Das Projekt im Spannungsfeld seiner Umwelt
Das Projekt im Spannungsfeld seiner Umwelt
Mehr als die Hälfte aller erfolglosen IT-Projekte scheitern an Widerständen aus dem Projektumfeld, speziell seitens der zukünftigen Nutzer (Harrer, Hillebrand; 1998). Allein dieses Argument sollte als Motivation für eine Projektumfeld-Analyse genügen und wird häufig auch ausschlaggebend für deren Durchsetzung sein. Die Projektumfeld-Analyse leistet aber wesentlich mehr, denn sie verdeutlicht nicht nur frühzeitig Probleme, sondern zeigt auch nutzbare Potenziale im Umfeld des Projekts auf.
Projekte als soziale Systeme
Warum sollte das Projektumfeld überhaupt Einfluss auf das Projekt selbst haben? Auf welchen Ebenen liegt dieser Einfluss, und wie kommt er zustande?
Wenn wir über Projekte sprechen, dann meinen wir in der Regel ein einmaliges Unterfangen mit klarem Anfang und klarem Ende, das mit begrenzten Ressourcen (an Zeit, Mitarbeitern und materiellen Mitteln) ein definiertes Ziel erreichen soll. In dieser Definition stehen viele mehr oder weniger abstrakte Begriffe, die auf den ersten Blick nicht unbedingt miteinander in Zusammenhang stehen. Sehen wir aber etwas genauer hin: Ein Projekt besteht demnach aus einer Gruppe von Ressourcen, die auf eine bestimmte Art und Weise interagieren sollen. Die Art und Weise der Interaktion ist im wesentlichen durch ein bestimmtes Ziel festgelegt, das erreicht werden soll. Das Ziel ist von außen vorgegeben, die Ressourcen werden ebenfalls von außen zur Verfügung gestellt. Damit haben wir die wesentlichen Elemente eines Systems: Die Ressourcen als Elemente des Systems, Interaktionen zwischen den Elementen und eine Systemumwelt, die vom System abgegrenzt ist.
Wenn wir an ein konkretes Projekt in unserer Erlebniswelt denken, kommt allerdings einem Teilaspekt dieses Systems besondere Bedeutung zu: dem Menschen. Wir betrachten ein Projekt deshalb nicht nur als irgendein technisches oder kybernetisches System, sondern als ein soziales System. Es besteht aus Individuen, die mit ihrer Geschichte und all ihren Ideen und Hoffnungen, Ängsten und Erwartungen zu einem Projektteam "gemacht" werden. Diese Gruppe von Menschen befindet sich in vielfältiger Wechselwirkung mit ihrer Umwelt. Jedes Teammitglied ist Mitglied anderer sozialer Systeme: der Abteilung, der Firma, dem Sportverein, der Familie, einer politischen Partei etc. Und auch die Menschen dieser sozialen Systeme haben wiederum ihre Erwartungen, Ideen usw., die ihre Handlungsweisen bestimmen.
Wir betrachten ein Projekt also als ein soziales System, das in eine Umwelt eingebettet ist. Die Umwelt ist alles außerhalb des Projekts, und das Projekt steht im ständigen Austausch mit ihr.
Das Projektumfeld
Die Außenwelt des Projekts ist zunächst groß und unübersichtlich. Teile davon werden stärkeren Einfluss auf das Projekt haben (z.B. der Finanzvorstand des Unternehmens oder Abteilungen und Partnerfirmen, die Teammitglieder stellen), andere einen geringeren. Zum Projektumfeld gehören alle sozialen Systeme außerhalb des Projekts, die das Projekt nach Auffassung des Projektteams hinreichend stark beeinflussen oder von ihm entsprechend stark beeinflusst werden.
Entscheidend ist die Wahrnehmung der Betroffenen. Wenn das Projektteam der Meinung ist, dass eine bestimmte Gruppe zum Umfeld des Projekts gehört, dann gehört diese auch dazu. Das gilt auch umgekehrt: Wenn eine Gruppe außerhalb des Projekts meint, nicht betroffen zu sein, und das Team diese Ansicht teilt, dann gehört diese Gruppe nicht zum Umfeld. Es spielt dabei keine Rolle, ob ein externer Beobachter eine andere Einschätzung vertritt. Die Bewertung ist dynamisch, denn sie kann sich entwickeln und ändern.
Müsste man alles, was unter diese Definition fällt, untersuchen und bewerten, würde diese Aufgabe schnell jeden Rahmen sprengen. Deshalb gilt es, sich auf die wesentlichen Teile des Projektumfelds zu konzentrieren. Doch welche sind das?
Eine Strukturierung des Projektumfelds
Mit einer Projektumfeld-Analyse wollen wir Folgendes herausfinden:
- Wer ist durch das Projekt direkt / indirekt betroffen?
- Was ändert sich bei ihm, wie wirkt das Projekt auf ihn / sein Arbeitsumfeld / seinen Handlungs- und Gestaltungsspielraum / sein Leben?
- Wie reagiert er auf dieses Veränderungspotenzial? Wird er die Veränderung begrüßen und eher fördern, oder fühlt er sich bedroht und wird eher dagegen arbeiten?
- Wer will (ohne durch das Produkt des Projekts direkt beeinflusst zu sein) direkt oder indirekt Einfluss auf das Projekt nehmen?
- Wie kann ich das Potenzial der Förderer für mein Projekt nutzen?
- Wie kann ich die Gegner des Projekts ins Boot holen oder zumindest ihren Widerstand verringern?
Von Prozessen und Organisationen ...
Ich möchte mich im Folgenden auf Projekte beschränken, die innerhalb einer Organisation ablaufen und externe Lieferanten und Kunden betreffen. Als Beispiel wollen wir ein Projekt verwenden, das zum Ziel hat, ein neues EDV-System für die Kundenbuchhaltung in einem Industriebetrieb einzuführen.