Für eilige LeserInnen: Ein historisches Werk von einem der Gründungsmitglieder der GPM.
In seinem Vorwort zu v. Wasielewskis "Projektvergleichstechnik" attestiert Heinz Schelle dem Autor, dass er seiner Zeit weit voraus war, als er bereits Ende der 70er Jahre damit begann, ein Kennzahlensystem für die Projektbewertung und den Projektvergleich zu entwerfen. Das vorliegende Buch blickt also auf ein Vierteljahrhundert Projektmanagement zurück, in dem rasante technische, politische und gesellschaftliche Entwicklungen zu verzeichnen waren.
Vielleicht kommt es gerade deshalb genau zum richtigen Zeitpunkt. Die Phase des "anything goes" ist abgelöst durch ein "nobody dares". Das vormals verachtete Risikomanagement wird zur Keule, die jegliches Wagnis bereits im Ansatz erschlägt. Aber niemand ruft nach einer objektiven Basis, um bisherige Projekte zu bewerten und aus ihren Erfahrungen zu lernen. Vielleicht ist dies ja eine Berufskrankheit von Projektmanagern: Sie können nur nach vorne schauen.
Der Blick nach vorne ist sicherlich auch der wichtigste, schließlich will man an keinen Baum und in keinen Graben fahren. Aber man ist ja nicht allein auf der Straße unterwegs. Ohne Rückspiegel ist das ein riskantes Unterfangen. Und ohne TÜV-Plakette wird man normalerweise aus dem Verkehr gezogen.
Rückspiegel und TÜV für Projekte - das ist anschaulich beschrieben, was Projektvergleichstechnik leisten soll.
Entsprechend technisch geht es denn auch in v. Wasielewskis Abhandlung zu. Es ist beileibe kein einfacher Stoff, den er uns Lesern da zumutet. Kenntnisse der Statistik sollte man schon mitbringen, um auf den Grund der Ausführungen vordringen zu können. Vor allem aber benötigt man Geduld, denn das Herz des Autors hängt zu sehr an "seinen" Projekten. So ist es für die Leser kein Informationsgewinn, über die eingesetzten elektronischen Hilfsmittel zur Berechnung einfacher linearer Regressionen informiert zu werden. Auch das Nachrechnen bekannter algebraischer Zusammenhänge (Nichtvertauschbarkeit von Logarithmierung und linearen Rechenoperationen) lenkt nur vom eigentlichen Thema ab.
Was hingegen das Buch wertvoll macht sind die detaillierten Überlegungen zum Aufbau von Projektzielen und der Bewertung des Projekterfolgs. So differenziert der Autor beispielsweise zwischen Basis- und Kontrollmerkmalen für die Zielerreichung. Das Basismerkmal bemisst, wie schwierig das Ziel zu erreichen war, das Kontrollmerkmal, wie genau das Ziel eingehalten wurde. Es ist nun mal ein Unterschied, mit welcher Motorleistung das Auto von 0 auf 100 beschleunigt.
Auf der Basis solcher Überlegungen baut der Autor eine Bewertung der Gesamtgüte eines Projekts auf. Mit Hilfe von Gewichtungsfaktoren für die einzelnen Zielmerkmale entfaltet sich ein Bottom-Up-Berechnungsverfahren, das von der einzelnen Bewertungskennzahl über die Zwischenebenen von Kosten-, Termin-, Objekt- und Qualitätsgüte bis zur Projektgüte reicht.
Der Beitrag v. Wasielewskis zur vergleichenden Projektbewertung muss in Zusammenhang mit den Arbeiten von Keßler und Hönle zum Thema "Karriere im Projektmanagement" gesehen werden. Dort wird ein Kennzahlenverfahren zur Beurteilung des Schwierigkeitsgrades von Projekten entworfen. Die Vereinheitlichung beider Ansätze zu einem aussagekräftigen Projektauswertungsschema wäre eine lohnenswerte Aufgabe.
Ausschlaggebend wird jedoch für Projekte auch in Zukunft immer sein, ob sie dem Auftraggeber den erhofften Gewinn (ROI) einfahren. Hier scheint mir ein blinder Fleck bei allen Projektbewertungs- und Projektbenchmarkingverfahren zu existieren. Zumindest weist v. Wasielewski im 16. Kapitel "Ansätze zu Erfolgskennzahlen" auf die Bedeutung der Zufrieden heit der Stakeholder hin. Nicht zustimmen kann ich ihm allerdings dabei, dass er diese als "Quasi-Ziel" bezeichnet, da sie nicht messbar sein. Die Pünktlichkeit des Zahlungseingangs, die Zahl der Nachforderungen und Folgeaufträge sind für mich sehr harte und messbare Kennzahlen. Gleiches gilt für Verkaufszahlen neuer Produkte - auch ein zu teures und verspätetes Projekt kann ein äußerst erfolgreiches Produkt hervorbringen.
Das in seinen Grundzügen letztlich sehr einfache Berechnungsmodell der Projektgüte ist auch für solche Bewertungen problemlos einsetzbar. Es kommt eben darauf an, welche Parameter man sich aussucht. Auch darauf geht v. Wasielewski kurz ein - leider etwas zu kurz.
Für das Zeitalter des "Projektportfoliomanagements" ist das vorliegende Buch Grundlektüre.