Blogparade 2019: Die Mischung macht's
Besonders gut hat mir bei dieser dritten Auflage unserer Blogparade gefallen, dass die Beiträge eine schöne Mischung aus grundlegenden Erörterungen und Praxisberichten ergeben. Mich freut besonders – passend zum heutigen Weltfrauentag – dass mehr als ein Drittel der Beiträge von Bloggerinnen stammt, deutlich mehr als in den vergangenen Jahren!
Blogparade 2019: Die Mischung macht's
Besonders gut hat mir bei dieser dritten Auflage unserer Blogparade gefallen, dass die Beiträge eine schöne Mischung aus grundlegenden Erörterungen und Praxisberichten ergeben. Mich freut besonders – passend zum heutigen Weltfrauentag – dass mehr als ein Drittel der Beiträge von Bloggerinnen stammt, deutlich mehr als in den vergangenen Jahren!
Sie lesen gerade den 21. Beitrag unserer diesjährigen Blogparade: "Mehr Erfolg durch neue Freiheiten im Projekt oder viel Wirbel um nichts?" Wir wollten wissen, welche Freiräume Projektverantwortliche heutzutage – also in Zeiten des agilen Booms – genießen, und wie sie diese nutzen. Auch interessierte uns u.a., wer den Wandel befürwortet und was neue Ansätze überhaupt bringen.
"Veränderung im Unternehmen fängt ganz oben an!"
Den Anfang machte Dominic Linder mit einem Erfahrungsbericht zu Scrum of Scrums bei einer Produktentwicklung (Hard- und Software). Das Skalierungs-Framework führte er auf Wunsch des Kunden ein. Das passt zu seinem Fazit, in dem er den Auftraggebern bescheinigt, sich gut auszukennen und zu wissen, was sie wollen.
Henning Zeumer gestaltete seinen Beitrag wie ein Interview: Er verwendete die im Aufruf zur Blogparade genannten Fragen und lieferte jeweils seine Antworten dazu. Auch andere Autoren ließen sich von diesem Format inspirieren und bauten ihre Beiträge ähnlich auf.
Als Sanierer von kriselnden Projekten ist Zeumer in der komfortablen Lage, dass ihm seine Auftraggeber freie Hand lassen. Mehr Überzeugungsarbeit müsse er bei den Mitarbeitern leisten, denn diese seien in der Krise misstrauisch. Aufgrund seines undogmatischen Ansatzes (einsetzen, was wirkt) gelinge ihm dies meist schnell, da die Mitarbeiter früh spüren, dass etwas schiefläuft und daher auch offen dafür sind, etwas anders zu machen. Mehr Probleme bereite das (mittlere) Management; hier werde es oft politisch und die Unterstützung des Auftraggebers sei dringend notwendig.
Folglich ist er der Meinung "Veränderung im Unternehmen fängt ganz oben an!" Nach der Rettung eines strategischen Projektes mit hoher Management-Aufmerksamkeit "kommt meist sogar der Vorstand mit der Frage auf mich zu, was man tun muss, damit sich eine solche Krise nicht wiederholt, und wie man sich für Projektarbeit zukunftssicherer aufstellen kann."
Wann hybrides Vorgehen hilft
Ein starkes Plädoyer für hybrides Projektmanagement hält Anna-Elena Stoehr, "denn dieses unterstützt Veränderungsbereitschaft und erzeugt Veränderungsfähigkeit von Unternehmen." Beide Fähigkeiten müssten heute gegeben sein, auch mitten in Projekten, u.a. weil diese mit unklaren Zielen starteten und Kunden heute miteinbezogen werden wollen. Die Chance, dass hybride Ansätze sich durchsetzen, sei hoch. Drei Widerstände verhinderten dies häufig jedoch: Die Angst von Führungskräften überflüssig zu werden, ihre Furcht vor Kontrollverlust im Projekt und mangelnde Disziplin, die neuen Prinzipien einzuhalten.
Mit dem Thema hybrid und der Rolle der Führungskraft beschäftigt sich auch Dr. Joachim Schlosser. Er fragt: "Funktionieren hybride Rollen für Manager?" Damit meint er die Situation, dass ein Manager im Projektteam als Ansprechpartner für ein Spezialthema fungiert. Die Folge: "Scrum Master, Product Owner, Projektleiter haben also auch die Führungskraft zu führen." Neben diesen "Führungskräften" müsse nicht nur der Manager selbst, sondern es müssten auch alle anderen Teammitglieder mitziehen und den Manager als Teammitglied annehmen, damit dieser in der Rolle funktionieren kann.
Führungskräfte sollten die Mitarbeiter mitnehmen und einbeziehen
Heinz-Detlef Scheer bringt als psychologischer Coach und Trainer die Sichtweise derer ein, die unter Veränderungen leiden. Von ihrer Warte aus fordert er Entscheider auf, die Betroffenen ehrlich aufzuklären: "Meiner Meinung nach geht es gar nicht um die Frage, wie vieles in welcher Zeit tatsächlich wie verändert wird, sondern darum, wie darüber kommuniziert wird." Doch dazu müssten sich die Entscheider erst selbst darüber klar werden, was auf ihre Mitarbeiter zukommt. Viele würden sich diese Mühe nicht machen, sondern stattdessen Phrasen dreschen oder Drohungen ausstoßen.
Roland M. Dürre ist schon etwas länger im Geschäft, er erinnert sich daher noch gut an die vorangegangene Epoche, in der selbst Konzerne große Spielräume zuließen, nämlich in den 1970er Jahren, als schon einmal über die Humanisierung der Arbeitswelt diskutiert wurde (siehe dazu einen sehr lesenswerten Artikel in der NZZ). Als die Situation sich in den 80er Jahren verschlechterte, machte Dürre sich selbstständig. Heute sieht Dürre vor allem den Mittelstand gut aufgestellt, weil dieser offen für Neues sei, was er als entscheidenden Erfolgsfaktor ansieht. Der Mann, den man guten Gewissens als Urgestein der Bar-Camp-Bewegung bezeichnen kann, vertraut den Mitarbeitern und lädt sie ein, sich an allem zu beteiligen. Außerdem solle mehr gefeiert werden, "auch Niederschläge, sozusagen zum Trost".
"Endlich agil" betitelt Franz Kühmayer seinen Beitrag, der ebenso kurz wie prägnant ist. Der Autor warnt vor den "geradezu mythischen Heilsversprechen" der "Apologeten von Holacracy, Scrum und Co.". Seiner Ansicht nach brauchen wir weniger neue Organisationsmodelle, sondern vielmehr ein neues Verständnis von Führung, das er so skizziert: "Künftig stehen vor allem Menschen, Fähigkeiten und Kultur im Zentrum. Willkommen im Zeitalter der normativen Führung."
Thomas Reich konstatiert gleich zu Beginn, dass das Thema "den Nerv der Zeit trifft", "weil der Hype um Scrum und die agilen Methoden in meiner Wahrnehmung gerade einer allgemeinen Ernüchterung zu weichen scheint". Ein schönes Kompliment für uns, das auch erklärt, warum der Autor sich die Mühe gemacht hat, den längsten Beitrag (über 2.000 Wörter) beizusteuern; ebenfalls im Interviewformat à la Zeumer und sehr differenziert geschrieben.
Aufgrund der Länge und inhaltlichen Dichte beschränke ich mich bei diesem Beitrag auf wenige Schlaglichter. Herausheben möchte ich das Lob auf den Bremser: "Ich liebe Bremser und Querdenker. Ich brauche sie. Sie haben ja ihren 'guten Grund' um zu bremsen. Wenn ihre Motive gehört wurden, wurden die größten Bremser nicht selten zu den größten 'Fans'." Konflikt- und Beziehungsmanagement gehen für den Autor Hand in Hand. Wer darauf achte, dass "die Beziehungen Primat haben" könne seine Projekte auf den Ebenen Führung und Entscheidung vier bis sechs Mal effizienter machen. Diese persönliche Studie belegt er mit einer wissenschaftlichen Arbeit (Kotter und Heskett, 1992).
Weiter ging es mit einem Projekt, bei dem sich die Projektleiterin (und Autorin) irgendwann fragte "… und wie beschleunigt man eigentlich Beton?" Was war geschehen? Franziska Gütle leitete ein großes Programm zu Industrie 4.0. Dabei musste sie einige Rückschläge verkraften. Neben ihren drei ganz konkreten Learnings präsentiert sie ihre Erkenntnis, dass veränderungswillige Projektleiter die Menschen abholen und mit gutem Beispiel vorangehen müssen.
Wolfram Müller betont, dass es bei agil vor allem um das Mindset geht. Er möchte es rausholen aus der "Methodenecke" – das ist ihm zu dogmatisch. Stattdessen erweitere die Beschäftigung mit den agilen Prinzipien den Horizont und mache es möglich, auch andere Ansätze zu würdigen (z.B. Lean und TOC).
Wenn Unternehmen Theater spielen
Dr. Eberhard Huber bekennt sich in seinem so kurzen wie pointierten Beitrag umstandslos zur "viel Wirbel um nichts"-Fraktion. Seiner Meinung nach waren erfolgreiche Projekte "schon immer agil", in dem Sinne, dass man beweglich war und ist, um den Kunden zufriedenzustellen. In dem Wirbel, der aktuell um agil gemacht werde, drohten diese Hauptaspekte an den Rand gedrängt zu werden und Nebensächliches gerate ins Zentrum der Aufmerksamkeit, z.B. wenn ein IT-Projektleiter bekennt: "Wir machen nur Scrum, um unsere Mitarbeiter besser kontrollieren zu können."
Der Beitrag "das agile Theater" von Olaf Hinz ist ein Plädoyer für die Vielfalt, um den "Möglichkeitsraum" zu vergrößern: "Wirksames Projektmanagement nutzt die Vielfalt, die unsere Profession bietet…". Stattdessen betrieben zu viele "lieber Nabelschau".
Heiko Bartlog nimmt das Stichwort seines Partners auf (die beiden haben zusammen ein Buch herausgegeben) und spinnt es weiter, vom Theater zum "Transformationstheater": "Agile Transformationen sind häufig nur Theater. Leider. Und das halte ich sogar für ausgesprochen gefährlich!" Viele Transformationen starteten ohne die Überzeugung, "dass Agilität für steigende Dynamik und Komplexität die passende Antwort darstellt". Erkennen könne man diese Theatereinlagen z.B. daran, dass sie ohne eine Erfolgsmessung auskommen. Veränderungswillige Mitarbeiter würden das Schauspiel schnell durchschauen und das Weite suchen, sodass am Ende nur die Schauspieler übrigblieben. Chapeau! für diese konsequente Nutzung der Theater-Metapher.
Ilona Libal gibt Einblick in die Veränderungen bei BMW, für die sie sich sehr eingesetzt hat. Da ihr Beitrag relativ lang ist, beschränke ich mich darauf, die behandelten Themen als Stichworte zu nennen: Kunden zufriedenstellen, Änderungen willkommen heißen, häufige Auslieferung, crossfunktionale Zusammenarbeit, Unterstützung leisten, Vertrauen schenken und kein Cherrypicking betreiben.
Angst ist ein schlechter Lehrmeister
Sabine Pfleger ist aufgefallen, dass "die Angst vor der Disruption umgeht" und diese öffne die Türen zur "schönen neuen Welt der Veränderung", Stichwort "Startup-Kultur". Doch Angst ist ein schlechter Lehrmeister, die Beispiele von Dr. Eberhard Huber für ein pervertiertes New Work sind ihr offenbar nur allzu gut bekannt. Daraus schließt sie, dass "die oberste Riege der Führungskräfte … Privilegien abgeben muss." Nur so könnten die Mitarbeiter ihr Potential zur Wertschöpfung einbringen. Abschließend konstatiert sie, dass "der Erfolg und das Fortbestehen des Unternehmens maßgeblich davon abhängen, ob es gelingt, diese Potenziale zu aktivieren."
Auch Martina Blust genießt als Beraterin große Freiheiten und kann sich auf die Veränderungsbereitschaft ihrer Auftraggeber verlassen. In ihrem "Interview" unterscheidet sie zwischen Mitarbeitern, die das große Ganze sehen und sich als "Beteiligte" begreifen und denjenigen, die sich auf die Hürden in Ihrem direkten Umfeld konzentrieren und sich als "passive Betroffene" verstehen. Noch mehr als andere Blogger lehnt sie U-Boot-Projekte ab, sie hält sie "für ein Symptom fehlenden Mutes zur Transparenz und geringer Konsequenz."
Angelika Collisi stand vor der Herausforderung, in traditionellen Strukturen agil zu arbeiten – was aufgrund schlechter Erfahrungen als Tabuthema galt. Mit Findigkeit und Fingerspitzengefühl gelang es ihr "Scrum ohne Scrum" und "agil ohne Methodenfokus" einzuführen.
Wann schmilzt der Permafrost in den Unternehmen?
Marc Widmann lehnt sich mit seinem Beitrag "Agiler Wirbel?!" an Dr. Eberhard Huber an. Auch er plädiert für eine frühe und enge Abstimmung mit dem Kunden und für ein pragmatisches Vorgehen, bei dem Treiber von Veränderung "in unterschiedlichen Umgebungen unterschiedliche Klaviaturen spielen sollen". Auch er sieht das mittlere Management als Bremse, das Entscheidungen verlangsamt oder gar blockiert. Dafür erhält es vom Autor den Spitznamen "Permafrost".
Birgit Mallow fragt "Transformation - oder Transformationstheater?" und arbeitet sich am Beitrag ihres "großartigen Netzwerk-Kollegen Heiko Bartlog" ab. Ihrer Erfahrung nach sind "Experimente sehr sinnvoll, wenn sie ernsthaftes Verproben und nicht nur Alibi sind." Im Zentrum müsse jedoch immer die Frage nach der Wertschöpfung stehen. Im beschriebenen Unternehmen habe sich darüber der Projektbegriff gewandelt: "Projekte werden jetzt produktorientiert definiert und als große 'Themen' in die Hände stabiler agiler Teams gegeben und nicht mehr Menschen den Projekten zugeordnet. Das ist ein maßgeblicher Faktor, um zu einem gleichmäßigen produktiven Arbeitsfluss zu kommen."
Die Gewinner der Verlosung sind übrigens Dr. Joachim Schlosser (das Ticket für die PM Welt 2019), Angelika Collis, Roland M. Dürre und Olaf Hinz (Jahresabonnement des projektmagazins). Herzlichen Dank an alle Teilnehmer und alle, die für die Aktion geworben haben!
Besonders hervorheben möchte ich Hennig Zeumer, der mit seinem Beitrag nicht nur stilbildend wirkte, sondern auch über Kommentare und Tweets die Diskussion befeuerte (aufgrund unseres Relaunchs fehlen die Kommentare auf der Seite der Blogparade, wir bemühen uns jedoch, die wichtigsten Kommentare baldmöglich nachzureichen).