Appreciative Interviews beruht auf dem Erzählen und Nacherzählen von kurzen Erfolgsgeschichten. Dabei kann die Methode flexibel etwa für Problemlösung, Prozessoptimierung, Entscheidungsfindung oder bei Projektstarts – im Folgenden schlicht für eine "Herausforderung" – verwendet werden. Die Geschichten beziehen sich auf eine ähnliche Herausforderung, bei der die Erzählenden erfolgreich waren oder Erfolg beobachtet haben.
So erzählen sich die Teilnehmenden etwa für die Herausforderung "Wie kommen wir im B2B-Vertrieb an Kunden heran?" Geschichten von einer Situation, in der sie das geschafft haben – möglicherweise in einem ganz anderen Kontext oder auch für eine nur ähnliche Herausforderung, z.B.: "Wie sind wir an Endkunden gekommen?"
Diese Erfolgsgeschichten werden in Kleingruppen wiedererzählt. Anschließend untersuchen die Teilnehmenden die Geschichten auf Faktoren, die den Erfolg herbeigeführt haben – im Beispiel etwa "wertschätzende Kundenkommunikation". Dann überlegt die Gruppe, welche der Erfolgsfaktoren für die anliegende Herausforderung am wichtigsten erscheinen und wie sie diese stärken oder umsetzen können.
Charakteristisch für Appriciative Interviews ist die Wertschätzung, die sowohl jede:r Einzelne:r als auch die Gruppe erfährt:
- durch die ungeteilte Aufmerksamkeit der Zuhörenden während des Erzählens der eigenen Erfolgsgeschichte
- durch das Nacherzählen der eigenen Geschichte durch eine andere Person
- durch die Anerkennung von erzielten Erfolgen
- durch die Erkenntnis, dass die Gruppe Expertise hat und nutzen kann
Die Durchführung der Methode Appreciative Interviews erfolgt in vier Schritten:
Paarweises Erzählen der Erfolgsgeschichten
Wiedererzählen der Erfolgsgeschichten
Identifizieren der Erfolgsfaktoren
Finden von Maßnahmen, um die wichtigsten Erfolgsfaktoren auf die eigene Herausforderung zu übertragen, zu stärken oder zu integrieren
Beispiel: Einführung von Kanban in der Logistikbranche
Ein Logistikkonzern will agiles Arbeiten für die Entwicklung der See- und Luftfracht-Software einführen, um näher an die weltweiten Kunden heranzurücken und deutlich kürzere Feedback-Schleifen zu ermöglichen. Als Pilotprojekt soll ein 20-köpfiges Team bestehend aus Business Analyst:innen, Software-Entwickler:innen, Projektleitung, Architekt:innen und Testpersonen auf ein agiles Framework umsteigen.
Erste Erfahrungen mit Scrum wurden gemacht, Kanban wurde als hilfreiche Ergänzung identifiziert, um die Arbeitsprozesse des gesamten Teams sichtbar zu machen und zu optimieren. Einige Kolleg:innen hatten bereits Erfahrungen mit Kanban in anderen Unternehmen gesammelt, andere Kolleg:innen hatten Expertise in der Einführung neuer Prozesse und Abläufe in wiederum anderen Kontexten.
Mit Appreciative Interviews will das Team herausfinden, wie sich die Einführung eines neuen Arbeitsprozesses im Allgemein und Kanban im Besonderen möglichst geschmeidig durchführen lässt. Einige Teammitglieder brachten bereits ihre Skepsis gegenüber Kanban zum Ausdruck und scheinen zurückhaltend.
Schritt 1: Laden Sie zum Geschichtenerzählen ein!
Beschreiben Sie in ein bis zwei Minuten das Ziel von Appreciative Inquiries und laden Sie die Teilnehmenden dann dazu ein, sich eine Erfolgsgeschichte zur anliegenden Herausforderung zu überlegen: "Denken Sie an eine Situation, in der Sie bei dieser oder einer ähnlich gelagerten Herausforderung erfolgreich waren oder diese voranbringen konnten oder wo Sie Erfolg beobachten konnten." Als mögliche Erfolgsgeschichten können sowohl große Prozesse oder Veränderungen, als auch kleine, vielleicht sogar private Situationen ähnlichen Charakters eingebracht werden.
Im Beispiel der Kundengewinnung im B2B-Vertrieb könnte das Geschichtenspektrum von der Reorganisation der Vertriebsstruktur des gesamten Konzerns bis hin zum Überzeugen eines Freunds von einem guten Restaurant reichen.
Geben Sie den Teilnehmenden eine Minute Zeit, sich eine Geschichte zu überlegen. Erwähnen Sie dabei unbedingt, dass es auch in Ordnung ist, wenn einem keine Geschichte einfällt, schließlich ist die zuhörende Rolle genauso wichtig – dazu gleich mehr!
Fordern Sie nun die Gruppe auf, paarweise zusammenzukommen und sich gegenseitig ihre Erfolgsgeschichten zu erzählen. Geben Sie davor noch folgende Hinweise: Die Person, die eine Geschichte parat hat, beginnt und bekommt die ungeteilte Aufmerksamkeit der anderen Person. Denn alle Geschichten werden im nächsten Schritt nacherzählt. Die Zuhörer:innen stellen allenfalls Verständnisfragen, sind aber ansonsten fokussiert auf die Geschichten und unterbrechen nicht. Empfehlen Sie, Notizen von den Kernaspekten zu machen, um die Geschichten später einfacher nacherzählen zu können.
Nach etwa vier bis fünf Minuten werden die Rollen getauscht. Oft ist nun auch allen ohne Geschichte eine Situation eingefallen. Falls nicht, kann das Paar gemeinsam die erste Geschichte nochmal vertiefen und kurz Pause machen.
Beispiel: Eine Mischung aus Erfahrung und Skepsis
In einer Auftaktveranstaltung zur Einführung von Kanban wird die Gruppe wie folgt eingeladen: "Erzählt euch eine Geschichte von einer Situation, wo ihr erfolgreich Kanban oder einen anderen neuen Prozess eingeführt habt oder an der Einführung beteiligt wart. Beschreibt dabei, die ersten kleinen Vorteile oder Erfolge, die euch der neue Prozess verschafft hat. Denkt alternativ an ein neues Tool oder neue Prozesse beim Testen oder Entwickeln von Software. Falls euch keine Geschichte einfällt und ihr skeptisch gegenüber Kanban seid, dann sucht euch bitte eine Person mit einer Erfolgsgeschichte zur Einführung mit Kanban als Partner."
Auf diese Weise wird gleichzeitig die Expertise aller wertgeschätzt und die Leute mit skeptischer Grundhaltung können einen ersten positiven Eindruck von Kanban gewinnen.