Agil einfach skalieren: So entwickelte die R+V Versicherung ihr Kundenportal Mehr Fokus und Motivation für selbstorganisierte Teams dank der Marktplatz-Methode

Mehr Fokus und Motivation für selbstorganisierte Teams dank der Marktplatz-Methode

Sie haben ein größeres Projekt und möchten, dass die Teams ganz fokussiert und ungestört arbeiten? Bei der Marktplatz-Methode werden Aufgaben im Gesamtteam angeboten, Freiwillige formen ein Team und bearbeiten die Aufgabe selbstorganisiert.

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Agil einfach skalieren: So entwickelte die R+V Versicherung ihr Kundenportal Mehr Fokus und Motivation für selbstorganisierte Teams dank der Marktplatz-Methode

Mehr Fokus und Motivation für selbstorganisierte Teams dank der Marktplatz-Methode

Sie haben ein größeres Projekt und möchten, dass die Teams ganz fokussiert und ungestört arbeiten? Bei der Marktplatz-Methode werden Aufgaben im Gesamtteam angeboten, Freiwillige formen ein Team und bearbeiten die Aufgabe selbstorganisiert.

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Entstehung und Motivation

Im Winter 2016/2017 stand das Kundenportal-Projekt der R+V Versicherung vor der Herausforderung, das Projekt auf agile Methoden umzustellen, um die Effektivität und Effizienz des Projekts zu steigern. Das Projekt hatte ca. 70 Beteiligte und fand in einem fachlich und technisch komplexen Umfeld statt.

Unsere ersten Versuche mit Scrum und stabilen Teams brachten nicht die gewünschten Erfolge. Wir entschieden uns im Projektkernteam dazu, ein neues Vorgehen zu entwickeln. Meine Rolle im Projekt war die des IT-Projektleiters. Im folgenden Artikel möchte ich Ihnen die Marktplatz-Methode und unsere Erfahrungen damit vorstellen.

Unsere Anforderungen an die Methode waren:

  • den Fokus auf die wichtigsten Themen sicherstellen, um diese schnell und in hoher Qualität ausliefern zu können,
  • die Abhängigkeiten zwischen den Teams vollständig zu vermeiden (idealerweise), um die Umsetzungsgeschwindigkeit zu erhöhen und die Komplexität zu reduzieren,
  • sie sollte leicht anzuwenden und zu verstehen sein, auch für mit agilen Methoden unerfahrene Personen.

So funktioniert die Marktplatz-Methode

Die Marktplatz-Methode ist ein sehr einfacher Einstieg in das agile Arbeiten und leicht vermittelbar: Wir konnten den Kern der Methode in ca. 45 Minuten an das 70 Personen große Projektteam vermitteln (mehr dazu später). Die Methode besteht aus insgesamt sieben Schritten (siehe auch Bild 1):

  1. Priorisieren Sie – im Sinne einer Reihenfolge zur Abarbeitung – alle zu erfüllenden Anforderungen an das Projektergebnis in einem Backlog.
  2. Versammeln Sie das gesamte Projektteam in einem Raum (das ist "der Marktplatz").
  3. Präsentieren Sie den ersten Backlog-Eintrag und erklären Sie, was gemacht werden soll.
  4. Fragen Sie, wer an dieser Aufgabe arbeiten möchte. Es melden sich Freiwillige, die ein Team bilden. Die Mitarbeiter:innen entscheiden selbst, woran sie arbeiten (in Absprache mit dem Rest des Projektteams).
    Dafür gibt es zwei Regeln:
    • Jede:r darf nur in einem Team arbeiten.
    • Jedes Team arbeitet nur an einer Aufgabe.
  5. Wiederholen Sie die Schritte 3 und 4 so lange, bis alle zu einem Team gehören.
  6. Lassen Sie alle Teams ungestört arbeiten, bis deren Aufgaben fertig, d.h. ausgeliefert, sind,
  7. Wiederholen Sie den Marktplatz in regelmäßigen Abständen (z.B. alle zwei oder vier Wochen). Nur wer mit seiner Arbeit fertig ist, darf neue Aufgaben übernehmen (manchmal übernehmen einzelne Teammitglieder schon etwas Neues, wenn sie ihren Beitrag in einem Team geleistet haben).
Der Marktplatz hat einen sehr einfachen Ablauf und wenige grundlegende Regeln. Die Ausgestaltung darüber hinaus ist immer projektspezifisch.
Bild 1: Der Marktplatz hat einen sehr einfachen Ablauf und wenige grundlegende Regeln. Die Ausgestaltung darüber hinaus ist immer projektspezifisch.

Nachfolgend erfahren Sie, wie wir die Marktplatz-Methode in dem Kundenportal-Projekt eingesetzt haben. Am Ende des Artikels gehe ich auf unsere Erfahrungen mit der Methode ein und vergleiche sie abschließend mit den "Mission Teams". Das ist eine Methode mit einem ähnlichen Ansatz, die bei Zalando parallel zu und unabhängig von uns entwickelt wurde. Sie kennen Sie vielleicht von der vergangenen PM Welt.

Entwicklung der Methode im Zuge einer Portal-Implementierung

Ausgangslage, Kontext und Scope des Projekts – Motivation für den Einsatz der Marktplatz-Methode

Das Ziel des Projekts war das Entwickeln einer ersten Version unseres Kundenportals, in das die wichtigsten Privatkundenprodukte aufgenommen werden sollten (z.B. Kfz-, Hausrat-, Haftpflicht- und Lebensversicherungen). Unser Problem war die notwendige Matrixorganisation: Wir mussten die jeweiligen Expert:innen der verschiedenen Fachbereiche beteiligen. Zusätzlich kamen Entwickler:innen aus sieben verschiedenen Technologien zusammen, vom Bestandssystem und Dokumentenbelieferung über die Datenbanken, Middleware und Prozesssteuerung bis hin zu zwei Portaltechnologien. Wir standen vor der Frage: Wie bilden wir unter diesen Voraussetzungen stabile Teams für agiles Arbeiten?

Beim vierten Entwurf des Teamzuschnitts dachten wir uns im Kernteam der IT-Projektleitung "Diese Variante könnte funktionieren!": Die Teams sollten interdisziplinär sein, um für sich (oder zumindest ohne viel Zuarbeit) lieferfähig zu sein – also von der fachlichen Konzeption über die Implementierung und das Testen bis hin zur Einführung alles erledigen können. Zudem wollten wir stabile Teams entwerfen. Denn nur in einem stabilen Team finden Menschen eine Heimat im Job, zudem werden die Abläufe immer routinierter, eingeübter und damit effektiv und effizient.

Unser ca. 70-köpfiges Projektteam bestand etwa zur Hälfte aus IT-Entwickler:innen, die andere Hälfte kam aus dem Fachbereich. Uns war klar, dass wir über den Verlauf des Projekts immer wieder neue Fachexpert:innen benötigen würden – je nachdem, welche Versicherungsprodukte gerade an der Reihe waren, in das Portal aufgenommen zu werden. Die Fachseite konnten wir in den Teams also nicht stabil halten.

Als stabiles Kernteam mussten also die IT-Entwickler:innen dienen. Als wir unseren vierten Teamzuschnitt neben das Backlog hielten und am Whiteboard durchspielten, ob sich die Anforderungen jeweils einem Team zuordnen ließenn, wurde uns zum wiederholten Male klar, dass einige der Expert:innen aus einem der anderen Teams zur Umsetzung benötigt werden würde. Dies lag an der Heterogenität ihrer Skills, kombiniert mit der Vielzahl der einzubindenden IT-Anwendungen.

Wir hätten dieses Zuarbeiten über Teamgrenzen hinweg planen und managen können. Aber das wollten wir vermeiden, weil uns das Zeit sowie am Ende wahrscheinlich auch Qualität gekostet hätte – und die Menschen im Projekt viele Nerven. Unser wichtigstes Ziel war es, Teams aufzustellen, die hochfokussiert, ungestört und damit schnell an einer Aufgabe arbeiten konnten. Die Chance auf diesen Fokus, die damit verbundene Geschwindigkeit und die Qualität war uns mehr wert als die Stabilität der Teams, die wir ohnehin nicht hätten durchhalten können.

Weiterhin waren und sind wir der Meinung, dass die Mitarbeiter:innen selbst am besten einschätzen können, welche Aufgaben sie übernehmen können. Schließlich funktioniert es in vielen Scrum-Teams, dass die Teammitglieder sich die Aufgaben selbstorganisiert aufteilen. Warum also nicht auch eine Ebene größer? Mit diesem Entschluss war der Marktplatz mit seinen flexiblen Teams geboren.

Die Rollen der Marktplatz-Methode

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