Sünden im Projekt Kein Ersatz für Spitzenkräfte
Sünden im Projekt Kein Ersatz für Spitzenkräfte
Es passiert immer wieder, dass wichtige Teammitglieder das Projekt plötzlich verlassen - sei es, dass sie kündigen, entlassen werden oder für längere Zeit erkranken. Eine unbesetzte Schlüsselposition gefährdet das gesamte Projekt. Manche Projektleiter würden in dieser Situation in ihrer Verzweiflung am liebsten die Projektleitung abgeben. Doch da dies unweigerlich das vorzeitige Karriereende bedeuten würde, ist das keine Option. Stattdessen muss der Projektleiter einen Weg finden, um den Ausfall zu kompensieren und das Projekt doch noch "on time", "on budget" und "on target" abzuschließen.
Ich bin dann mal weg
Ein Beispiel: Eine Bank in Osteuropa, die ausschließlich Unternehmen als Kunden hatte, begann im Herbst 2003, ein Privatkundengeschäft aufzubauen. Die Handelsbank hatte für Privatkunden keine IT, keine Konten, Produkte, Prozesse, Filialen und auch keine entsprechend qualifizierten Mitarbeiter. All dies musste erst entwickelt und aufgebaut werden. Im Projektteam arbeiteten 20 interne und viele externe Mitarbeiter. Die Externen kamen u.a. aus der österreichischen Bankzentrale, von IT-Providern und Architekturbüros. Mir wurde als Vorstand der Auslandstocher die Projektleitung übertragen. Der Zeitplan war sehr eng: Ende März 2004 sollten drei Filialen gleichzeitig eröffnet werden – als Marketing-Highlight zur Markteinführung. Der Termin für die Eröffnungsveranstaltungen war unverrückbar.
Im Projektteam gab es drei Schlüsselpositionen:
- Abteilungsleiterin des Zahlungsverkehrs: Sie war zuständig für die Produktentwicklung und die Koordination der IT-Bausteine. Außerdem verantwortete sie die Konzeptionierung der Einstellung und Ausbildung neuer Mitarbeiter für den Privatkundenbereich.
- Leiterin der Organisationsabteilung: Sie war verantwortlich für die Definition aller Prozesse im Privatkundenverkehr.
- Leiter der Logistikabteilung: Er verantwortete den Aufbau der Infrastruktur, insbesondere die Koordination des Baus und der Inneneinrichtung der neuen Filialen.
Eines Morgens rief mich die Abteilungsleiterin des Zahlungsverkehrs an und informierte mich, dass sie heute nicht zur Arbeit komme, sie sei krank. "Das tut mir leid. Von hier aus gute Besserung", sagte ich und fragte, wann sie voraussichtlich wiederkommen werde. "Gar nicht mehr. Ich kündige nämlich gleichzeitig." Sie hatte ein attraktives Job-Angebot erhalten und angenommen.
Die Projektsünde
Spitzenkräfte und Personen in Schlüsselpositionen sind für das Projekt erfolgskritisch. Wer sich als Projektleiter nicht gegen den Ausfall dieser Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen absichert, begeht eine Projektsünde. Die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls ist je nach Projekt, Unternehmen und Land unterschiedlich - aber immer gegeben.
In Entwicklungs- und Schwellenländern, besonders in Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC-Staaten), ist es gängig, dass Führungskräfte das Unternehmen kurzfristig verlassen. Es gibt chinesische Hierarchieebenen, die eine jährliche (!) Fluktuation von über 50% aufweisen. Dennoch haben viele Projektteams in Schwellenländern ihre Schlüsselpositionen nicht abgesichert. Ein schwerer Fehler. Wenn ein Projektleiter weiß, dass er mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit einen Leistungsträger verlieren wird, muss er sich absichern.
In den USA gilt das Hire&Fire-Prinzip. Hier passiert es oft, dass ein Linienvorgesetzter von heute auf morgen einem Mitarbeiter kündigt - selbst wenn dieser Leistungsträger eines strategischen Projekts ist. Linienvorgesetzte werden für die Ergebnisse bezahlt, die ihre Abteilung erzielt; die angehängten Projekte sind ihnen in der Regel egal.
Europa ist nicht besser: Ich erlebe immer wieder, dass das Top-Management Experten aus laufenden Projekten abzieht - selbst in kritischen Phasen. Der Experte wird dann einem anderen Projekt zugeteilt, oft einem Steckenpferd-Projekt eines Vorstands. Dazu kommt die Burnout-Quote. Manche Unternehmen sind für ihre "Durchlauferhitzer"-Qualitäten bekannt. Hier machen Leistungsträger höchstens ein halbes Dutzend Projekte mit, dann brennen sie aus. Eines Tages melden sie sich krank und kommen nicht mehr zurück. Meist trifft ein solcher Ausfall den Projektleiter unvorbereitet. Das Projekt verpasst dann wegen des Ausfalls Meilensteine, liefert mindere Qualität ab, überzieht den Endtermin oder scheitert.
Erste Hilfe
Wer einen Leistungsträger verliert und keinen Stellvertreter für ihn hat, muss Krisenmanagement betreiben. Das erste Gebot lautet: Handeln Sie so schnell wie möglich! Es geht nicht um Stunden, sondern um Minuten. Ein befreundeter Projektleiter erhielt um 9 Uhr morgens die Meldung, dass ein wichtiges Teammitglied ausfiel. Er setzte die Krisensitzung seines Teams auf 14 Uhr an, um Zeit zu haben, sich einen Notfallplan auszudenken, Ersatz zu suchen und Arbeitspakete neu zu verteilen. Das war ein Fehler. In einer Krise kommuniziert man nicht erst dann, wenn man die Lösung hat. Man kommuniziert, wenn die Krise ausbricht. Um 14 Uhr traf er im Sitzungsraum nur die Hälfte seines Teams an.
Was war geschehen? Zwischen 9 Uhr und 14 Uhr hatte sich das Gerücht verbreitet, dass man das Projekt auflösen werde. Die Teammitglieder wollten ihre Zeit nicht für eine unsichere Sache verschwenden und nahmen die Gelegenheit wahr, sich endlich um dringende, liegengebliebene Arbeiten in der Linie zu kümmern. Sie mussten nicht fürchten, dass ihr Fernbleiben vom Meeting Konsequenzen hatte, da der Projektleiter per Definition keine disziplinarische Befugnis hat - im Gegensatz zum Linienvorgesetzten. Eine "Fahnenflucht" im Projekt kann theoretisch zu Sanktionen führen, in der Praxis jedoch passiert das so gut wie nie. Eine Ausnahme sind Vorstandsprojekte. Aus diesen würde kein vernünftiger Mensch aussteigen.
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