Wenn die Führungskraft am Regler schiebt: VOPA+
Wenn die Führungskraft am Regler schiebt: VOPA+
VOPA+ scheint, wenn man die Diskussionen in der entsprechenden Literatur der letzten Zeit betrachtet, der Führungs-Schlüssel für die VUCA-Welt zu sein. Jedenfalls, wenn man es nicht französisch ausspricht und dabei das "+" weglässt! Was soll das heißen? Ich scheue mich nicht, VUCA und VOPA+ kurz zu erläutern, denn es scheint so zu sein, dass viele die Ausdrücke zwar kennen, aber nicht (genau) wissen, was sie bedeuten sollen.
VUCA setzt sich zusammen aus
- Volatility (≈ Flüchtigkeit), für häufige sprunghafte Veränderungen,
- Uncertainty (≈ Unsicherheit), für unklare, nebulöse Unsicherheiten,
- Complexity (≈ Komplexität im Gesamtkontext (des digitalen Zeitalters)) von eben auch Führungsaktivitäten, und
- Ambiguity (≈ Mehrdeutigkeit, steht für eine teilweise unscharfe, ja widersprüchliche Umwelt).
Dass das eine gültige Beschreibung für eine sich beschleunigende Globalisierung, gepaart mit Digitalisierung und sich verändernden Unternehmensstrukturen weltweit ist, wird kaum jemand bestreiten.
VOPA+ als Antwort auf VUCA
Das Akronym VOPA+ steht für ein sich darauf einstellendes Führungsverhalten, wurde von Dr. Willms Buhse entwickelt. Die Bedingungen bzw. Merkmale dieses agilen Führungsmodells sind:
- Vernetzung bedeutet, dass die Führungskraft sich mit allen relevanten Informationsträgern (Mitarbeitern, Kollegen, Kunden, Lieferanten auf jedem erdenklichen Weg vernetzt: (Soziale) Netze gehören möglicherweise auch dazu, im Grunde alle virtuellen Netzwerke einer auftragsrelevanten "Community"
- Offenheit ist dabei unverzichtbar. Alle Beteiligten müssen jederzeit alle wichtigen Informationen haben, um entsprechend agieren zu können
- Agilität bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem, dass die Führungskraft sich ständig auf die sich verändernden Bedingungen einstellen (können) muss, aber auch, dass in möglichst kurzen Feedback-Schleifen der jeweilige Fortschritt beispielsweise einer Entwicklung iterativ von der Führungskraft vorangetrieben wird.
- Partizipation bedeutet hier, dass die Mitarbeiter nach ihrer jeweiligen Kompetenz und Erfahrung von Anfang an tatsächlich in die z.B. Entwicklungsprozesse mit einbezogen werden. Hier seien als Beispiel selbststeuernde quasi autonome Arbeitsgruppen genannt, die in einer Fehler duldenden Kultur agil handeln und entscheiden.
- plus Vertrauen, ohne dass kein einziger Punkt wirklich erfolgreich mit Leben erfüllt werden könnte.
Führungskräfte müssen verschiedene Führungsstile beherrschen
Betont wird in diesem Zusammenhang gerne, dass Führung in der sich weiter beschleunigenden Komplexität des Digitalen Zeitalters nur erfolgreich sein kann, wenn eine Führungskraft sich situativ ständig den wechselnden Bedingungen anpasst und in der Lage ist, sowohl "klassisch" als auch agil zu führen. Diese Führungskompetenz wird zuweilen "Beidhändigkeit" (Ambidexterity) genannt.
Folgendes Bild, das ich sehr passend finde, wird hier immer öfter bemüht: Die Führungskraft sitzt an einer Art Mischpult und hat vor sich einen Schieberegler. Diesen nutzt sie, um zwischen eher hierarchisch geprägten, starren Entscheidungskontexten und dem tendenziell flexiblen, agilen Agieren in flexiblen Netzwerken autonom handelnder sowie entscheidender Akteuren zu wechseln. (siehe Bild) Ihr Führungsrepertoire reicht also vom Führen Par Ordre Du Mufti, bis hin zu einer extrem lockeren Führung, mehr in der Funktion eines Coaches oder Mentors oder wie eine Art Supervisor agiert.
Durch Diskussionen in Seminaren mit Projektleitern und Führungskräften habe ich zwei, mehr oder weniger emotionsgeladene, Reaktionen auf dieses Führungsmodell kennengelernt:
- "Das haben wir doch alles schon immer so gemacht – da wird doch nur eine neue Sau durchs Dorf getrieben!"
- "Wer sich da nicht ganz schnell drauf einstellt, der hat im digitalen Zeitalter verloren!"
Die Wahrheit dürfte beruhigender Weise einmal mehr irgendwo in der Mitte liegen, oder anders ausgedrückt: Beide Einwürfe sind natürlich richtig! Wer sich in der Vergangenheit als starrer und unbelehrbar hierarchisch orientierter Entscheider zeigte, wird auch in Zukunft nicht unbedingt dazu beitragen, dass sich sein Unternehmen an die ständig wechselnden und sich beschleunigenden Kontextbedingungen anpasst.
Stellen wir die richtigen Fragen?
Vorschlag: Wie wäre es, wenn wir aufhören würden, mit immer neuen englischen, "denglischen" und sonstigen Wortneuschöpfungen – die wir am liebsten abkürzen und nur kurz oder gar nicht erläutern – um uns zu werfen, und stattdessen unsere Energie eher darauf verwenden, zu besprechen, was eigentlich wichtig ist: Das Verhalten in sich ständig ändernden Kontexten beispielsweise. Wie wir unter welchen Umständen miteinander umgehen wollen, wie wir Entscheidungen treffen und wer wann unter welchen Umständen was zu verantworten hat, uvm. Sie sagen jetzt: "Das ist doch dasselbe, das tun wir doch gerade!"?
Da bin ich mir nicht ganz sicher: Die Erfahrung aus diversen Diskussionen in Seminaren und im Coaching usw. zeigt mir nämlich, dass viele die Ausdrücke zwar kennen, aber nicht wissen, was sich dahinter verbirgt. Und nicht wagen zu fragen. Erstens weil sie sich nicht als "dumm" darstellen wollen, und zweitens, weil sie bereits die Erfahrung gemacht haben, dass sie mit den Antworten nicht besonders viel anfangen können.
Das erinnert mich wiederum an die "alte Welt" der ausschließlich autoritären, hierarchisch geprägten Führung per Kommando. Sie vielleicht auch? Was haben Sie für Erfahrungen gemacht in der VUCA-Welt oder mit VOPA+ oder anderen Phänomenen des sich entwickelnden digitalen Zeitalters?
Dr. Georg Angermeier
09.05.2017