Wicked Questions (Liberating Structures)

Jeder Herausforderung oder Entscheidung liegen eine Reihe von Anforderungen und Bedürfnissen zu Grunde. Oft wirken diese auf den ersten Blick gegensätzlich: Entweder A oder B. Dadurch verstrickt sich eine Gruppe leicht im endlosen Für und Wider. Mit Wicked Questions bringt die Gruppe die vorliegenden gegensätzlichen Anforderungen klar auf den Tisch und formuliert sie als anziehende Frage: Wie können wir sowohl A als auch B? So kann die Gruppe den vermeintlichen Widerspruch hinter sich lassen und ist bereit für die gemeinsame Lösungsfindung.

Wicked Questions (Liberating Structures)
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Wicked Questions (Liberating Structures)

Jeder Herausforderung oder Entscheidung liegen eine Reihe von Anforderungen und Bedürfnissen zu Grunde. Oft wirken diese auf den ersten Blick gegensätzlich: Entweder A oder B. Dadurch verstrickt sich eine Gruppe leicht im endlosen Für und Wider. Mit Wicked Questions bringt die Gruppe die vorliegenden gegensätzlichen Anforderungen klar auf den Tisch und formuliert sie als anziehende Frage: Wie können wir sowohl A als auch B? So kann die Gruppe den vermeintlichen Widerspruch hinter sich lassen und ist bereit für die gemeinsame Lösungsfindung.

Wicked Questions (Liberating Structures)

Einsatzmöglichkeiten

  • Zur Behandlung komplexer Herausforderungen, wo "die eine" korrekte Lösung nicht existiert und grundsätzlich nicht durch Analyse und Planung herbeigeführt werden kann
  • Aufdecken gegensätzlicher oder sogar widersprüchlicher Anforderungen
  • Zusammenbringen gegensätzlicher Positionen bei Entscheidungsfindungen
  • Bei fachlichen Kontroversen Verständnis für die andere Seite entwickeln und Gemeinsamkeiten entdecken

Die Methode ist gut skalierbar: Sie funktioniert vom Ausformulieren einer Problemstellung durch eine Einzelperson bin hin zu Strategiefindungen in Großgruppen mit rund hundert Leuten. Das Vorgehen lässt sich leicht parallelisieren, sodass alle Teilnehmenden gleichermaßen in den Prozess eingebunden werden. Die Zwischen- und Endergebnisse lassen sich an mehreren Punkten synchronisieren, um die Ergebnisse aufeinander abzustimmen oder um wichtige Aspekte anderer Teilgruppen in die eigenen Ergebnisse zu integrieren.

Die Durchführung dauert etwa 30 Minuten, für Großgruppen mit über 30 Leuten ein wenig länger, falls die Zwischenergebnisse oft synchronisiert werden sollen oder eine Einigung auf ein singuläres Ergebnis in Form genau einer Frage wichtig ist. Die Methodik lässt sich gleichermaßen vor Ort und remote durchführen. Eine Visualisierung ist nicht notwendig, jedoch kann das schriftliche Festhalten der Fragen und der Anforderungen je nach Einsatzszenario wichtig sein. Sie ist auch für hybride Setups geeignet, denn die einzelnen Anforderungen und Pole sowie die Fragen können gut von räumlich und technisch verteilten Kleingruppen ausgearbeitet werden.

Ergebnisse

  • Eine Liste an Anforderungen, die für die vorliegende Herausforderung von Bedeutung sind
  • Eine Liste an positiv und anziehend formulierten Polen, basierend auf den Herausforderungen
  • Eine oder mehrere sogenannte verzwickte Fragen oder Wicked Questions, die möglichst gegensätzliche Pole anziehend integrieren: "Wie können wir sowohl A als auch B?"
  • Gemeinsames Verständnis des Spannungsfelds und Bereitschaft, die scheinbar gegensätzlichen Anforderungen in einer Lösung zu integrieren.

Vorteile

Die Gruppe entwickelt rasch ein Verständnis für vermeintlich konträre oder gegensätzliche Ansichten und Anforderungen ("Pole").
Endlose Diskussionen werden vermieden, in denen die Vor- und Nachteile der beiden Pole gegeneinander abgewogen werden.
Da die Paradoxie der Herausforderung klar aufgedeckt wird, kann im Anschluss eine zielgerichtete Lösungsfindung stattfinden.
Die Methode lässt durch ihre gleichgestellte Art der Interaktion Hierarchiestufen und unterschiedliche Expertise weitgehend außen vor, um eine möglichst vielfältige Sichtweise auf die gemeinsame Herausforderung herzustellen.

Durchführung: Schritt für Schritt

Mit der Ausarbeitung von einer oder mehrerer sogenannter verzwickter Fragen (Wicked Questions) erlangt eine Gruppe (ein Team, ein Standort, eine Abteilung, ein Unternehmen, eine Einzelperson) Klarheit über die vorliegende Herausforderung. Dabei kann es sich um eine zu treffende Entscheidung, ein zu lösendes Problem oder eine zu entwickelnde Strategie handeln.

Verzwickte Fragen sprechen zwei positiv formulierte, anziehende, jedoch auf den ersten Blick gegensätzliche Seiten oder Pole einer Herausforderung aus. Eine typische Form dieser Fragen lautet:

"Wie können wir sowohl positiv und anziehend formulierter Pol A als auch positiv und anziehend formulierter Pol B, der auf den ersten Blick im Widerspruch zu Pol A steht?" (Bild 1)

Das Bild visualisiert den Text: „Wie können wir sowohl Pol A als auch Pol B? Die Worte „Pol A“ und „Pol B“ sind hervorgehoben und mit einer geschweiften Klammer verbunden. An der Spitze der ge-schweiften Klammer steht „positiv und anziehend“.
Bild 1: Definition verzwickter Fragen

Wicked Questions gibt es in allen Lebenssituationen (Bild 2). Privat können wir uns z.B. fragen: Wie können wir sowohl unsere Kinder zu freien, unabhängigen Individuen großziehen als auch ihre Verbundenheit zur Familie stärken? Im geschäftlichen Umfeld könnte hingegen eine Frage sein: Wie können wir sowohl unsere Expertise frei zugänglich zur Schau stellen als auch mit unserer Expertise verlässlich Umsatz generieren?

Beispiel Kindererziehung: Wie können wir sowohl unsere Kinder zur freien Individuen großziehen als auch die Verbundenheit zur Familie stärken? Beispiel Expertise bewerben und monetarisieren: Wie können wir sowohl unsere Expertise frei zugänglich zur Schau stellen als auch mit unserer Ex-pertise verlässlich Umsatz generieren?
Bild 2: Beispiele für Wicked Questions: Das Spannungsfeld der Kindererziehung und von Werbung für auf Expertise beruhenden Dienstleistungen

Eine verzwickte Frage muss nicht immer in der genannten Form vorliegen, doch es hilft der Klarheit, sich an der Schablone zu orientieren. Ein weiteres Beispiel dazu: Die von den Erfindern und Kuratoren der Liberating Structures Keith McCandless und Henri Lipmanowicz bewusst gewählte Wicked Question der Liberating Structures lautet verkürzt: Wie können wir durch gute Strukturierung (Pol A) Interaktionen befreien (Pol B)?

Die Durchführung der Methode Wicked Questions erfolgt in fünf Schritten:

  1. Das methodische Vorhaben anhand der Natur von verzwickten Fragen erläutern
  2. Anziehende Pole entdecken
  3. Verzwickte Fragen in Kleingruppen finden und austauschen
  4. Spannendste Fragen mit der ganzen Gruppe teilen
  5. Spannendste Fragen verfeinern (Optional)

Zu Beginn listen die Teilnehmenden für sie relevante Anforderungen – die späteren Pole – auf. Dann werden in Kleingruppe gegensätzliche Paare der Pole identifiziert und diese als verzwickte Fragen formuliert. Die Kleingruppen einigen sich auf die treffendsten Fragen und teilen diese mit der ganzen Gruppe. Im Anschluss kann die Gruppe die genannten Fragen noch verfeinern oder miteinander kombinieren.

Die Methode ignoriert bewusst Hierarchien und Expertisengefälle. Sollte das in Ihrem Kontext von Bedeutung sein, moderieren Sie das vorab an, etwa so: "Heute nutzen wir die Expertise des ganzen Unternehmens und arbeiten alle erstmal gleichgestellt an guten Lösungen."

Beispiel: Markenbestimmung des Unternehmens für die Außendarstellung

Ein Unternehmen will sich in der Außendarstellung neu positionieren, um als attraktiver Arbeitgeber neue Kolleg:innen zu gewinnen und um sich zugleich am Markt potentiellen Kunden als der richtige Partner darzustellen.

Das Marketing des Unternehmens möchte alle Mitarbeitenden von der Geschäftsführung über den Vertrieb bis zu den Fachabteilungen bei der Definition dieser Herausforderung einbeziehen. Auf diese Weise sollen Erfahrungen aus erster Hand und fachliche Expertise in den Entwurf integriert werden.

Die Marketingabteilung lädt alle 60 Mitarbeiter:innen zu einem 30-minütigen Termin ein, um eine Reihe verzwickter Fragen vom ganzen Unternehmen formulieren zu lassen.

Schritt 1: Erläutern Sie das Konzept anhand von Beispielen!

Veranschaulichen Sie die Natur komplexer Herausforderungen mithilfe einer Reihe von beispielhaften verzwickten Fragen (siehe unten). Verdeutlichen Sie, dass Herausforderungen auch dadurch komplex sind, dass in ihnen vermeintlich gegensätzliche Pole stecken. Diese verhindern, dass wir einfach eine bekannte Lösung abspulen oder durch Analyse und Planung "die eine richtige Lösung" herbeiführen können.

Hier eine Reihe von Beispielen verzwickter Fragen, die Ihnen auch als Anregung zur Entwicklung weiterer Fragen dienen sollen:

  • Klimawandel / Verkehrswende: Wie können wir sowohl die Erde retten als auch die Freiheit der Einzelnen gewährleisten?
  • Coaching-Dilemma: Wie kann ich als Coach meinem:meiner Coachee Erkenntnisse komplett selbst machen lassen und gleichzeitig ihn:sie auf wichtige Aspekte hinweisen?
  • Work-Life-Balance: Wie kann ich sowohl hingebungsvoll und begeistert meinem Beruf nachgehen und gleichzeitig mein Privatleben in vollen Zügen genießen?
  • Demokratie-Dilemma: Wie können wir sowohl effizient informierte politische Entscheidungen treffen als auch jede:n Einzelne:n an den Entscheidungen beteiligen?

Alternativ können Sie auch ein aktuelles Thema des Unternehmens aufgreifen, wie etwa:

  • Change: Wie können wir tiefgreifende Veränderungen im Unternehmen implementieren und gleichzeitig gute Traditionen und funktionierende Prozesse aufrechterhalten?
  • Change Management: Wie können wir im kleinen Kreis Wandel im Unternehmen initiieren und vorantreiben und gleichzeitig die Bedürfnisse aller Mitarbeitenden berücksichtigen?

Erwähnen Sie, dass verzwickte Fragen dazu dienen, den Lösungsraum aufzuspannen und kollektive Klarheit über den Problemraum herzustellen.

Betonen Sie, dass beide Pole der Fragen etwas Erstrebenswertes für die Beteiligten darstellen sollen. Andernfalls wird keine verzwickte Frage entstehen, die beide Seiten vereint. Sie können dies einprägsam mit einem Negativbeispiel veranschaulichen. Nehmen Sie als Beispiel die oben genannte, positiv formulierte, verzwickte Frage "Wie können wir sowohl unsere Kinder zu freien Individuen großziehen als auch die Verbundenheit zur Familie stärken?" und formulieren Sie diese negativ um, z.B.: "Wie können wir unsere Kinder so aufziehen, dass sie der Familie nie den Rücken kehren und gleichzeitig tun, was sie wollen?" Obwohl beide Fragen inhaltlich denselben Gegensatz ausdrücken, erschwert die zweite Fragestellung durch die negative Formulierung deren Integration, da sie kaum anziehend oder erstrebenswert wirkt.

Aufgabengebiete