierten 5 Schritte. Eine kluge Unternehmensleitung schafft es, aus reinen Mitarbeitenden, echte „Komplizen“ zu machen. Komplizen, die aus eigenem Antrieb Dinge auf die Beine stellen und Ergebnisse erreichen wollen, ohne dass es einer Person bedarf die delegiert und vielleicht sogar kontrollieren oder überwachen muss. Komplizen, die mit den nötigen Befugnissen ausgestattet, eigenverantwortlich die zuvor gemeinsam vereinbarten Ergebnisse erreichen.
Unser Verständnis guter Projektführung haben wir u.a. in diesem Blog-Beitrag verfasst: https://blog.projektmensch.com/2021/01/19/wie-macht-die-das-ueber-wert-…
„Gemeinsam“ setzt denn auch eine offene und ehrliche Unternehmenskommunikation voraus, ein ehrliches Interesse am gemeinsamen Erfolg. Dies gilt für alle Hierarchie-Ebenen des Unternehmens. Ich habe selbst miterlebt, wie die 5 Schritte samt gut ausgewählter Komplizen, ein spritziges Anti-Krisen-Projektportfolio hervorgebracht haben und welche Eigendynamik offene und ehrliche Kommunikation entfalten kann. Ich hoffe sehr, dass dieses Vorgehen noch vielen weiteren Unternehmen eine Hilfestellung ist. Unter dieser Maßgabe habe ich diesen Artikel verfasst, möge er den Mut geben, ausgetretene (Denk-)Pfade zu verlassen.
Mit besten Grüßen
Tina Zimmermann
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etwas unbehaglich ...
11.02.2021
Sehr geehrte Frau Zimmermann,
danke für Ihren ausführlichen Artikel, der viele - und wichtige - operative Hinweise enthält, wie ein solches Krisenportfolio aufgebaut werden kann und was dabei beachtet werden sollte.
Dennoch beschleicht mich beim Lesen etwas Unbehagen, das ich im Folgenden versuchen möchte zu begründen:
1. Was Sie beschreiben, gilt m.E. für jedes ordentlich gemachte Projektportfolio-Mgmt. (PPM), nicht nur in Krisenzeiten. Insbesondere eine klare und kommunizierte Unternehmensstrategie, eine belastbare Liste aller Projekte ("Masterliste") und ein vereinbartes Vorgehen bei der Projekt-Priorisierung sind zweifellos elementare Bausteine jeder Unternehmensführung. Dass die Praxis meist anders ganz aussieht, weiss auch ich aus langjähriger Beratungserfahrung; aber ob das Nachholen des Aufbaus solch fundamentaler Führungselemente ausgerechnet in Krisenzeiten gelingt, scheint mir ein klein wenig fraglich.
Man könnte auch die umgekehrte Frage stellen: "Ist das bisherige Fehlen eines soliden PPM nicht vielleicht sogar die eigentliche Ursache dafür, dass das Unternehmen bei ungünstigen Randbedingungen, also in einer Krise, in ernste Schwierigkeiten kommt?"
2. Sie beschreiben im Absatz "Die Rolle der Projektleitung" vor allem deren Aufgaben. Diese lange Liste liest sich für mich wie eine Beschreibung einer eigentlichen Führungsrolle, und nicht wie etwas, was man (gerade in Krisenzeiten) an Mitarbeiter delegieren kann oder sollte. Zudem hapert es meiner Beobachtung in der Realität nicht nur an den beschriebenen Kompetenzen, sondern weitaus mehr an den erforderlichen Befugnissen (diese werden übrigens kaum je in irgendeiner Rolle beschrieben), welche nicht mit-delegiert werden. Das Team droht so sehr schnell zum zahnlosen Tiger zu werden. Aber man fühlt sich gut, denn man hat ja ein Krisenteam eingerichtet.
Kurz: ich denke, dass ein PPM immer in der Hand und Verantwortung von Führungskräften liegen sollte, denn im PPM findet die eigentliche Unternehmenssteuerung statt. Selbstverständlich können die Prozessgestaltung, die operative Vorbereitung usw. z.B. an ein fähiges PMO delegiert werden.
3. Sie schreiben eingangs "Dazu gehört auszuwählen, mit welchen Projekten die Zukunft des Unternehmens gesichert werden soll, ...".
Projekte dienen immer und ausschliesslich der Zukunftssicherung, d.h. Projekte, die dies nicht leisten, sollte es gar nicht erst geben, denn sie wären Liebhaberei o.ä. Auch hier sieht die Wirklichkeit meist ganz anders aus.
4. Zum Schluss noch eine andere Beobachtung aus meiner Beratungspraxis: stets arbeite ich mit dem Kundenteam darauf hin, für die Projektbewertung hinsichtlich Zielbeitrag (dieser entspricht vermutlich etwa Ihrer "Wirksamkeit") multifaktorielle Kriterien zu definieren. Und nicht typischerweise nur den Beitrag zum Umsatz, sondern auch die jeweiligen Projektbeiträge zum Kundennutzen, zur betrieblichen Effizienz usw. für die Priorisierung heranzuziehen. Alle diese Kriterien müssen sich dabei an die Unternehmensstrategie "anlehnen".
Bei diesem Vorgehen stelle ich immer wieder fest, dass es eine solche Strategie entweder gar nicht wirklich gibt, oder dass sie "geheim" ist. Dann wird es höchste Zeit, das ebenfalls nachzuholen - und mit der Krisenbewältigung wird es dann erst recht schwierig ...
Beste Grüsse
W. Weber