Der Schweizer Projektstandard startet international durch HERMES 5 – die Schweizer Projektführungsmethode

HERMES 5, der Schweizer Standard für Projektmanagement, unterstützt in seiner aktuellen Version 5.1 nicht mehr nur IT-Projekte, sondern grundsätzlich alle Projektarten. Mit der Wahl des deutschen TÜV SÜD als neuer Zertifizierungsstelle wird zugleich der Anspruch deutlich, auch über die Landesgrenzen der Schweiz hinaus zu wirken. Dr. Peter Duwe skizziert die neue Ausrichtung von HERMES 5 und unterzieht sie einer kritischen Bewertung. Über die HERMES 5-Zertifzierungen gibt er einen Überblick und vergleicht sie mit den Zertifizierungen der anderen relevanten PM-Standards.

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Der Schweizer Projektstandard startet international durch HERMES 5 – die Schweizer Projektführungsmethode

HERMES 5, der Schweizer Standard für Projektmanagement, unterstützt in seiner aktuellen Version 5.1 nicht mehr nur IT-Projekte, sondern grundsätzlich alle Projektarten. Mit der Wahl des deutschen TÜV SÜD als neuer Zertifizierungsstelle wird zugleich der Anspruch deutlich, auch über die Landesgrenzen der Schweiz hinaus zu wirken. Dr. Peter Duwe skizziert die neue Ausrichtung von HERMES 5 und unterzieht sie einer kritischen Bewertung. Über die HERMES 5-Zertifzierungen gibt er einen Überblick und vergleicht sie mit den Zertifizierungen der anderen relevanten PM-Standards.

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Die Schweizer Bundesverwaltung hat ab 1975 mit HERMES bereits sehr früh eine eigene Projektführungsmethode für IT-Projekte entwickelt und standardisiert. Eigentümerin von HERMES ist die Schweizerische Eidgenossenschaft, vertreten durch das Informatiksteuerungsorgan Bund (ISB). Im April 2013 wurde mit HERMES 5 eine grundlegend überarbeitete Version dieser Methode der Öffentlichkeit vorgestellt (Duwe und Tschanz, Projekt Magazin 07/2013). Zugleich wurde der TÜV SÜD als neue Zertifizierungsstelle mit der Durchführung der Personen-Zertifizierung beauftragt. In folgendem Beitrag skizziere ich, was das neue HERMES 5 bietet und gebe Ihnen einen Überblick, wie sich die Akzeptanz von HERMES 5 und seiner Zertifizierungen seither entwickelt hat.

Mehr als nur IT: Produktentwicklung und OE-Projekte

HERMES war ursprünglich als Vorgehensmodell für die Bereitstellung von Informationsverarbeitungssystemen designt worden. Das Akronym "HERMES" steht für "Handbuch der Elektronischen Rechenzentren der Bundes, Methode zur Entwicklung von Systemen". Bis vor zwei Jahren gab es zwei grundlegende Vorgehensmodelle von HERMES, nämlich "HERMES SE" für Systementwicklung und "HERMES SA" für Systemadaption. Die Fachprozesse gaben sehr stark vor, wie das Projekt geführt wurde, was sich bereits in den beiden Phasenmodellen für SA und SE zeigte. Dies war auch die große Stärke von HERMES: Das Projektmanagement war exakt auf das Management von IT-Projekten in einer Verwaltung abgestimmt. Als Sonderfälle gab es "abgespeckte" Versionen, beispielsweise für Organisationsentwicklungsprojekte. Dabei wurden im Wesentlichen nur der Organisationsaspekt der IT-Projekte "benutzt", die Anpassung der Methode an diese Sonderfälle oder an konkrete Projekte wurde als "Tayloring" bezeichnet.

Mit der im April 2014 publizierten Version 5 wurde HERMES von Grund auf überarbeitet und erhebt nun den Anspruch, eine deutlich breiter anwendbare Projektmanagementmethode zu sein als bislang, wenn auch kein generisches Projektmanagementsystem wie z.B. der PMBOK® Guide des PMI. HERMES wird kontinuierlich weiterentwickelt – im Juni 2014 wurde das letzte größere Release 5.1 freigegeben, das Inkonsistenzen korrigierte und einige Aspekte präzisierte.

Im Handbuch wird postuliert, dass "HERMES … die Projektmanagementmethode für Projekte im Bereich der Informatik, der Entwicklung von Dienstleistungen und Produkten sowie der Anpassung der Geschäftsorganisation" (HERMES 5.1 Referenzhandbuch, Abschnitt "Methodenübersicht") ist. Dieser Anspruch wird bereits mit dem neuen, sehr generischen Phasenmodell unterstrichen: Es umfasst nur noch vier Phasen und ist dadurch tatsächlich so allgemein, dass es immer anwendbar ist.

Modular aufgebaute Methode

Mit Version 5 wurde HERMES konsequent modular aufgebaut: Managementtätigkeiten und Fachprozesse sind nun in sog. Modulen gruppiert. Die Module umfassen dabei jeweils eine Anzahl thematisch zusammenhängender Aufgaben mit ihren Ergebnissen. Die Verantwortung für Aufgaben ist definierten Rollen in Stamm- und Projektorganisation zugewiesen.

Die Module verstehen sich als wiederverwendbare Bausteine, aus denen die sogenannten Szenarien zusammengesetzt werden. Über diese berücksichtigt HERMES, dass es Projekte mit sehr unterschiedlichem Charakter, Inhalt und Komplexität gibt. Die acht vordefinierten Standardszenarien bilden in der Praxis so auch den Einstieg in das Setup eines Projekts: Gemäß dem Charakter bzw. Gegenstand des Projekts sucht man das geeignete Szenario aus und passt es dann an das konkrete Projekt an.

Bild 1: HERMES Standardszenarien (Quelle: HERMES 5.1 Referenzhandbuch, S. 6)

"Ergebnisse" im Mittelpunkt

Die Aufgaben dienen der Erarbeitung von Ergebnissen. "Ergebnisse" im Sinne von HERMES sind nicht nur Gegenstände (z.B. Prototypen), sondern auch Zustände (z.B. "System abgenommen") oder ähnliches. Zu jedem Ergebnis gibt es eine obligatorische Ergebnisbeschreibung. Für viele Ergebnisse stellt HERMES Dokumentvorlagen zur Verfügung. Diese spezifizieren die Ergebnisse näher und unterstützen so die jeweiligen Verantwortlichen bei ihrer Erstellung. HERMES benennt für jedes Ergebnis die an seiner Erstellung beteiligten Rollen und stellt so die Verbindung mit der Projektorganisation (s.u.) her. Die Einhaltung der übergeordneten Projekt-Governance wird durch die Definition von minimalen Sets von Minimalergebnissen (immerhin 37 von insgesamt 73 Ergebnissen) erreicht. . Die Minimalergebnisse stellen insbesondere sicher, dass nach HERMES 5 geführte Projekte in der Schweizer Bundesverwaltung den Anforderungen eines Audits durch die Eidgenössische Finanzkontrolle genügen. Die Ergebnisse sind somit der eigentliche Kern der Methode. In der Praxis gibt es kein Projekt, in dem alle Ergebnisse erstellt werden: Wird ein Modul nicht verwendet, so entfallen auch die zugehörigen Ergebnisse (einschließlich der Minimalergebnisse). Mit einer soliden Begründung dürfen auch weitere Ergebnisse weggelassen werden.

Um HERMES 5 einer breiten Anwendung zugänglich machen zu können, ist es als offene Methode konzipiert. So dürfen und sollen bei Bedarf projekt- oder organisationsspezifisch zusätzliche Ergebnisse, Aufgaben, Module und sogar Szenarien entworfen werden. So könnte z.B. ein Szenario "Entwicklung eines Elektroautos", ein Modul "Marketing" oder ein Ergebnis "Logistikkonzept" definiert und integriert werden. Auch pragmatische Anpassungen an die Projektgröße durch Zusammenfassen von Ergebnissen ist vorgesehen. Hierdurch kann gerade in kleinen Projekten vermieden werden, dass man in einer "Dokumentenflut" erstickt.

Alle Kommentare (2)

Martin
Schmutz
Dipl.-Inf.

Guten Tag,

vielen Dank für den ausführlichen Artikel.

Bitte beachten, dass es sich bei Hermes um ein rein prozessuales Rahmenwerk handelt das out of the box alle templates mitliefert. Rollen, Aufgaben, Ergebnisse und deren Beziehungen über die Szenarien hinweg sind geregelt.

Hermes ist damit näher an PMI und Prince2 als an IPMA, jedoch noch weit von deren Ausbaustufen und Universalität entfernt.

Themen wie Verhaltenskompetenz (im noch im ICB 3.0-Verständnis zu sprechen) oder Kontextkompetenzen werden darin nicht abgehandelt.
Eine grundlegnede Ethik, Project Excellence-Modelle oder Differenzierte Ausbildungsgrade je nach Erfahrungsstand sind nicht vorgesehen.

Hermes hat dafür out of the box alle Dokumente die ein jeweiliges Szenario erfordert. Projekte für Verwaltungsbetriebe, die sich stark auf Dokumente abstützen finden darin einen fit-for-purpose Bibliothek und der Anwender profitiert von viel Erfahrung und Know-How das in die Erstellung dieser Bibliothek eingeflossen ist.

Themen wie beispielsweise die Entwicklungsphasen eines Teams, Stakeholdermanagement, Führung, Projektcontrolling (EVA, NPV) inklusive deren Praxis werden bei IPMA, PMI und Scrum ausführlich vermittelt. Prozessuale Interdependenzen und Metainformationen des Projektes, wie sie in V-Modell XT zum Ausdruck kommen zeigt Hermes nicht ausdrücklich. Dahingegen haben die Ersteller der Vorlagen viel Hirnschmalz investiert.

Persönliches Fazit:
Projekte auf internationalem Niveau zu leiten "lernt" der engagierte Projektmanager primär unter unter IPMA, Scrum, PMI oder Prince2. Hier wird das Handwerkszeug vermittelt um in Projektumständen zu überleben. Wenn es später im Karriereweg darum geht, mit Bundesprojekten der Schweiz im Sektor IT strukturiert und sauber dokumentiert zu sein, dann ist Hermes Pflicht. Zur effizienten Verwaltung des Hermes-Projektes empfiehlt sich noch ein ingriertes Dokumenten-und Versionsmanagement wie es in üblichen ECM-Systemen möglich sein sollte.

"Wer schreibt, der bleibt."