Gerade in Projekten nehmen viele Personen unterschiedliche Rollen ein, z.B. Auftraggeber:in, Prüfer:in, Controller:in oder Teamleiter:in. Dabei kommt es häufig zu Situationen, bei denen sich die Beteiligten gegenseitig auf die Nerven gehen, obwohl sie doch nur verantwortungsvoll ihre Aufgaben wahrnehmen.
Je nach Persönlichkeit, Projekterfahrung und Fachkompetenz interpretieren Personen die ihnen übertragene Rolle mit ihren Befugnissen und Verantwortungen sehr unterschiedlich. Was dabei angemessen oder übertrieben ist, liegt allerdings immer im Auge des:der Betrachter:in. Für den Projektleiter Hans mag es als übertriebene Schikane erscheinen, wenn Projektportfoliomanagerin Sabine darauf besteht, dass die Risikoliste auf dem aktuellen Formblatt geführt wird. Für Sabine ist dies aber sehr wichtig, da sie nur so die Risikolisten aller Projekte mit einem Knopfdruck zusammenführen kann.
Vielleicht kommen Ihnen auch die folgenden Beispiele in Projektsituationen bekannt vor?
Die penible Testerin
Cornelia wirkt als Key Userin beim Testen der neuen CRM-Software einer Versicherung mit. Sie testet überaus gründlich und schießt dabei – zumindest in den Augen des Entwicklungsleiters Martin – häufig über das Ziel hinaus. So monierte sie beim letzten Test sogar die Schriftart, die noch nicht den Vorgaben für die Bedienungsoberfläche entsprach. Martin verdreht bereits die Augen, wenn er nur Cornelias Namen auf dem Testprotokoll sieht.
Der mikromanagende Auftraggeber
Der Ansprechpartner des Auftraggebers Christian nimmt seinen Job sehr ernst. Nahezu täglich ruft er bei Markus, dem Projektleiter des Auftragnehmers an und erkundigt sich nach dem Projektstatus. Markus hat sich bereits dabei erwischt, nicht ans Telefon zu gehen, wenn die Nummer von Christian im Display erscheint.
Die übereifrige Projektleiterin
Die Projektleiterin Claudia des Lieferanten ist sehr besorgt, dass der Auftraggeber seine Mitwirkungspflicht erfüllt. Sie mahnt mehrmals in der Woche bei Michaela, der Ansprechpartnerin des Auftraggebers zugesagte Unterlagen ein, selbst wenn die objektiv noch gar nicht erforderlich sind.
Es kann viele Gründe geben, warum Cornelia, Christian und Claudia so handeln. Gemeinsam ist allen Situationen, dass ihr jeweiliges Gegenüber von ihrem Verhalten genervt ist. Nur zu leicht kann sich aus einer zunächst harmlos erscheinenden Situation durch ein unbedachtes Wort oder eine unangemessene Reaktion ein handfester Konflikt entwickeln.
Wenn hingegen Martin, Markus und Michaela sich bemühen, die positive Absicht hinter dem Verhalten ihre Projektpartner:innen zu erkennen, kann ein konstruktives Miteinander gelingen. Das Bild der Matroschka kann Ihnen in der Rolle von Martin, Markus und Michaela dabei helfen, die positive Absicht der "nervenden" Person wertschätzend wahrzunehmen und eine konstruktive Lösung zu finden.
Schritt 1: Deeskalieren Sie!
In Momenten der Aufgebrachtheit kann es schwer sein, sich besonnen und bedächtig dem Gegenüber und dessen (zunächst) merkwürdigem Verhalten zuzuwenden. Daher kann es sich lohnen, sich zunächst zu stabilisieren. Hierfür können Sie z.B. die Methode KANALisieren heranziehen.
Wenn das bloße "Klappe-Halten und Atmen" für die eigene Beruhigung nicht ausreicht, können Sie zusätzlich folgende, einfach umzusetzende Deeskalationstechniken einsetzen:
Auf die Gegenwart fokussieren
Richten Sie Ihren Fokus auf die Gegenwart aus und nur auf die Gegenwart. Kein einziger Gedanke an das, was war oder an das, was kommen könnte. Wer in der Gegenwart ist, kann weder traurig sein (über das, was in der Vergangenheit unschön verlief) noch in Sorge geraten (was in der Zukunft schief gehen könnte). Es ist natürlich einfacher gesagt als getan, letztlich liegt es jedoch allein in Ihrer Macht, diesen Kunsttrick anzuwenden.
Die eigenen Emotionen betrachten und wertschätzen
Nehmen Sie wahr, welche Emotionen aufgekommen sind, und würdigen Sie diese. Denn kein Gefühl kommt ohne Grund. Sind sie sauer? Dann hat jemand Ihre Vorstellungen von richtig und falsch missachtet. Anstatt der Wut freien Lauf zu lassen, wertschätzen Sie sie. Ein Gedanke, den Sie beispielsweise denken könnten: "Danke Wut, dass du dich zeigst, so übersehe ich nicht, dass sich hier jemand danebenbenimmt".
Auf diese Weise werden Emotionen von Peinigern zu Partnern – sie assistieren bei der Problembewältigung und zugleich bei der Persönlichkeitsentwicklung. Sprechen Sie einen diplomatischen Ankersatz, mit dem Sie ihrem Gegenüber vorsichtig und doch unmissverständlich mitteilen, dass bei Ihnen "was los ist" und noch etwas zu klären ist. Eine typische dreiteilige Formulierung könnte lautet: "Du, mich beschäftigt gerade etwas. Ich weiß (leider) noch nicht genau was. Sobald ich es klarer habe, werde ich gerne auf dich zukommen."
Der Sache auf den Grund gehen
Forschen Sie nach der Konfliktursache. Finden Sie heraus, ob es sich etwa um einen Zielkonflikt handelt oder einen Methodenkonflikt oder einen Rollenkonflikt. Hierbei hilft Ihnen die Methode Konfliktanalyse – Konfliktursachen.
Es gibt bis zu acht verschiedene Konfliktarten. Wer diese kennt und sie in schwierigen Momenten identifizieren kann, bekommt Licht ins Dunkel. Sie haben zwar immer noch das Problem, aber Sie wissen jetzt, welches Problem Sie haben. Und wer sein Problem kennt, kann passgenaue Lösungen finden.
Den Konflikt verorten
Stellen Sie fest, welche Eskalationsstufe eingetreten ist. Verwenden Sie dazu die Methode 9 Eskalationsstufen.
Befinden Sie sich noch in einer frühen Stufe, etwa "Debatte & Polemik", oder schon einer späteren, etwa den "Drohstrategien"? Wo auch immer sich der Konflikt gerade befindet, das Wissen um die Stufe gibt Ihnen einen Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen der Konfliktlösung und damit gewinnen Sie neuen Einfluss.
Die Perspektive wechseln und die Situation relativieren
Relativieren Sie den Anlass Ihres Ärgers, indem Sie ihn mit viel schlimmeren Szenarien vergleichen. Wie schlimm wäre die aktuelle Situation, wenn Sie wüssten, dass Sie nächste Woche sterben werden? Was wäre, wenn Sie vom Mond aus auf die Situation blicken würden? Was, wenn Sie sich im Krieg befänden, in einem Gefängnis einsäßen oder obdachlos wären? All diese Vergleichsszenarien sind ziemlich wahrscheinlich deutlich unattraktiver als der schwierige Moment, in dem Sie sich jetzt gerade befinden.
Es geht nicht darum, die Situation zu beschönigen und zu tun, als wäre alles okay. Es geht darum, sie in einen angemessenen Kontrast zu setzen und dadurch wieder handlungsfähig zu werden.