Werte kann man – wie das Mindset – nicht beliebig und "einfach so" auswählen oder verändern. Sie haben sich im Laufe unseres Lebens vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen aus Erziehung und unserem Umfeld nach und nach entwickelt.
Werte können auch nicht verordnet werden! Wir können sie nur ändern, wie sie entstanden sind: nach und nach.
Weil das nicht ganz einfach ist, wird dieser unverzichtbare Kern der Agilität nach meiner Erfahrung oft einfach übersprungen. Sie profitieren jedoch nur dann von Agilität, wenn die agilen Werte sowohl vom Team als auch von allen Beteiligten verstanden, verankert, geschärft, hochgehalten und gelebt werden. Wenn wesentliche Schlüsselpersonen an der bestehenden Kultur festhalten und die Teams deshalb immer wieder vor die Wand laufen, sinkt die Motivation in den Keller und die vielversprechende agile Neuerung ist schnell verbrannt!
Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Kern von Agile lohnt sich also. Es wäre ein schwerwiegender Fehler, diese erfolgsentscheidenden "weichen" Faktoren stiefmütterlich zu behandeln oder gar ganz abzutun! Deswegen gehe ich in diesem Beitrag auf die Werte Selbstverpflichtung, Offenheit, Mut, Fokus und Respekt ein, die auf dem agilen Manifest basieren.
Sie werden mithilfe von Fallbeispielen in konkrete Verhaltensweisen "übersetzt", anhand derer die Werte in der Zusammenarbeit erlebbar werden. So wird deutlicher, was diese für die Praxis bedeuten. Jedem Wert sind jeweils Voraussetzungen zugeordnet, die erfüllt sein sollten, damit sich der Wert entfalten kann. Neben der Auseinandersetzung mit den Werten und der Reflexion der Bedeutung der Werte in Ihrem Team wird in diesem Beitrag auch sichtbar, inwieweit notwendige Voraussetzungen zur Entfaltung der Werte in Ihrem Unternehmen erfüllt oder nicht erfüllt sind.
Agile Werte leben – das hört sich banal an?
In meiner Arbeit als Coach erlebe ich es immer wieder, dass die fünf agilen Werte Selbstverpflichtung, Offenheit, Mut, Fokus und Respekt zwar aufgezählt werden können, aber niemandem in der Gruppe ein Beispiel dazu einfällt, wie sich die Werte im Alltag zeigen könnten. Und es sind sicher keine dummen Leute, mit denen ich in Kundenunternehmen zu tun habe!
Sehr viele der Menschen, die ich in meinen Seminaren treffe, haben sich bisher einfach noch nie mit ihren Werten beschäftigt. Wenn ich z.B. an die Berufsgruppe der Ingenieure, Techniker und ITler denke, dann empfinden sie die Auseinandersetzung mit Werten ungefähr so, wie ich die Beschäftigung mit den Funktionen von Excel oder dem Inhalt einer Programmiersprache: Wir stehen da wie der berühmte "Ochs vorm Berg" und kratzen uns ratlos am Kopf.
Wenn einer Gruppe dann doch noch Beispiele aus der Praxis einfallen, dann gehen die Meinungen, was unter den Werten zu verstehen ist, so weit auseinander, dass erst einmal eine wilde Diskussion entbrennt. Für die erfolgreiche Entwicklung von agilen Werten sollten die miteinander arbeitenden Menschen aber schon ein gemeinsames Verständnis davon haben, was die jeweiligen Werte ausmacht!
Neben ihrer grundsätzlichen Bedeutung und den Voraussetzungen, die seitens der Organisation oder auf Teamseite gegeben sein müssen, damit sie entwickelt und gelebt werden können, stelle ich Ihnen die Werte nachfolgend auch anhand von jeweils zwei Beispielen aus der Praxis vor: Ein Umsetzungsbeispiel pro Wert hat positive Veränderungen bewirkt, ein weiteres Beispiel steht der wertebasierten Zusammenarbeit entgegen und veranschaulicht, wie die Nichtbeachtung des Wertes zu Problemen führte. Die Werte sind nicht trennscharf voneinander abgegrenzt, beeinflussen sich gegenseitig und brauchen regelmäßige Aufmerksamkeit.
Agile Werte leben ist nicht banal – also wie weiter?
Wenn Sie bereits im Vorfeld oder jetzt festgestellt haben, dass es gar nicht so banal ist, agile Werte zu leben, schlage ich Ihnen folgendes Vorgehen im Umgang mit diesem Artikel vor:
- Lesen Sie die Beschreibungen, Voraussetzungen und Fallbeispiele zu den einzelnen Werten, um sich ein anschauliches Bild von deren Inhalt zu machen.
- Haken Sie dabei diejenigen Voraussetzungen ab, die Sie jeweils für erfüllt halten.
- Sollten nicht alle Voraussetzungen erfüllt sein – was sehr wahrscheinlich ist –, wählen Sie je Wert die eine Voraussetzung aus, die Ihrer Meinung nach am dringendsten erfüllt werden sollte, und markieren Sie diese mit einem Kreuzchen.
- Ergänzen Sie bei Bedarf weitere Voraussetzungen, die Sie für wichtig halten, und streichen Sie diejenigen, die Ihnen unwichtig erscheinen.
Was ich Ihnen hier anbiete, erhebt nicht den Anspruch auf die absolute Wahrheit! Es soll Ihnen als Diskussionsgrundlage für Ihr Team dienen und Sie dazu inspirieren, die Beispiele mit Ihrer Arbeitswirklichkeit abzugleichen. Worauf Sie sich aber verlassen können: Alle meine Beispiele sind ganz aus dem echten Leben gegriffen und beschreiben von mir tatsächlich Erlebtes, wenn auch anonymisiert.
Wert: Selbstverpflichtung
Agil ist nicht Scrum
10.06.2020
So hilfreich ich diese fünf Werte finde, ist es aus meiner Sicht doch auch wichtig zu wissen, dass es nicht "die agile Werte" sind - sondern die Scrum-Werte. Nun ist Scrum zwar agil, aber Agil ist nicht Scrum.
Für alle agile Methoden ist das Agile Manifest das verbindende Element, in dem diese Werte aber nicht auftauchen. Sie finden sich seit 2016 im Scrum Guide. Kanban hingegen hat bspw. neun Werte definiert, von denen sich nur Repekt und Fokus (allerdings konkret als Kundenfokus) auch in Scrum wiederfinden. Und auch andere Rahmenwerke oder Methoden wollen sich möglicherweise nicht ausschließlich auf diese Werte verpflichten lassen, die Schwaber und Sutherland ausgewählt haben.