Neue Entscheidungsmodi in Zeiten von Agilität und Selbstorganisation Effizienter entscheiden im Team
"Auf keinen Fall soll die neue Sitzecke für den Empfang grün sein! Hat jemand einen besseren Vorschlag?" In vielen Unternehmen verschlingen nebensächliche Fragen unverhältnismäßig viel Zeit und Energie. Lernen Sie Entscheidungsmodi kennen, mit denen Mitarbeiter und Teams selbstorganisiert entscheiden und erfahren Sie, wie Sie diese einführen und damit Ihre Unternehmenskultur weiterentwickeln.
Management Summary
Als Mitglied erhalten Sie die wichtigsten Thesen des Beitrags zusammengefasst im Management Summary!
Neue Entscheidungsmodi in Zeiten von Agilität und Selbstorganisation Effizienter entscheiden im Team
"Auf keinen Fall soll die neue Sitzecke für den Empfang grün sein! Hat jemand einen besseren Vorschlag?" In vielen Unternehmen verschlingen nebensächliche Fragen unverhältnismäßig viel Zeit und Energie. Lernen Sie Entscheidungsmodi kennen, mit denen Mitarbeiter und Teams selbstorganisiert entscheiden und erfahren Sie, wie Sie diese einführen und damit Ihre Unternehmenskultur weiterentwickeln.
Management Summary
Als Mitglied erhalten Sie die wichtigsten Thesen des Beitrags zusammengefasst im Management Summary!
Selbstorganisation und agile Organisationsdesigns aus der Startup-Szene des Silicon Valley sind längst auch in mittelständischen deutschsprachigen Unternehmen angekommen. Selbstorganisiertes und agiles Arbeiten beinhaltet, dass das Team die Führungsverantwortung eigenverantwortlich unter sich aufteilt.
Ein wichtiger Bereich ist dabei die Art und Weise, wie Entscheidungen in Organisationen getroffen werden, in denen geteilte Führung praktiziert wird. Denn wenn es nicht mehr die EINE Führungskraft gibt, die die getroffenen Entscheidungen letztlich verantwortet, muss dies das Team selbständig lösen. In Bezug auf Entscheidungen entstehen damit vollkommen neue Fragestellungen, z.B.:
- Wer darf welche Entscheidung treffen?
- Wo müssen wir weitere Teammitglieder / andere Kollegen aus dem Unternehmen einbinden, wo nicht?
- Wer ist verantwortlich, wenn ein Fehler passiert oder eine Entscheidung sich als falsch herausstellt?
- Auf welche Art und Weise treffen wir im Team Entscheidungen?
- Wenden wir für alle Entscheidungen denselben Abstimmungsmodi an?
Auch für Unternehmen mit flachen Hierarchien – die nicht agil arbeiten – ist es wertvoll, sich mit dieser Thematik auseinander zu setzen, damit sich deren Teams nicht in endlosen konsensorientierten Diskussionen verlieren, sondern schnell Lösungen finden und beschließen, die sie umsetzen können und die alle Teammitglieder mittragen.
So geht´s nicht – unzweckmäßiges Entscheiden
Ein illustrierendes Phänomen aus der Organisationsforschung ist der "Bike-Shed-Effekt" (Fahrradstellplatz-Effekt), den C. Northcote Parkinson bereits 1958 beschrieb. Es geht im Kern darum, dass Teams trivialen Themen überproportional viel Aufmerksamkeit schenken. Im Gegensatz dazu werden komplexe Entscheidungen, die nur Experten beurteilen können, meist schnell gefällt.
Der Bike-Shed-Effekt oder das Gesetz der Trivialität
Stellen wir uns vor, ein Finanzausschuss muss drei Investitionsentscheidungen treffen. Es geht um 15 Millionen Euro für ein Kernkraftwerk. Diese Investition ist in zweieinhalb Minuten genehmigt. Danach muss der Ausschuss entscheiden, welche Farbe für die Lackierung eines Fahrradschup-pens verwendet wird. Die Kosten betragen etwa 500 Euro. Nach einer 45-minütigen Diskussion haben sich die Experten per Mehrheitsentscheid auf grau geeinigt (Bild 1).
Abschließend geht der Ausschuss auf die Notwendigkeit einer neuen Kaffeemaschine für die Mitarbeiter ein, die etwa 30 Euro kosten wird. Nach einer einstündigen Diskussion vertagt der Ausschuss die Entscheidung. Parkinson nannte dieses Phänomen "das Gesetz der Trivialität". Jeder freut sich, eine Meinung zu etwas so Einfachem wie einem Fahrradstellplatz oder einer Kaffeemaschine äußern zu können.
Wenn es allerdings darum geht, eine komplexe Entscheidung zu treffen, ob z.B. in ein Kernkraftwerk investiert werden soll, sind die meisten überfordert und überlassen die Entscheidung einigen wenigen Experten.
Das Beispiel Bike-Shed-Effekt verdeutlicht, was viele Projektmanager aus ihrem Alltag kennen: Entscheidungen in Teams können langwierig und wenig zielführend sein. Und häufig wird viel Zeit in geschäftsunkritische Entscheidungen investiert. Wir wurden z.B. einmal Zeuginnen einer wochenlangen Debatte über die Farbe der Sofas am Empfang, die schnell das eigentlich zuständige Team (Büromanagement) verließ – weil die Mitglieder sich nicht einigen konnten – und immer weitere Kreise zog, bis sie letztendlich vom CEO entschieden werden musste.
Andererseits entschied im gleichen Unternehmen eine Handvoll Experten innerhalb weniger Tage über die für die Zukunft des Unternehmens entscheidende Frage, wie und in welche neue Servertechnologie investiert werden sollte.
Wenn auch Sie dieses Missverhältniss abschaffen wollen und in Ihrem Team effizienter, zielführender und verbindlicher entscheiden wollen, empfehlen wir bei weitreichenden Entscheidungen grundsätzlich alle Mitarbeiter einzubinden, die von der Entscheidung betroffen sind und dazu den Konsent-Entscheid zu nutzen.
Die drei Bereiche von Entscheidungen
Als Grundlage stellen wir zunächst kurz die grundsätzlichen Arten von Entscheidungen vor:
- Alltagsentscheidungen (beschäftigen sich mit der alltäglichen Arbeit)
- Strukturentscheidungen (betreffen die Struktur des Unternehmens)
- Strategieentscheidungen (sollten im Einklang mit der Unternehmensstrategie stehen)
1. Alltag
Zum Bereich Alltag gehören alle Entscheidungen, die ein Mitarbeiter aufgrund seiner Funktion oder Rolle im selbstorganisierten Team treffen kann. Z.B. entscheidet ein Programmierer eines IT-Dienstleisters alleine, wie er den Code schreibt oder wie er ein technisches Feature implementiert (Bild 2).
Ein typischer Entscheidungsmodus wäre hier der Einzelentscheid: Der Mitarbeiter trifft eine Entscheidung allein qua seiner Rolle / Funktion. Alternativ könnte der konsultative Einzelentscheid (dazu später mehr) relevant sein, d.h. der Mitarbeiter holt sich von relevanten Personen Input, trifft die Entscheidung dann aber eigenverantwortlich.
2. Struktur
Eine Struktur-Entscheidung ist z.B. die Zusammensetzung eines Teams. In einem selbstorganisierten Team gibt es statt starrer Positionen Rollen und Verantwortlichkeiten, die die Teammitglieder selbst anhand ihrer Kompetenzen definieren. Hierfür ist ein intensiver Dialog notwendig, um welche Kompetenzen herauszufinden, welches Teammitglied einbringen kann und möchte und welche Kompetenzen für die jeweilige Aufgabe überhaupt notwendig sind. Insofern bietet sich hier an, die Entscheidung in der Gruppe zu treffen, damit alle, die von der Entscheidung betroffen sind, auch an ihr beteiligt sind.
3. Strategie
Der Bereich Strategie ist betroffen, wenn entschieden wird, ob ein neues Geschäftsfeld eröffnet oder ob in eine neue Technologie investiert wird. In einem klassisch organisierten Unternehmen wird diese Art von Entscheidung auf der oberen Ebene des Managements gefällt. Nach den agilen Prinzipien ist es jedoch sinnvoll, bei solchen Entscheidungen die Menschen zu beteiligen, die nah am Kunden arbeiten, weil sie besser wissen, was der Kunde nachfragt. Insofern gilt auch hier die Regel: Wer von der Entscheidung an der Strategie betroffen ist, sollte eine Möglichkeit haben, sich einzubringen.
Bei einer strategischen Neuausrichtung könnte ein konsultativer Einzelentscheid sinnvoll sein, in dem der CEO sich Input von seinen Mitarbeitern einholt und in seiner Entscheidung berücksichtigen kann, dies aber nicht muss.
Eine Entscheidung, mehrere Bereiche
Eine Entscheidung kann auch alle drei Bereiche berühren. Beispiel: Ein IT-Dienstleister bekommt von einem Subunternehmer einen fehlerhaften Code geschickt. Tritt der Fehler nur einmal auf und lässt sich das Problem schnell beheben, kann es dem Bereich Alltag zugeordnet werden. Der Mitarbeiter löst das Problem eigenständig, indem er entweder beim Subdienstleister eine Korrektur des Codes anfordert, oder indem er den Code selbst korrigiert.
Wenn der Subdienstleister jedoch wiederholt mangelnde Qualität abliefert, kann es notwendig sein, den Dienstleister zu wechseln. Hier knüpft sich die Frage an, ob es im Unternehmen einen festgelegten Prozess gibt, um den Dienstleister zu wechseln. Falls ja, könnte der Mitarbeiter diesem Prozess folgen. Gibt es keinen festgelegten Prozess, müsste ein neuer eingeführt werden; eine solche Entscheidung beträfe den Bereich Struktur.
Eine strategische Entscheidung wäre nun, wenn das Unternehmen sich aufgrund wiederholt mangelnder Qualität von Dienstleistern dazu entscheidet, generell keine Subdienstleister mehr zu beschäftigen.
Daumenregel: Circa 80% aller Entscheidungen fallen unter die Kategorie "Alltag", die restlichen 20% sind zu gleichen Teilen Strategie- und Strukturentscheidungen. Während Alltagsentscheidungen am besten eigenverantwortlich geregelt werden können, sind Struktur- und Strategieentscheidungen aufgrund ihrer oft großen Bedeutung typischerweise Gruppenentscheidungen.
Im agilen Projekt bedeutet eine Entscheidung eigenverantwortlich zu treffen in der Regel, dass derjenige sich Rat bei einem oder mehreren Kollegen einholt, die dank ihres Wissens oder ihrer Erfahrung dazu beitragen können, dass die Entscheidung fundierter ausfällt. Der Entscheider muss jedoch den Input der Befragten nicht berücksichtigen und kann auch gegen die Meinung der anderen entscheiden. Das wird auch konsultativer Einzelentscheid genannt.
Unabhängig vom Entscheidungsbereich gilt: Betroffene zu Beteiligten machen
Grundsätzlich gilt, dass sowohl die Qualität von als auch die Identifikation mit Entscheidungen enorm steigt, wenn diejenigen, die von den Entscheidungen betroffen sind, sich am Entscheidungsprozess beteiligen. Da Struktur- und Strategieentscheidungen naturgemäß viele Mitarbeiter im Unternehmen betreffen, bieten sich hier meist Gruppenentscheide an.
4 typische Entscheidungsmodi im klassisch-hierarchischen Unternehmen
Folgende vier Entscheidungsmodi dominieren im klassisch-hierarchischen Unternehmen:
- Manager/Führungskraft entscheidet
- Mehrheitsentscheid
- Laissez-Faire: Der Entscheidungsprozess ist ungeklärt. Am Ende entscheidet beispielsweise ein proaktiver Mitarbeiter oder jemand, der sich verantwortlich fühlt
- Einzelentscheid
Unternehmen ohne eine klassisch-ausgeprägt Hierarchie können viele verschiedene Organisationsstrukturen haben: von sehr flachen Hierarchien (z.B. mit einer Handvoll Partner an der Spitze, gefolgt von gleichgestellten, selbstorganisierten Projektteams) bis hin zu vollständig selbstorganisierten Unternehmen ohne formelle Führungskräfte. Ein gemeinsames Merkmal dieser Unternehmen ist, dass die Entscheidungsmacht verteilt ist auf einen Kontext, eine Rolle, auf Teams – und nicht mehr bei einer Führungskraft konzentriert ist.
Als Team besser entscheiden
4 Entscheidungsmodi für Einzel- und Gruppenentscheide
In den vergangenen Jahren wurde eine Reihe weiterer Entscheidungsmodi für Teamentscheide entwickelt und in der Praxis erprobt. Im Nachfolgenden stellen wir Ihnen vier praxisbewährte Modi vor, die die Spannbreite zwischen Einzel- und Gruppenentscheid abdecken, sodass Sie für viele Entscheidungen den geeigneten Modus im Repertoire haben (Tabelle 1).
Konsultativer Einzelentscheid | Captain Picard | Konsent | Konsens | |
---|---|---|---|---|
Modus |
Ich hole mir Input, dann entscheide ich und beantworte ggf. Fragen zur Entscheidung |
Ich bitte mehrere Mitarbeiter zu einem Meeting, um mir Input zu geben. Falls diese Gruppe keinen Konsens erzielt, entscheide ich alleine. |
Entschieden ist, wenn niemand einen Einwand hat |
Entschieden ist, wenn alle einverstanden sind |
Vorteile |
|
|
|
|
Nachteile |
|
|
|
|
Sinnvoller Einsatz |
|
|
|
|
Sofort weiterlesen und testen
Erster Monat kostenlos,
dann 24,95 € pro Monat
-
Know-how von über 1.000 Profis
-
Methoden für alle Aufgaben
-
Websessions mit Top-Expert:innen
Systemisches Konsensieren
11.07.2019
Beim Thema Konsent möchte ich gern das Systemische Konsensieren ergänzen. Es wird nicht nur eine Anzahl von Einwänden erfasst, sondern deren Grad. Auf einer Skala von 0-10 wird pro Vorschlag erfasst, wie gut man mit ihm leben kann. 0="damit kann ich gut leben". 10="geht gar nicht", und alles dazwischen nach Gefühl. So bekommt man in Summe zu jedem Vorschlag einen genauen Wert für den Gruppenwiderstand, aus dem sich direkt die Akzeptanz in der Gruppe errechnen lässt. Weitere Diskussionen können sich erübrigen, sofern eine ausreichend hohe Akzeptanz (z.B. 80%) erreicht wurde.
Mehrere digitale Tools stehen dafür mittlerweile zur Verfügung, teilweise auch für große Gruppen geeignet. An einer Lösung für sehr große Gruppen wird noch gefeilt - ich denke, dass das auch nicht mehr allzu lange dauert.
Systemisches Konsensieren ist flexibel einsetzbar. Der Auswertungsteil kann einzeln genutzt werden und führt bei operativen Entscheidungen zu schnellen, klaren Ergebnissen. Je anspruchsvoller die Fragestellung, desto mehr Zeit sollte investiert werden, um alle Schritte des SK-Modells für einen kreativen Prozess zu nutzen.
Freundliche Grüße
Inge Ankenbauer-Wild
Impulsgeberin und Prozessbegleiterin