Heiße Luft in kalten Schläuchen?! – Jein!
Heiße Luft in kalten Schläuchen?! – Jein!
Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der Blogparade zur PM Welt 2019:
"Mehr Erfolg durch neue Freiheiten im Projekt oder viel Wirbel um nichts?"
Zuerst hatte ich Bedenken, meine Sicht der Dinge zu den aktuellen Veränderungen und Trends aus meiner Perspektive als psychologischer Coach und Trainer u.a. von Projektleitern zum Besten zu geben, weil ich nicht schon wieder in die Schublade "satirisch gefärbte Abwehrhaltung" gesteckt werden wollte. In Gesprächen mit Kollegen und Kunden passiert mir das schnell, wenn diese mich aus heiterem Himmel in eine Art Buzzword-Fight (mit Begriffen wie "Agilität", "Scrum", "Design Thinking", Digitalisierung in der "VUCA-Welt" usw.) verwickeln.
Nach Bestätigung von Kollegen und Seminar- wie Coaching-Kunden beteilige ich mich nun an dieser Debatte. Ein paar einfache Gedanken sollen verdeutlichen, um was es meinen Kunden häufig geht (und deswegen auch mir). Ihre Ängste schätze ich als sehr real ein, sie sind mehr als überflüssige Stressfaktoren, die leicht zu beheben wären.
"Alles bleibt beim Alten – nichts ändert sich!"
Dies ist eine der beliebteren Antworten derer, die es lieber gar nicht wahrhaben wollen, sich mit dem Thema zu beschäftigen und deswegen gerne die Meinung zu Markte tragen, dass die wesentlichen Dinge zwischen Menschen immer noch dieselben sind (womit sie ja nicht ganz unrecht haben) Aber: Das heißt ja eben nicht, dass sich nicht trotzdem etwas ändert!
Natürlich ändert sich alles, und zwar laufend und das nicht erst seit gestern. Seit den ersten Versuchen so etwas wie eine Gemeinschaft von Menschen zu regeln, sodass möglichst wenig Schaden entsteht oder viel Gewinn zusammenkommt (oder von mir aus auch ein Weltreich wie das der alten Ägypter), gibt es bahnbrechende Erfindungen der Kommunikationsmöglichkeiten (z.B. Sprache) und um Daten zu speichern (z.B. Schrift) usw., und jeder einzelne Bestandteil von diesem Großen und Ganzen wurde immer wieder und schneller weiterentwickelt.
Die Frage war schon immer, wer davon tatsächlich betroffen ist und ob nicht auch ein Leben abseits dieser Änderungen vollkommen normal gelebt werden kann. Wer nicht betroffen ist, dem schadet es auch nicht. Doch Vorsicht: Hier spielt Geschwindigkeit eine wichtige Rolle: Dauert es mehrere Generationen, bis eine wesentliche Änderung umgesetzt oder zu Ende entwickelt ist, kann man sich ohne Schaden außerhalb dieser Änderungen vergnügen.
Ändern sich wesentliche Dinge wie z.B. Kommunikationswege mehrfach, vielleicht nicht in einer Generation, aber im Laufe eines Menschenlebens, kann das schon erhebliche Schwierigkeiten auslösen. Und das führt dann bei einzelnen oder ganzen Gruppen zu Stress oder Ablehnung, bis hin zum Rückzug oder dem Ausschluss aus einer Mainstream-Gemeinschaft, die sich gerade darum nicht wirklich kümmert. Z.B. sparen sich in meinem Wohnort Bremen einige Banken die Schalter. Wer nicht mit Automaten klarkommt, hat ein Problem.
"Alles ändert sich so schnell, dass es viele Menschen vollkommen überfordert!"
Dies spiegelt offenbar die Stammtisch-Verzweiflung derer wider, die sich auf der Ebene der Opfer solidarisieren möchten und sich schlicht zu wenig mit den tatsächlichen Veränderungen beschäftigen (müssen). Mit zunehmender Beschleunigung von Änderungen – man denke nur an die erste industrielle Revolution – muss der einzelne Mensch mit Veränderungen leben, die er entweder bewältigt oder unter denen er leidet, im schlimmsten Fall sogar daran zugrunde geht. Immer wieder geraten in diesem Zuge ganze Gruppen an den Rand der Gesellschaft:
Die Weber verloren ihre einst gute Stellung und konnten, nur noch – metaphorisch gesprochen – am Fließband einigermaßen überleben. Ein Beispiel aus unserer Zeit ist der Beruf des LKW-Fahrers: Einst war er mit Freiheit und Abenteuer verbunden, heute schon mit Stress und Kontrolle, und die Fortschritte beim autonomen Fahren werden diesen Beruf wohl verschwinden lassen.
Bleiben wir beim Thema Auto: Wer es heutzutage schafft, sein Auto 15 Jahre lang zu fahren, der braucht anschließend einen Kurs, sonst findet er sich im Cockpit eines Neuwagens ohne Hilfe nicht mehr zurecht. Da können manche Menschen – ich eingeschlossen – schon überfordert sein und hier und da die Segel streichen, wenn sie nicht einmal mehr die Erklärung für die Funktion eines bestimmten "Gerätes" oder einer "Software" verstehen.
Andererseits lernt man eigentlich nebenbei die Veränderungen zu meistern, die einen direkt betreffend, beruflich oder privat. Und auf anderen Gebieten muss man ja nicht unbedingt professionell-erfolgreich agieren, oder? Man darf nur keine Pause einlegen, dann ist man draußen!
Nur Aufklärung vermeidet Stress – doch gerade daran mangelt es
Quintessenz nicht nur für mich: Also was denn nun?! Eigentlich ist es ganz einfach – und zwar so wie Henning Zeumer es dankenswerterweise in seinem Beitrag für diese Blogparade darstellt: Es gibt von "beidem" etwas. "Ambidexterity" needed?! "Ja!", kann ich da nur sagen. Überspitzt würde ich ergänzen: "Wer nicht beide Welten beherrscht, fliegt aus dem Spiel!" Aber was soll das sein: "Beide Welten“? Hat es je zwei wirklich diametral unterschiedlich (re-)konstruierbare Welten gegeben? Wohl kaum. Würde das einer ernsthaft behaupten, gäbe es Protest. Zurecht. Denn das wäre weltfremd.
Wie schon seit den alten Ägyptern liegt die Crux einmal mehr nicht in den Veränderungen selbst, vielleicht nicht einmal in ihrer Geschwindigkeit, sondern eher in der Kommunikation über damit verbundene Ängste, Vorhersagen, Verheißungen, Hoffnungen und andere Phänomene, die die menschliche Wahrnehmung in erheblichem Maße steuern. Schon die radikalen Konstruktivisten waren überzeugt, dass unsere Sprache die Welt erschafft, in der wir leben. Kaum einer zweifelt diese "Weisheit" heute noch an. Da hilft auch alle Technik kaum.
Echte Missverständnisse, Eskalationen derselben und die damit verbundenen glorreichen oder katastrophalen Handlungen mit all ihren Folgen liegen eher an der (mangelnden) menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit und der daraus resultierenden, eher eigenartigen als objektiven Reflexion über sogenannte "Wirklichkeiten" als an den Wirklichkeiten selbst. Meiner Meinung nach geht es gar nicht um die Frage, wie vieles in welcher Zeit tatsächlich wie verändert wird, sondern darum, wie darüber kommuniziert wird.
Damit Veränderung gelingt, muss die Kommunikation darüber gelingen
Es ist die Art und Weise, wie heute noch in eher althergebrachten Denkstrukturen lebende Verantwortliche – z.B. Führungskräfte – über ihnen weitgehend unbekannte Veränderungen sprechen, die bei den davon betroffenen Menschen Angst und Schrecken auslösen.
Solange Führungskräfte nicht lernen zu sagen "weiß ich nicht, ich mache mich dazu schlau!", wenn Sie gefragt werden, und stattdessen irgendeinen Begriff falsch erklären (oder gar erfinden) oder – statt sich zu kümmern – mit einer gefährlichen, nicht beherrschbaren Zukunft zu drohen, wird sich nichts ändern.
Noch schlimmer wird es nur, wenn die Führungskräfte wenigstens ahnen, was auf Ihre Mitarbeiter zukommt, aber keine Unruhe oder gar Kündigungen auslösen wollen. Auf dieser Grundlage entsteht zuweilen eine gefährliche Double-Bind-Botschaft: "Was auf uns zukommt wird zwar kaum zu bewältigen sein, aber das schafft jeder von uns (von Euch) problemlos." Man mag sich kaum vorstellen, wie jeder einzelne Mitarbeiter darauf reagiert.