Viele haben es selbst schon erlebt: Sie werden in einer Diskussion mit unfairen Mitteln angegriffen. Statt solche Situationen wehrlos hinzunehmen oder es dem Gegenüber mit gleicher Münze heimzuzahlen, können Sie wie die Judoka agieren: Judo ist eine Kampfkunst zur Selbstverteidigung durch überraschendes Verhalten und geschicktes, intelligentes sowie flexibles Kontern. Ihr Prinzip lautet "Siegen durch Nachgeben".
Eine Eskalation kostet Kraft sowie Nerven und ist riskant, schließlich kann eine solche Episode ein Verhältnis langfristig vergiften. Zudem kennen Sie oft die Gründe eines Angriffs nicht. Evtl. ist Ihr Gegenüber lediglich gestresst, hat schlechte Laune oder versucht auf ungeschickte Art und Weise, mit Ihnen in Kontakt zu treten oder eine unangenehme Gesprächssituation aufzulösen.
Wenn Sie mit aggressiven Äußerungen konfrontiert werden, sollten Sie daher dem Impuls widerstehen, zurückzuschlagen, um eine verbale Prügelei zu vermeiden. In diesem Beitrag stelle ich Ihnen Techniken vor, mit denen Sie unfaire Angriffe mit wenig Aufwand abwehren können.
So funktioniert rhetorisches Judo
Die Judoka nutzen die Angriffsenergie der Gegenseite, um diese zu kontrollieren und zu neutralisieren. Durch geschickte Bewegung, Positionierung und Technik kann sich die Person, die angegriffen wurde, schützen und gleichzeitig eine günstige Position für einen Konterangriff erreichen.
Beim rhetorischen Judo ersetzen Argumente die Abwehrbewegungen. Die rhetorischen Angriffe werden durch geschickte Gegenargumente abgewehrt und das Gegenüber (also das Gesprächsgegenüber) wird in der Argumentation irritiert. Dies gibt Ihnen die Gelegenheit, das Gespräch sachlich weiterzuführen.
Daran erkennen Sie einen Angriff
Bevor Sie jedoch einen rhetorischen Angriff abwehren können, müssen Sie ihn als solchen erkannt haben. Ein Hinweis dafür, dass Sie jemand angreift, ist, dass Sie sich emotional angegriffen fühlen und sofort zurückschlagen wollen. Oft läuft dann ein unbewusster Mechanismus ab, der in einem rhetorischen Schlagabtausch gipfelt. Im Folgenden stelle ich Ihnen einige typische manipulative oder destruktive Taktiken vor, die dazu dienen, jemanden zu provozieren oder gar zu dominieren:
- Spott äußert sich in verächtlichen Bemerkungen, die darauf abzielen, das Gegenüber lächerlich zu machen oder zu erniedrigen, z.B. "Du machst immer Fehler, das ist erbärmlich".
- Abwertende Kommentare dienen der Herabsetzung, indem sie dem Gegenüber Integrität oder Kompetenz absprechen, wie z.B. "Du bist unfähig, diese Aufgabe zu erledigen".
- Persönliche Angriffe bestehen aus beleidigenden oder abwertenden Kommentaren, die dazu dienen, die Persönlichkeit des Gegenübers zu diskreditieren oder zu demütigen. Insbesondere durch Kommentare über das Aussehen, die Kleidung oder die Persönlichkeit des Gegenübers. Beispiel: "Du bist unprofessionell".
- Arrogantes Verhalten zeigt sich in überheblichen oder selbstgefälligen Äußerungen, die oft ein Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen zum Ausdruck bringen. Diese Äußerungen können herablassend, respektlos und beleidigend sein und zielen darauf ab, die andere Person herabzusetzen oder zu demütigen. Beispiel: "Warum verstehst du das nicht? Offensichtlich bist du zu dumm."
- Diffamierung ist das Verbreiten falscher oder beleidigender Gerüchte oder Behauptungen, um jemanden vor anderen (oder hinter dessen Rücken) in einem schlechten Licht darzustellen oder dessen Ruf zu schädigen. Beispiel: "Man sagt ja von dir, dass du nie fleißig warst."
- Verhöhnung von Schwächen oder Fehlern: Betonung von Fehlern, Schwächen oder negativen Eigenschaften, um die andere Person zu demütigen oder zu verletzen, z.B. "Sie reden, als hätten Sie gar keinen Schulabschluss."
Stoppen Sie das Spiel
Wenn Sie mit solchen Äußerungen konfrontiert werden, sollten Sie dem Impuls widerstehen, zurückzuschlagen, um eine verbale Prügelei zu vermeiden. Lenken Sie stattdessen mithilfe von rhetorischem Judo die negative Energie um.
Der erste Schritt dabei ist, dass Sie das Spiel erkennen und stoppen. Signalisieren Sie Ihrem Gesprächsgegenüber, dass Sie bereit sind, sich zu verteidigen, z.B. so: Straffen Sie Ihre Haltung und wenden Sie sich Ihrem Gegenüber zu. Nehmen Sie Blickkontakt auf und halten Sie diesen selbstbewusst. Vermeiden Sie ein verlegenes Lächeln oder eine geknickte Haltung mit eingezogenem Kopf.
Techniken zum Kontern
Alle Techniken beruhen auf dem gleichen Prinzip: Sie lassen den rhetorischen Angriff ins Leere laufen oder drehen ihn so um, dass seine Wirkung verpufft. Wirksame Techniken sind u.a.:
- Schweigen: Bei dieser Technik vermeiden Sie es bewusst und demonstrativ, die Äußerung mit einer Antwort zu würdigen. Demonstrieren Sie durch eine aufrechte Körperhaltung, dass Sie nicht verlegen sind. Falls Sie den Impuls zu reagieren verspüren, unterdrücken Sie diesen und schweigen Sie. Dann widmen Sie Ihre Aufmerksamkeit anderen Themen. Sie können Ihr Schweigen durch Mimik und Gestik aktiv gestalten. Wie z.B. durch ein erstauntes oder trauriges Gesicht, durch Kopfschütteln oder völlig neutral ohne jede Regung. Auf die Bemerkung: "Du machst immer Fehler, das ist lächerlich" schweigen Sie und machen ein erstauntes Gesicht. Anschließend nehmen Sie Ihren Gesprächsfaden wieder auf. Damit machen Sie dem anderen eine Art Friedensangebot.
- Zweisilbige Kommentare: Statt zu schweigen, kommentieren Sie den Angriff. Der bewährteste zweisilbige Kommentar ist: "Ach was!" Diesen sollten Sie bewusst und aus vollem Herzen machen. Auf die Bemerkung "Du bist unfähig, diese Aufgabe zu erledigen" antworten Sie mit einem ironischen "Ach was!" und gehen zu Ihrem Thema über. Weitere zweisilbige Kommentare sind: "So so!", "Ah ha!", "Oh je!", "Na nu?"
- Entgiftende Gegenfragen: Greifen Sie das Wort auf, das Sie besonders getroffen hat, indem Sie nachfragen, was dieses Wort bedeutet, oder fragen Sie nach, was die gesamte Aussage bedeuten soll. Beispielsweise können Sie bei dem Angriff "Du bist unprofessionell" fragen: "Was verstehst du unter Unprofessionalität?" Indem Sievnachfragen, geben Sie Ihrem Gegenüber die Gelegenheit, seine Aussage zu relativieren und zu konkretisieren und schaffen somit eine Basis für ein sachliches Gespräch.
- Ironische Komplimente: Mit dieser Technik verstärken Sie die Energie des Angriffs. Bildlich gesprochen rennt die gegnerische Person auf Sie zu, und Sie geben ihr zusätzlich noch einen Schubs. Rhetorisch verstärken Sie das Argument Ihres Gesprächsgegenübers. Auf den Angriff "Warum verstehst du das nicht? Offensichtlich bist du nicht klug genug, um es zu verstehen" ist ein passendes Kompliment "Habe ich ein Glück, dass ich mit dir jemanden an meiner Seite habe, der mir das erklären kann" oder "Durch diese Bemerkung erkenne ich, dass du dich mit dem Thema gut auskennst." Weitere Komplimente sind: "Du weißt eben, was Sache ist!", "Am meisten mag ich die liebenswerte Art, mit der du Kritik anbringst."
- Umleitungen: Bei einer Umleitung antworten Sie Ihrem Gegenüber, ignorieren aber dessen Äußerung und wechseln das Thema. Die Äußerung "Man sagt ja von dir, dass du nie fleißig warst" kann folgendermaßen umgeleitet werden: "Oh, wo Sie das gerade ansprechen, fällt mir ein …" und dann leiten Sie zu einem anderen Thema über. Mit der Umleitung wird die angreifende Person aus dem Konzept gebracht, und Sie zwingen sie in Ihren Gesprächsfluss.
- Unpassende Sprichworte: Hier antworten Sie mit einem Sprichwort, das zunächst vernünftig klingen mag, aber nichts mit dem Thema zu tun hat, mit dem Sie angegriffen wurden. Ihr Gegenüber sucht erfolglos nach einer logischen Erklärung, was es aus seinem Konzept bringt. Dann können Sie das Gespräch in Ihrem Sinne fortsetzen. Beispiel: "Sie reden, als hätten Sie gar keinen Schulabschluss." Antwort: "Meine Großmutter sagte immer: 'Stille Wasser sind tief.'"
Es geht hier darum, den Angriff möglichst effizient abzuwehren, um das Gespräch sachlich fortsetzen zu können. Nehmen Sie deshalb, nachdem Sie den Angriff gestoppt haben, wieder den eigentlichen Gesprächsfaden auf, als ob nichts geschehen wäre.
Darauf sollten Sie achten
Ergreifen Sie bei Ihrem Gegenangriff bestimmt das Wort und signalisieren Sie Dominanz durch eine aufrechte Körperhaltung und einen festen Blick. Lassen Sie sich jedoch nicht provozieren und schlagen Sie nicht unterhalb der Gürtellinie zurück. Bewahren Sie Ruhe, aber machen Sie deutlich, dass Sie sich nicht auf eine rhetorische Prügelei einlassen.
Falls Ihr Gegenüber Ihr Angebot zur Deeskalation ignoriert und Sie weiter provoziert, bleiben Sie dennoch ruhig und behalten Sie Ihre offene Körperhaltung bei. Versuchen Sie weitere Angriffe mit einer der anderen der obigen Techniken abzuwehren.
Sollte das rhetorische Judo nicht helfen, können Sie auf die Metaebene wechseln. Schildern Sie, wie die Bemerkung auf Sie gewirkt hat. Beispiel: "Deine Bemerkung hat mich getroffen. Ich möchte gerne wissen, was dich dazu gebracht hat, so etwas zu sagen" (siehe auch "Metakommunikation: Wechsel auf die Metaebene").
Fazit
Dieser Beitrag soll Sie dazu anregen, rhetorisches Judo auszuprobieren. Wichtiger als eine Vielzahl von Techniken zu kennen, ist die Fähigkeit, spontan auf unfaire Äußerungen zu reagieren. Selbst wenn Ihnen im Nachhinein einfällt, dass Ihr Gegenangriff nicht optimal war: Die Hauptsache ist, dass Sie gekontert haben – Schnelligkeit ist wichtiger als Perfektion. Aber nutzen Sie dies auch als Chance, sich auf einen nächsten Angriff vorzubereiten, indem Sie überlegen, wie Sie sich besser hätten wehren können. Hier ist Ihre Kreativität gefragt. Kontern Sie auch Angriffe gegen Ihre Kolleg:innen. Dadurch trainieren Sie Ihre Fähigkeit, gute Gegenstrategien zu entwickeln, und verbessern nebenbei Ihr internes Standing. (dv)
ich würde es begrüßen, wenn…
14.03.2025
ich würde es begrüßen, wenn Sie auf diese Genderei verzichten. Das erschwert das Lesen.