Agile Leadership und Situative Führung im Praxistest So fördern Sie Selbstorganisation im Projekt
Die Kontrolle von Arbeitspaketen und die Betreuung Ihrer Projektmitarbeiter verschlingt einen Großteil Ihrer Arbeitszeit? So ging es auch Dominic Lindner und Margaux Sagne. Um mehr Zeit zu haben, erprobten beide ein Jahr lang jeweils einen neuen Führungsstil. Erfahren Sie, welche Erfahrungen die beiden Autoren machten – und warum sie aktuell den Führungsstil des jeweils anderen ausprobieren.
Agile Leadership und Situative Führung im Praxistest So fördern Sie Selbstorganisation im Projekt
Die Kontrolle von Arbeitspaketen und die Betreuung Ihrer Projektmitarbeiter verschlingt einen Großteil Ihrer Arbeitszeit? So ging es auch Dominic Lindner und Margaux Sagne. Um mehr Zeit zu haben, erprobten beide ein Jahr lang jeweils einen neuen Führungsstil. Erfahren Sie, welche Erfahrungen die beiden Autoren machten – und warum sie aktuell den Führungsstil des jeweils anderen ausprobieren.
Hierarchische Organisationen mit Kontrollgremien und Managern wandeln sich zunehmend in vernetzte und projektorientierte Unternehmen, die auf Geschwindigkeit und Innovation optimiert sind (vgl. Urbach 2016). Planorientierung, Langfristigkeit und homogene Teams gehören der Vergangenheit an, denn Methoden wie Scrum und Co. machen unsere Arbeitswelt heterogen, schnell und flexibel.
Selbstorganisation im Projekt fördern
Diese neuen Arbeitsbedingungen erfordern von allen Mitarbeitern einen hohen Grad an Selbstorganisation. Projektmanager selbst sind meist sehr gut organisiert und benutzen vielfältige Methoden, um den Überblick über die eigenen Projekte zu behalten und diese mithilfe von Listen und Tools zu steuern. Doch die Selbstorganisation der Mitarbeiter stellt sie vor neue Herausforderungen: Sie müssen diese dazu anleiten und coachen, ebenfalls selbstorganisiert sowie eigenverantwortlich zu arbeiten (vgl. Lindner 2017). Zudem setzen sie den Rahmen, in dem die Mitarbeiter sich in diese Richtung entwickeln können. Gloger und Rößner stellten dazu bereits 2014 fest, dass Selbstorganisation in einem Team nur bei entsprechender Führung gelingt.
Als Berater, die viele Projekte im Automotive-Bereich leiten, sind auch wir bereits seit mehreren Jahren von diesem Trend betroffen und unterstützen ihn. Wir sind der Meinung, dass Projektleiter von selbstorganisierten Teams viel Zeit einsparen – verglichen besonders mit dem klassischen, auf Controlling basierendem Führungsverständnis, bei dem die Gefahr groß ist, dass der Projektleiter die Mitarbeiter selbst anleitet.
Viele Wege führen nach Rom
Daher beschlossen wir Anfang 2016, für die Dauer eines Jahres jeweils eine Führungsmethode zur Förderung von Selbstorganisation in unseren aktuellen Projekten zu erproben. Margaux Sagne entschied sich für das "situativen Führen", einen komplexen Mix aus Führungsmethoden, die je nach Situation, Entwicklungsstand und Motivation des Mitarbeiters eingesetzt werden. Ich hingegen nutzte vorwiegend die "agile Führung", welche den Mitarbeiter coacht und ihn befähigen soll. Wir entschieden uns bewusst für zwei recht unterschiedliche Methoden, um die volle Bandbreite der Führungsstile von stark vertrauend bis stark kontrollierend zu erproben.
Mit vorliegendem Beitrag möchten wir unsere größtenteils positiven Erfahrungen teilen und zur Diskussion stellen. Uns als Projektleitern hat die wachsende Selbstorganisation unserer Mitarbeiter unterm Strich viel Zeit gespart: Wir konnten bereits nach drei Monaten durchschnittlich 40 Stunden monatlich, also eine Arbeitswoche, einsparen. Nach knapp zwölf Monaten hatten wir diese Ersparnis auf knapp 80 Stunden verdoppelt.
Praxisbeispiel 1: Agile Leadership
Der Begriff "Agile Leadership" ist nicht genau definiert. Wir verstehen darunter einen Führungsansatz, der auf den Prinzipien dienende Führung, Augenhöhe und Delegation beruht.
Aufgrund häufig wechselnder Anforderungen und einer hohen Dynamik in den Kundenwünschen beschloss ich, das Team agiler aufzustellen, d.h. die Mitarbeiter stärker miteinander zu vernetzen, sie zu befähigen, Entscheidungen selbst zu treffen und kundennäher zu agieren, um schneller Ergebnisse zu erzielen. Aufgrund meiner Promotion zum Thema Agilität besaß ich bereits ein breites theoretisches Wissen zu Agilität und Führung und freute mich, dieses Wissen nun praktisch auszuprobieren.
Das Team agil aufstellen
Mein fünfköpfiges Team leistete Consulting-Dienstleistungen für einen Automobilhersteller: Wir unterstützten unseren Kunden an verschiedenen Stellen bei der Digitalisierung von Services. Das Projekt war zwei Jahre zuvor mit zwei Beratern als Pilotprojekt gestartet und wurde mit meinem Eintreten Anfang 2016 auf fünf Berater aufgestockt, welche alle Vollzeit im Projekt arbeiteten. Es endete termingerecht im Januar 2017.
Mir wurde das Projekt übertragen, weil die bisherige Projektmanagerin das Unternehmen verlassen wollte; sie verblieb während einer dreimonatigen Übergangszeit als zweite Senior-Beraterin im Team und unterstützte mich dabei, sowohl das Projekt, als auch das Agile Leadership zu etablieren. Auch für Sie bedeutete dieser Führungsansatz Neuland, jedoch konnte ich von Ihrer Projekterfahrung profitieren und mich intensiv mit ihr auszutauschen. Auch sie war überzeugt, dass die Erprobung dieser agilen Führung ein Schritt in die richtige Richtung ist und hatte bereits selbst mit dieser Methode experimentiert.
Auswahl neuer Teammitglieder
Die zusätzlichen Teammitglieder wählten wir danach aus, dass das Team – sowohl von den Kompetenzen als auch den Charakteren her – breit aufgestellt war: Es sollte für jede Situation den passenderen Charakter oder Experten haben, um dem Kunden jederzeit besten Service zu bieten. Unsere Experten zeichneten sich dementsprechend durch unterschiedliche Fachbereiche und Interessen aus. Das Team umfasste zwei Senior Berater, die den Kunden bereits seit über zwei Jahren betreuten, einen Berater mit drei Jahren Erfahrung sowie zwei Juniors, welche erst kürzlich in den Beruf eingestiegen waren. Mit dem Ausscheiden meiner Vorgängerin nach drei Monaten verloren wir einen Senior Berater.
Kommunikation im verteilten Team
Nicht nur bei der Führungsmethode betrat das Projekt Neuland: Wir alle standen erstmals vor der Situation, dass sowohl die Kommunikation mit dem Kunden, als auch die innerhalb des verteilen Teams (Nürnberg und München), überwiegend virtuell stattfand. (Aufgrund interner Richtlinien des Kunden ist eine dauerhafte Anwesenheit des Beraters beim Kunden nicht mehr gewünscht). Abgesehen von einem wöchentlichen Besuch am Mittwoch, prägten Telefon- und Webkonferenzen sowie E-Mails die Kommunikation.
Vor Ort stimmten das Team und ich neue Aufgabenpakete mit dem Kunden ab, stellten abgeschlossene, große Arbeitspakete vor und ließen sie abnehmen (kleinere Aufgaben übermittelten wir zwischendurch per E-Mail). Die Berater verbrachten den Großteil des Tages in oft parallel stattfindenden Meetings mit ihren unterschiedlichen Ansprechpartnern.
Da es mir als Projektleiter unmöglich war, allen Meetings beizuwohnen, war es mir wichtig, dass die Berater selbstorganisiert die Aufgabenpakete abholen und liefern konnten. Zudem hätte ich fundierte Entscheidungen erst nach ein bis zwei Tagen Einarbeitung in das jeweilige Teilprojekt treffen können – im Sinne unseres agilen Ansatzes zu spät!
Vertrauensaufbau unter erschwerten Bedingungen
Dieser wöchentliche Besuch war auch die einzige Gelegenheit, zu der das Team zusammentraf. Speziell für die Junior-Berater im Projekt und mich als neuen Projektleiter war es schwer, mit dem wenigen direkten Kontakt das nötige Vertrauen zu den Mitgliedern meines Projektteams aufzubauen. Auch Coaching ist auf Distanz weniger effektiv, als ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht.
Die Prinzipien von Agile Leadership im Projekt
Augenhöhe
Nach der erfolgreichen Pilotphase (2014-15) wollte der Kunde das Projekt skalieren. Ich benötigte daher drei neue Teammitglieder. Um Freiwilligkeit zu etablieren, die einen wichtigen Aspekt des Prinzips der Augenhöhe darstellt, rekrutierte ich die neuen Teammitglieder aus den Bewerbern, die wir für das Projekt begeistern konnten. Dazu hatte ich dieses in unserem Unternehmen mit einem Pitch beworben (siehe dazu den Methodensteckbrief zum Elevator Pitch). Auf die drei Stellen bewarben sich fünf hochmotivierte Kollegen.
Im Projektalltag achtete ich darauf, stets auf Augenhöhe mit den Mitarbeitern zu kommunizieren und diese im Sinne von Wertschätzung nachhaltig zu motivieren, z.B. durch positives Feedback und indem ich sie beim Verwirklichen ihrer Ziele unterstützte. Beispielsweise war es einem Mitarbeiter wichtig, Kenntnisse im Bereich Big Data aufzubauen und die Excel-Reportings durch eine innovative Visualisierungslösung wie Tableau zu ersetzen. Dies zahlte sich später aus.
Dienende Führung
Um hier erfolgreich zu sein, darf ein Projektmanager sich nicht profilieren wollen, sondern sollte Bescheidenheit an den Tag legen. Daher konzentrierte ich mich von Anfang darauf, als Coach des Teams zu agieren, der diesem dabei hilft, sich selbst zu organisieren (siehe dazu den Blogbeitrag "Führung 4.0 – machen, dass Dinge sich machen").
Delegieren
Das Erreichen dieser Selbstorganisation ist jedoch kein einfacher Prozess. Der "Agile Leader" unterstützt seine Mitarbeiter in diesem Prozess auch durch das gezielte Delegieren von immer anspruchsvolleren und komplexeren Aufgaben. Ich musste dabei in unserem Projekt sehr vorsichtig vorgehen, da zum einen die Komplexität speziell den Berufsanfänger leicht überfordern konnte (was auch vorkam, dazu später mehr), und zum anderen spezielle Prozesse und besondere Vereinbarungen des Kunden eingehalten werden mussten.
Zudem ist nicht jeder Berater andauernd in der gleichen Phase – speziell der "normale" Berater in unserem Team erreichte eine Selbstorganisation durch längere Berufserfahrung schneller als die Junior Berater. Die Senior Berater waren bereits seit zwei Jahren im Projekt und hatten dieses mit aufgebaut, sodass diese bereits vollständig selbstorganisiert arbeiteten. Gemeinsam mit meiner Vorgängerin verhalf ich den Junior-Beratern und dem Berater – orientiert an den Vorschlägen von Appelo (s. Appelo, 2010) – in drei Phasen zur Selbstorganisation. Hierzu stellen wir im Folgenden einerseits die drei Phasen vor und beschreiben weiterführend die Werkzeuge, welche wir in der jeweiligen Phase verwendeten. Tabelle 1 liefert einen Überblick über die drei Phasen.
Jurgen Appelo gilt als wichtiger Agile-Experte. Er ist u.a. Autor der Bücher "Management 3.0" und "Management for Happiness". Dort stellt er die verschiedenen agilen Methoden zur Teamführung vor und liefert praktische Beispiele und spielerische Ansätze, die das Umsetzen seines Führungsansatzes erleichtern, z.B. die Moving Motivators (siehe dazu auch den Fachbeitrag "Agile Engineering – agile Methoden im Maschinenbau", Projekt Magazin 02/2016).
1. Phase: Directing
Speziell bei neuen Mitarbeitern oder Beratern besteht die erste Phase oftmals aus dem "Eintauchen" in die jeweiligen Abteilungen und Themenbereiche des Kunden. In unserem Fall begann sie mit dem Eintritt der zwei Junior- Berater und des Beraters ins Projekt. Je nach Erfahrungsstufe verbleiben die Berater länger oder kürzer in dieser Phase. Meine Junior-Berater benötigten hierfür ca. sechs und der Berater drei Monate.
Sozialisierung des Mitarbeiters an den Kunden und das Team
Meine Vorgängerin und ich legten unser Augenmerk darauf, den Mitarbeitern zu vermitteln, wie wichtig es ist, die Kultur und die ungeschriebenen Gesetze und Regeln, die bei diesem Kunden galten, zu verinnerlichen. Gleiches galt für die Qualitätsansprüche, denen alle im Team unbedingt gerecht werden mussten. Das "Directing" ist für uns abgeschlossen, sobald der Berater ein Gefühl für den Kunden entwickelt hat.
Aus den Überlegungen von Apello haben wir drei konkrete Schritte abgeleitet, in denen der Mitarbeiter sozialisiert wurde:
- Der neue Mitarbeiter wird dem Kunden und auch dem Team vorgestellt. Er ist damit informiert, an wen er sich mit welchen Fragen wenden kann. So kann der Mitarbeiter sich ein eigenes Netzwerk aufbauen, das eine wichtige Grundlage seiner Selbstorganisation darstellt.
- Der Mitarbeiter wird informiert, welche Dokumente (Projektdokumentation, Meetingprotokolle, Lastenhefte, etc.) er für welchen Zweck (technisch, fachlich, etc.) benötigt und wo er diese findet. Damit soll er oder sie sich gezielt in das Projekt und die Vorgaben und Bedürfnisse des Kunden einlesen und so die Anfangszeit im Projekt, in welcher er keine festen Aufgaben hat, sinnvoll füllen. (Dafür stehen einem neuen Mitarbeiter in den ersten 14 Tagen oft 20 Stunden pro Woche zur Verfügung. In den folgenden zwei Wochen sinkt die Zeit auf ca. 5-10 Stunden, nach ca. einem Monat ist er voll ausgelastet mit Projektaufgaben.)
- Alle Dokumente oder Arbeitspakete müssen vor Auslieferung an den Kunden gesichtet werden. Der Berater erhält unverzüglich Rückmeldung zur Qualität seiner Arbeit. Anhand dessen erfährt er praxisnah, was er aufgrund der Anforderungen des Kunden beachten muss. Prüfung und Feedback übernahmen entweder meine Vorgängerin, ich oder der andere Senior-Berater.
Feedback
Zu Tagesbeginn sprach ich mit jedem Mitarbeiter jeweils 15 Minuten über seine Tages-Aufgaben. Da dem Mitarbeiter bei der Aufgabenbearbeitung fast zwangsläufig Fehler unterlaufen, erhält er zu jeder Aufgabe ein schnelles Feedback. Dieses sogenannte Echtzeitfeedback erfolgte in der Regel wenige Stunden nach der Fertigstellung der Aufgabe und soll die Motivation hochhalten.
Positive wie negative Emotionen werden in dem Moment erlebt, wo ich mir die Aufgabe anschaue. Und genau in dieser Situation erhält der Berater ein wirklich unverfälschtes Feedback. Daher ist dieses um ein Vielfaches wertvoller als ein Feedback, das erst ein bis zwei Tage später gegeben wird, da die Eindrücke des Feedbackgebers in der Zwischenzeit verblasst sind und auch der Empfänger des Feedbacks die Aufgabe im Kopf bereits abgeschlossen hat (für grundsätzliches Feedback bedienten wir uns des "Feedbackburgers", siehe dazu den Exkurs vor dem Fazit).
Beispiel: Ein Junior Berater erstellte eine PowerPoint-Präsentation für einen ITIL Prozess zur Wartung des Systems. Er kannte nicht alle Richtlinien des Kunden für Präsentationen (Farbe, Schriftart, Layout, etc.). Diese wurden ihm anschließend in einem Feedbackgespräch genannt. So konnte der Berater dauerhaft alle Powerpoints im richtigen Format liefern.
2. Phase: Protecting
Auch in der zweiten Phase kontrolliert der Projektleiter die Arbeit des Mitarbeiters, bevor sie dem Kunden übergeben wird. Jedoch aus einer anderen Motivation heraus, nämlich um den Mitarbeiter zu schützen. Denn dieser benötigt Zeit für die Umstellung auf selbstständiges Arbeiten. Diese Phase ist sehr wichtig, da sonst die Gefahr besteht, dass neue Mitarbeiter "verbrannt werden", z.B. weil sie sich überfordern oder weil der Kunde einen falschen ersten Eindruck erhält und ihre Entfernung aus dem Projekt fordert.
Beispiel: Für unseren Kunden mussten wir ein ca. 50-seitiges Lastenheft schreiben. Im Rahmen seiner Weiterentwicklung übertrug ich dies dem Berater. Dieser erstellte das Lastenheft wie verabredet innerhalb von drei Tagen und schickte es zur Prüfung an mich als Projektleiter. In unserem internen Review stellten wir fest, dass einerseits wichtige Kapitel wie z.B. das Glossar fehlten, und andererseits die Gliederung nicht der vom Kunden vorgegebenen entsprach. Wir erklärten den Berater anschließend anhand seines Lastenhefts, welche spezifischen Anforderungen der Kunde daran stellte.
Zeitpuffer
Die Verzögerung um das Lastenheft führte dazu, dass ich es selbst fertigstellen musste, damit der Kunde es termingerecht erhielt. Um einen solchen Mehraufwand für den Projektleiter zukünftig zu vermeiden, plane ich seitdem Zeitpuffer ein, damit der Mitarbeiter die Aufgabe selbst vervollständigen kann. Seitdem beschränke ich mich darauf, das Ergebnis gegenzulesen und den Berater mit entsprechenden Informationen und Beispielen (z.B. einem anderen Lastenheft) zu versorgen.
So verfuhr ich anschließend mehrmals erfolgreich mit genanntem Berater, den die Erfahrung mit dem Lastenheft glücklicherweise motiviert hatte, an dieser Kompetenz zu arbeiten. Ich unterstützte ihn dabei (meine Vorgängerin war mittlerweile ausgeschieden), indem ich ihm kleinere Lastenhefte (z.B. für Changes mit 10-15 Seiten) übertrug. Heute würde ich nicht zögern, ihn um ein komplettes Lastenheft zu bitten.
Täglich aufgabenbezogenes Coaching
Zusätzlich führte ich damals für größere Arbeitspakete (ab drei Tagen) ein kurzes tägliches Jour fixe ein, in dem mir der Mitarbeiter den Stand der Aufgabe meldete und sein weiteres Vorgehen skizzierte, wozu er Feedback und Empfehlungen erhielt. Aufgrund des Feedbacks und des konstanten Coachings konnte ich die Aufgabenpakete immer weiter vergrößern, da der Berater immer selbstständiger wurde.
Das Ziel vorgeben, aber nicht den Weg!
In der Protecting-Phase sprach ich mit den Junior-Beratern häufig über unser gemeinsames Ziel und über die Rolle, welche ihre konkrete Aufgabe dabei spielte. Ich erläuterte dabei stets das gewünschte Ergebnis. Dadurch regte ich sie zum Mitdenken an und förderte eine proaktive und selbstständige Arbeitsweise (im Gegensatz zu Phase 1, die vor allem das Lernen und Ausführen von Vorgaben fordert). Ich konzentrierte mich auf die Junior-Berater, weil die übrigen Berater selbstständig arbeiten konnten.
Dementsprechend sprachen wir so wenig wie möglich über den Weg zur Lösung einer Aufgabe. Die Junior-Berater entwickelten so zunehmend selbstständig Lösungen und stimmten diese auch soweit möglich mit dem Kunden ab. Das ist bei unserer Tätigkeit wichtig, weil auch der Kunde nicht immer in der Lage ist, eine Aufgabe zu 100% zu spezifizieren und an jedes Detail zu denken. Berater sind daher gefordert, dem Kunden Vorschläge zu machen und diese selbstständig abzustimmen.
Sollte der Berater jedoch nicht selbst auf eine Lösung kommen, kann man ihm durch gezielte Fragen Hinweise geben, wo er nach Lösungen suchen kann, z.B.: "Was hältst du davon, wenn wir uns die Gliederung anderer Lastenhefte anschauen?" oder "Vielleicht können wir die Kollegen aus dem anderen Projekt fragen, wie diese ihre Rollouts planen?"
Zudem bemühten wir uns, dem Mitarbeiter jeweils zu erklären, warum wir ihm eine Aufgabe zugewiesen hatten. Hintergrund: Nicht jede Aufgabe macht jedem Mitarbeiter Spaß. Deswegen sollte der Mitarbeiter wissen, welche Aufgabe in seinen Aufgaben- oder Expertisebereich fällt.
Verständnis abfragen und Lösungen einfordern
Abschließend forderten wir den Mitarbeiter dazu auf, die Aufgabe und den Sinn dahinter zusammenzufassen. Dies ist wichtig, um Missverständnisse zu vermeiden und sicherzustellen, dass alle ein ähnliches Bild haben. Auch forderten wir stetig mit Rückfragen wie: "Was meint ihr dazu?" Lösungen ein, welche speziell die Junior Berater mehr und mehr zum Denken anregten.
Positive Fehlerkultur
Zudem pflegten wir eine positive Fehlerkultur (siehe dazu den Fachbeitrag "Was zeichnet eine positive Fehlerkultur aus?", Ausgabe 21/2015). Die Kultur etablierten wir mit dem Motto: "Intern darf alles gefragt werden und wir weisen uns gegenseitig auf Verbesserungen hin, da es intern keine Fehler gibt!".
Erste Entlastung wird bereits spürbar
Sobald der Mitarbeiter die wichtigsten Prozesse und Ansprechpartner kennt, sowie Routineaufgaben alleine erledigen kann, sollten Sie ihn stärker einbeziehen, um ihn zu motivieren, sich im selbstständigen Arbeiten zu verbessern. Gegen Ende dieser Phase können Sie als Projektleitung bereits erste Entlastungen feststellen.
Gehen Sie jedoch behutsam vor: Eine zu hohe Delegation kann Ihre Mitarbeiter überfordern, daher empfehlen sich zu Beginn kleinere Arbeitspakete, die mit der Zeit wachsen. Weitere Instrumente, um die Motivation der Mitarbeiter hochzuhalten, sind eine positive Fehlerkultur, gemeinsame Ziele und die Einladung zum Mitdenken.
3. Phase: Developing
Jetzt ändert sich das Führungsverhalten gravierend: Der Mitarbeiter erledigt nun selbstorganisiert alle Aufgaben, da er die Anforderungen und Vorgaben des Kunden genau kennt. Anhand seiner Kenntnisse kann er außerdem realistische Ziele definieren, die er im täglichen Gespräch darlegt.
Delegieren
Durch Ihre Investitionen in die Weiterentwicklung Ihrer Mitarbeiter können Sie nun in großem Umfang Aufgaben an diese delegieren. Für einen Projektleiter stellt das Delegieren eines seiner wichtigsten Instrumente dar. Dementsprechend viele Vorgehensweisen existieren dazu. Ich habe auf Basis meiner eigenen Erfahrungen ein Dreischritt-Verfahren entwickelt:
- Bei der Auswahl des Mitarbeiters achte ich darauf, dass dieser alle notwendigen Kompetenzen für die Erledigung besitzt. Dann beschaffe ich dem Mitarbeiter Informationen über die Aufgaben (Dokumente, Ansprechpartner etc.).
- Des Weiteren zeigte ich ihm oder ihr das Ziel der Aufgabe auf und erkläre, welchen Vorteil, also welche persönliche Verbesserung, er durch diese Aufgabe erzielen kann. So lade ich die Aufgabe mit persönlichem Sinn auf.
- Anschließend kommuniziere ich die Aufgabe auch im Team und nenne den Mitarbeiter explizit als den dafür Verantwortlichen. Dies erzeugt einerseits Gruppendruck und sorgt andererseits beim Berater für Commitment sowie Identifikation mit der Aufgabe.
Ziele überprüfen
Die Aufgabe für die Projektleitung besteht nun darin, den Mitarbeiter bei der Erreichung seiner Ziele zu unterstützen. Ich empfehle jedoch, seine selbstgesteckten Ziele mit ihm weiterhin kurz zu evaluieren, da einerseits die Gefahr besteht, dass er sich zu ambitionierte Ziele, wie "ich möchte das Projekt von ITIL auf eine agile Methode wandeln" oder zu wenig ambitionierte Ziele, wie "ich möchte besser mit Excel und PowerPoint umgehen" setzt. Ein realistisches Ziel in unserem Projekt war z.B. die Automatisierung von Reports im Projekt voranzutreiben um Zeit zu sparen, oder die Projektpläne noch stärker an den vom Kunden geforderten Projektstandard anzupassen.
In der Regel wirkt die Selbstorganisation sehr motivierend. Meine Mitarbeiter z.B. schauten neben ihren Aufgaben oft über den Tellerrand: Ein Mitarbeiter optimierte die Reportprozesse, indem er neue Makros programmierte. Ein anderer arbeitete sich in neue Tools (z.B. Tableau) ein und machte diese für uns nutzbar, was zu einer schnelleren und fehlerfreien internen Bearbeitung führte. Dies erreichten wir durch die gezielte Fortbildung und Entwicklung eines Mitarbeiters, ausgehend von seinem anfangs geäußerten Wunsch, mit Big Data zu arbeiten.
Jetzt amortisiert sich der Zeitaufwand
In dieser Phase zahlen sich die Investitionen in die Entwicklung der Mitarbeiter voll aus. Ich war z.B. als Projektleiter trotz Arbeitsflut weniger ausgelastet, als in vergleichbaren Projekten. Ich führte am Ende pro Mitarbeiter ein tägliches Jour fix (5 x 15 = 1:15 h) durch, was dazu diente, zeitnah Feedback zur Aufgabenerledigung zu geben und konnte mir ansonsten – trotz der Regelmeetings mit dem Kunden – täglich drei Stunden freischaufeln, welche ich für Verbesserungen im Projekt nutzte oder um an neuen Themen für einen Folgeauftrag zu arbeiten.
Fazit Agile Leadership
Agile Leaderships stellte sich als perfekte Wahl für dieses Projekt heraus, da hier zahlreiche verschiedene Themenbereiche zusammentrafen. Unser Projektauftrag umfasste die Bereiche Rolloutmanagement, Projektmanagement, Controlling, Reporting und Testmanagement. Dies ist für eine Person oftmals schwer zu steuern. Da ich durch die Selbstorganisation viel Zeit sparen konnte, gelang dies jedoch und ich konnte zusätzlich parallel das nächste Angebot erarbeiten, das uns einen neuen Auftrag einbrachte.
Besonders gut eignet sich dieser Ansatz für kommunikative und bescheidene Projektleiter, weil viele (kurze) Gespräche und Echtzeitfeedbacks die Methode prägen. Da bei Agile Leadership die Entwicklung des Mitarbeiters im Fokus steht, sollte der Projektleiter sich stark zurücknehmen und versuchen, den Mitarbeiter gegenüber dem Kunden ins Rampenlicht zu rücken. Denn nur wenn der Kunde diesem vertraut, kann der Mitarbeiter für diesen arbeiten, auch ohne dass der Projektleiter präsent sein muss.
Besonders in Phase 3 kann es zu Komplikationen kommen, da der Projektleiter hier viel delegiert. Dabei benötigt er einerseits Vertrauen in das Team und andererseits sollte er ein Mindestmaß an Steuerung und Kontrolle durch regelmäßige Gespräche und persönliche Treffen aufrechterhalten. Dazu benötigt auch das Team Vertrauen in die Projektleitung. Diese kann das Vertrauen fördern, indem sie offen und transparent kommuniziert.
Praxisbeispiel 2: Situative Führung
Margaux Sagne besaß aufgrund ihres Masters in Projektmanagement bereits theoretisches Wissen über das situative Führen, weshalb sie sich für diese Methode entschied.
Dieser Ansatz bildet einen Gegensatz zum zuvor behandelten Führungsstil, da er auf der Überzeugung beruht, dass alle Führungsstile ihre Berechtigung haben und die Führungskraft lediglich den richtigen Stil zur richtigen Zeit auswählen muss. Die Methodik der situativen Führung besteht aus vier Phasen, einen Überblick liefert Tabelle 2 (vgl. Hersey, 1982).
Dem auf ein Jahr angesetzten Consultingprojekt waren ein Berater (mehrere Jahre Berufserfahrung) und ein Junior-Berater (ein Jahr Berufserfahrung) in Vollzeit, sowie drei Assistenten zugeordnet. Letztere verfügten über keine bzw. kaum Berufserfahrung, befanden sich noch in einer Ausbildung und arbeiteten daher nur Teilzeit im Projekt.
Ich war als Projektleiterin zu 50% im Projekt und sollte sicherstellen, dass die Aufgabenpakete rechtzeitig und in guter Qualität geliefert wurden. Hierzu stand ich in direktem Kontakt mit dem Kunden und übernahm einerseits die Verwaltung von Budget und Stundenkontingent, als auch das Coaching der Berater und der Assistenten. Die meiste Zeit verbrachte mein Team gemeinsam an einem Standort.
Kommunikation im (halb-)virtuellen Team
Ähnlich wie im ersten Beispielprojekt lief auch hier ein Großteil der Kommunikation virtuell über Lync, Skype und E-Mails. Alle zwei Wochen gab es z.B. einen virtuellen Regeltermin, in welchem der Berater und ich über Video-Chat Aufgaben vom Projektteam des Kunden erhielten und übergaben.
Neben der virtuellen Kommunikation verbrachten der Berater und ich einmal im Monat mehrere Tage am Stück gemeinsam an einem der Standorte des Kunden. Der Zweck dieser Termine bestand darin, uns über die unterschiedlichen Aufgaben und Themen abzustimmen und Informationen auszutauschen.
Um größere Aufgabenpakete zu definieren und abzustimmen, hielten der Berater und der Junior-Berater zwei- bis dreitägige Workshops beim Kunden ab. Vor allem zu Beginn geschah dies mehrmals im Monat (später nur noch ca. monatlich), daher konnten beide häufig nur virtuell mit den Assistenten kommunizieren. Im Zuge der wachsenden Selbstorganisation verteilte ich die virtuelle Kommunikation mit dem Kunden zunehmend auf den Junior-Berater und die Assistenten.
Stil 1: Telling – Unterweisung neuer Mitarbeiter
Wegen der Komplexität des Projekts benötigten wir während der Einführung der Prozesse eine hohe Genauigkeit und fachliche Expertise. In der ersten Phase des Projekts legte ich daher viel Wert in die Einarbeitung und Unterweisung (siehe dazu auch die 1. Phase beim Agilen Leadership, da das Vorgehen ähnlich ist). Da das Projekt gerade erst gestartet war, mussten wir alle uns hier einarbeiten.
Damit die Mitarbeiter die wichtigen Prozesse des Projekts lernten, erklärte ich Ihnen genau, was zu tun ist, wie, wo und auch wann es zu tun ist. Damit gab ich neben dem Ziel auch den Weg genau vor. Sowohl der Junior-Berater als auch ich kannten den Kunden von vorherigen Aufträgen und konnten den Assistenten deswegen erste Richtlinien vermitteln.
Spezielle Situation beim Junior-Berater
Ich merkte bald, dass es für den Junior-Berater wichtig war, diese Phase schnell abzuschließen: Da es hier vor allem darum ging, Anweisungen strikt auszuführen, besaß er keinen großen Spielraum für individuelle Anpassungen. Das reine Abarbeiten von Aufgaben ist zwar wichtig, um die Prozesse des Kunden zu erlernen, auf die Dauer jedoch monoton. Da der Juniorberater bereits ein Projekt bei diesem Kunden betreut hatte, gelang es uns, diese Phase innerhalb von zwei Wochen zu durchlaufen.
Im Umgang mit den Assistenten dagegen legte ich mein Augenmerk darauf, dass sie die Werte und Anforderungen des Kunden lernten. Auch prüften der Berater und ich ihre Arbeitsergebnisse, bei größeren Aufgabenpaketen auch Zwischenstände. Ich schaute den Assistenten anfangs daher häufig über die Schulter, um Unklarheiten auszuräumen und bei Fehlern gleich einzugreifen.
Diese Phase endet normalerweise nach ein bis zwei Monaten, wenn der Mitarbeiter die Aufgaben ohne weitere Anweisungen ausführen kann und bei Unklarheiten sofort einen geeigneten Projektbeteiligten anspricht (siehe dazu auch Bild 2).
Kunst kommt von Können, nicht von Wollen
Die Fortschritte, die die Mitarbeiter in der Einarbeitung machen, bergen jedoch auch eine Schattenseite: Häufig wollten meine Teammitglieder mehr leisten, als wozu sie im Stande waren. So drang speziell der Junior-Berater darauf, erste Aufgaben selbst zu erledigen und eigene Ideen umzusetzen. Dies ließ sich nicht immer mit den Zielen und Qualitätsansprüchen des Kunden im Einklang bringen. Daher war ich gezwungen, Ideen des Junior-Beraters öfters abzulehnen, und musste ihm Aufgaben vorenthalten, für die er noch nicht bereit war.
Stil 2: Selling – Motivation und Vertrauen schaffen
Da speziell im Kundengeschäft absolute Fehlerfreiheit erwartet wird, machte ich weiterhin genaue Vorgaben. Wie das Beispiel meines Junior-Beraters zeigt, werden engagierte Mitarbeiter durch die strikte Unterweisung häufig demotiviert. Um die Mitarbeiter zu motivieren, empfiehlt es sich daher, sie vom Projekt zu überzeugen ("selling").
Hierzu bezog ich die Mitarbeiter vermehrt ein, indem ich mir ihre Ideen anhörte und durch aktive Nachfragen einbezog, z.B.:
- "Was denkst du über diese Lösung?"
- "Hast du eine andere Idee?"
- "Wie würdest du vorgehen?"
- Die Ideen und Vorschläge der Mitarbeiter waren zwar häufig nicht genügend ausgreift, um sie dem Kunden vorzustellen, dennoch war es wichtig, damit die Mitarbeiter sich angewöhnten, mitzudenken und sich einzubringen.
Seien Sie sich darüber bewusst, dass in dieser Phase die Arbeitsergebnisse in der Regel zunächst schlechter werden, da die Betreuung geringer ausfällt. Daher ist eine genaue Kontrolle notwendig. Ich machte aber die Erfahrung, dass bereits nach zwei Wochen die Ergebnisse wieder deutlich besser waren, sodass ich sie kaum noch überarbeiten musste.
Demotivation und Unsicherheit
Bei mehreren Mitarbeitern spürte ich in der ersten Projekthälfte manchmal eine gewisse Angst davor, etwas Falsches zu sagen. Beispielsweise war sich ein Assistent nicht sicher, ob seine Ideen zur Gliederung eines Lastenheftes korrekt bzw. im Zusammenhang mit den spezifischen Kunden-Anforderungen nicht optimal seien.
Auch im späteren Projektverlauf können Mitarbeiter, wenn ihre Motivation nachlässt, in diese Phase zurückfallen. Dann sollten Sie als Projektleiter wieder präsenter werden und den Mitarbeiter stärker unterstützen, z.B. indem Sie ihn in Ihre Überlegungen einweihen und seine Ideen befürworten.
Kompetenzen entwickeln durch Einbeziehung und Feedback
Wöchentlich zeigte ich den Mitarbeitern offene Punkte im Projekt auf und bat sie um Vorschläge. Neben ihrer Motivation wollte ich damit folgende Kompetenzen fördern:
- Verständnis der individuellen Anforderungen des Kunden
- Lösungskreativität
- Verantwortungsbewusstsein für eine Aufgabe
- Bedenken Sie: Keine der vier Phasen ist so feedbackintensiv wie diese, da der Mitarbeiter in dieser Phase einerseits so viel Kritik wie in keiner anderen Phase erhält und andererseits viel Wertschätzung und Lob benötigt, um motiviert zu bleiben. Wie Sie dies in einem Gespräch verbinden, lesen Sie weiter hinten in unserem Exkurs zum Thema Feedback.
- Mein Tipp: Auch wenn Fortschritte noch so klein sein mögen – wenn die Führungskraft sie bemerkt und hervorhebt, ermutigt das. Weiterhin ist es wichtig, dass der Mitarbeiter sich verantwortlich für seine Aufgabe fühlt und z.B. Deadlines ernst nimmt.
Der Weg ist das Ziel
Unterscheiden Sie in dieser Phase zwischen dem Weg zur Lösung und dem Ergebnis: Für die Entwicklung des Mitarbeiters ist es an dieser Stelle wichtiger, dass er Fortschritte in seiner Arbeitsmethodik macht.
Nehmen Sie sich etwas Zeit, um den Arbeitsstil des Mitarbeiters kennenzulernen, damit Sie den Stand seiner Entwicklung korrekt einschätzen. Nur dann wählen Sie die Führungsmethode, die den Mitarbeiter weiterbringt
Stil 3: Participating – Einbeziehen in Entscheidungen
Durch den dauerhaften Erfolg des Junior-Beraters bemerkte ich, dass er schon erste kleine Arbeitspakete selbst erledigen konnte. Wir erprobten daher eine neue Art der Führung: Er sollte sich beteiligten beim Bestimmen von Zielen und bei der Entscheidungsfindung ("participating") sowie Aufgaben häufiger alleine ausführen.
In dieser Phase steht die Projektleitung lediglich beratend zur Seite. Ich z.B. teilte mein Erfahrungswissen, indem ich dabei half, Probleme zu strukturieren, erklärte z.B. ein idealtypisches Vorgehen für einen notwendigen Change. Zudem ließ ich den Mitarbeiter mein Vertrauen spüren: "Du bist der Fachmann für das Thema und entscheidest, aber halte mich gerne auf dem Laufenden!“
Den Stil kennzeichnen folgende Aspekte:
- Der Mitarbeiter trifft erste Entscheidungen alleine
- Er wird regelmäßig ermutigt, dem Kunden seine Ideen vorzustellen
- Jede Anfrage des Mitarbeiters wird mit hoher Sorgfalt beantwortet
Selbstorganisation braucht Selbstvertrauen
Diese Phase ist für den Übergang zum selbstorganisierten Arbeiten wichtig, damit Mitarbeiter das dafür nötige Selbstvertrauen entwickeln. Sie besitzen in dieser Phase zwar sämtliche Fähigkeiten, die sie benötigen, um selbstorganisiert zu arbeiten, aber ich habe bei vielen die Erfahrung gemacht, dass sie sich bei neuen Aufgaben anfangs schwertun, weil sie ihren Fähigkeiten noch nicht voll vertrauen. Daher fordern sie die Präsenz der Projektleitung ein.
Selbstorganisation beim Junior-Berater
Zu Beginn dieser Phase war für den Junior-Berater eine Stunde pro Woche nötig. Nach ungefähr einem Monat hatte sich dieser Wert halbiert. Beim Junior-Berater zeigte sich seine gewachsene Selbstständigkeit an folgenden Beispielen:
- Er erhielt seine Aufgaben direkt vom Kunden und lieferte diese auch selbstständig ab, ohne dass eine Kontrolle nötig war.
- Er verstand Aufgaben sehr schnell und benötigte kaum noch Erklärung von mir oder dem Kunden.
- Meiner Bitte um Verbesserungsvorschläge kam er regelmäßig nach und brachte dabei gute Ideen ein.
Selbstorganisation im Team
Dank der gewachsenen Selbstorganisation des Juniorberaters sparten wir nicht nur seine Betreuungszeit ein, er entlastete mich und den Berater auch, indem er teilweise die Betreuung der Assistenten übernahm. Diesen fehlte es zu diesem Zeitpunkt noch an Sicherheit, Routine und Selbstvertrauen. Statt selbst präsent zu sein, stellte ich ihnen den Juniorberater an die Seite. Schon die Tatsache, dass dieser mit ihnen in einem Büro saß und immer ansprechbar war, vermittelte ihnen ausreichend Sicherheit, sodass er mich tageweise vertreten konnte.
Selbstorganisation bei den Assistenten
Später erreichten auch zwei der drei Assistenten diese Phase und übernahmen intern erste Aufgaben (siehe auch Bild 3). (Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit dem Kunden waren begrenzt, da dieser z.B. als tageweise Vertretung für den Projektleiter zumindest einen Vollzeitmitarbeiter erwartete.)
Zu Beginn dieser Phase benötigte ich für die Betreuung jedes Assistenten wöchentlich fünf Stunden. Dieser Wert hatte sich nach ungefähr einem Monat halbiert. Dies gelang, indem ich die Assistenten an internen Entscheidungen beteiligte und sie Vorschläge für den Kunden selbstständig ausarbeiten ließ.
Beispiel: Ich beauftragte die Assistenten damit, ein Vorgehen für das Archivieren unserer Protokolle und das Versionieren unserer Lastenhefte auszuarbeiten. Dabei prüfte ich zu Beginn jedoch, ob ihre Ideen in die richtige Richtung gehen und überprüfte am Ende ihre Ergebnisse.
Stil 4 Delegation – Vertrauen und loslassen
Gegen Ende des Projekts kontrollierte ich die Arbeitsergebnisse der Berater kaum noch. Dazu musste ich eine gewisse Selbstdisziplin entwickeln: Das "Loslassen" fiel mir anfangs nicht leicht. Da ich meinen Mitarbeitern und ihren Fähigkeiten vertraute, gelang es mir jedoch.
Ich sah meine Aufgabe als Projektleitung bei diesem Stil darin, Aufgaben zu delegieren und dem Mitarbeiter beim Abarbeiten maximalen Freiraum einzuräumen. Die Ergebnisse ließ ich mir nur noch wöchentlich berichten. Dies geschah oft in Verbindung mit einem Kaffee oder einem gemeinsamen Mittagessen, um so gleichzeitig die Beziehung zum Mitarbeiter zu pflegen.
Die wichtigste Bedingung für das Funktionieren dieser Phase besteht darin, dass der Mitarbeiter selbstständig auf die Projektleitung zukommt, wenn ein Problem auftaucht. Dank der Unterweisung in Phase 1 erkennt er außerdem, wenn ein Problem seinen Kompetenzbereich übersteigt.
Überprüfen Sie das Leistungsvermögen
Durch flexibles Führungsverhalten gelang es, dass die Mitarbeiter ihre Kompetenz und ihr Leistungsvermögen sukzessive ausbauten. Wie Bild 3 gut zeigt, ist jedoch nicht jeder Mitarbeiter immer auf dem gleichen Stand. Es gilt deswegen, den Reifegrad durch Gespräche immer wieder neu festzulegen. Für die Projektleitung ist es daher wichtig, dass sie den Reifegrad immer korrekt bestimmt.
Beachten Sie, dass der Reifegrad nicht für einen Mitarbeiter gilt, sondern jeweils für eine Aufgabe. Daher sollten Sie den Reifegrad bezogen auf jede Aufgabe feststellen. Dies erfolgte bei mir oft sehr schnell, indem ich eine oder mehrere der folgenden Fragen stellte und die Antworten intuitiv bewertete.
Für die Feststellung des Reifegrads muss der Projektleiter ein Gefühl entwickeln. Anhand einiger Indikatoren und passender Beispielfragen geben wir eine grobe Orientierung:
Kompetenz
- Welche Erfahrungen hat der Mitarbeiter in Bezug auf die Aufgabe?
- Wie lange ist er bereits im Projekt?
- Über wie viel Berufserfahrung verfügt er?
Motivation
- Bittet er häufig um neue Aufgaben, die ihn herausfordern?
- Scheut er sich nicht vor schwierigen Aufgaben und gibt selten auf, bis er sie gelöst hat?
- Zeigt er Interesse für größere Zusammenhänge und für Details?
Selbstständigkeit
- Wie selten sucht er Kontakt zu mir?
- Wie gut kommt er mit knappen Anweisungen zurecht?
- Löst er seine Aufgaben immer termintreu?
Anhand dieser Fragen können die Aspekte auf einer Skala von niedrig bis hoch bewertet werden. Ich habe mir für das für Beurteilen oft ein paar ruhige Minuten genommen und jede Antwort mit niedrig bis hoch beantwortet. In der folgenden Tabelle findet sich die Ausprägung der Merkmale in den einzelnen Phasen.
Phase | Kompetenz | Motivation | Selbstständigkeit |
---|---|---|---|
Telling | niedrig | nicht relevant | nicht relevant |
Selling | mittel | niedrig bis hoch | niedrig |
Participating | hoch | mittel bis hoch | mittel |
Delegation | hoch | hoch | hoch |
Beispiele für die Beurteilung Ihrer Mitarbeiter
Ist ein Mitarbeiter neu im Projekt, empfiehlt es sich, ihn mit dem Stil Telling zu führen, außer er verfügt über viel Erfahrung mit dem Kunden oder im Beruf. Aufgrund der mangelnden Erfahrung verfügt er über wenig Kompetenz. Aus diesem Grund können Sie seine Motivation und Selbstständigkeit vernachlässigen, da er Aufgaben nicht alleine ausführen kann.
Die Mitarbeiter in der Phase Selling sind oft einige Zeit dabei und haben über das Erledigen erster Aufgaben Kompetenz erworben. Ihre Motivation ist in der Regel jedoch etwas niedrig, da das strikte Abarbeiten von Aufgaben weniger Spaß bereitet als kreative Arbeit. In dem Beispielsprojekt brachten sich die Mitarbeiter in dieser Phase kaum ein und warteten oft auf Anweisungen.
Dank motivierende Maßnahmen (Sinn stiften, Feedback geben, Einholen von Vorschlagen und später das Einbeziehen in Entscheidungen) erhöht der Projektleiter die Motivation und fördert damit die Selbstständigkeit der Mitarbeiter, sodass diese regelmäßig Vorschläge einbringen. Bevor eine vollständige Delegation möglich ist, müssen in der Phase Participating die Mitarbeiter allerdings noch ermutigt werden, um selbstbewusst und selbstorganisiert arbeiten zu können. Hier wird deswegen oft die Präsenz des Projektleiters eingefordert. In der Delegationsphase können die Mitarbeiter zunehmend mehr und mehr Aufgaben alleine ausführen.
Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen
Während unseres Experiments mit den beiden Führungsansätzen tauschten wir uns regelmäßig aus, sprachen über Fortschritte, aber auch über Enttäuschungen und Probleme. In unserer abschließenden Diskussion nach zwölf Monaten zogen wir beide ein insgesamt positives Fazit: Beide Ansätze haben uns überzeugt.
Situative Führung
Situative Führung begreifen wir als eine Art Mittelweg, welcher die Stärken und Schwächen der vier Führungsmethoden Telling, Selling, Participatin und Delegating vereint. Der Vorteil besteht in der Möglichkeit, jeden Mitarbeiter individuell zu führen. Dazu muss der Projektleiter jeden dieser Führungsstile auch beherrschen.
Uns ist aufgefallen, dass beispielweise zwischen einer stark kontrollierenden und einer delegierenden Führung oft nicht schnell gewechselt werden kann. Daher empfehlen wir Ihnen dieses Rahmenwerk, wenn Sie über gute soziale Kompetenzen sowie das nötige Fingerspitzengefühl verfügen.
Es eignet sich besonders für Projekte, in denen relativ enge Rahmenbedingungen herrschen und Mitarbeiter in neue Aufgaben immer dediziert eingearbeitet werden müssen. Die Grenzen dieses Rahmenwerks liegen oft beim Projektleiter selbst, daher sollten Interessierte sich fragen, ob sie in der Lage sind, zwischen teilweise gegensätzlichen Führungsstilen umzuschalten – je nachdem, mit welchem Mitarbeiter sie gerade arbeiten – und ob Sie Ihre Mitarbeiter immer richtig einschätzen können.
Agile Leadership
Im Führungsmodell Agile Leadership dagegen steht der Projektleiter seinem Team als Moderator und Mentor beiseite, der berät und koordiniert. Speziell in komplexen Projekten mit vielen Änderungen ist es wichtig, gemeinsam an einer Vision zu feilen. Wir empfehlen diese Führung für Projekte mit zahlreichen Experten mit Spezialwissen. Jeder Experte verfügt über sein eigenes Hoheitsgebiet, in dem er als Mikromanager fungiert.
Agile Leadership verlangt von Projektleitern die Kunst "loszulassen". Es baut auf Vertrauen und erfordert eine hohe Selbstorganisation. Um Projekte mit einer hohen Kontroll- und Dokumentationspflicht zu steuern eignet es sich daher nur bedingt. Zudem benötigt dieser Ansatz Mitarbeiter mit hoher Eigenmotivation, die am besten über einige Jahre Arbeitserfahrung verfügen.
Exkurs zum Feedbackgeben
In unseren beiden Projekten verwendeten wir zwei Arten von Feedback: In erster Linie gaben wir Rückmeldung formal zur Aufgabe ("Gut gemacht" oder "du solltest nächstes Mal folgendes verbessern"). Grundsätzlicheres Feedback vermitteln wir mit Hilfe des "Feedbackburgers", den wir im wöchentlichen oder täglichen Feedbackgespräch einsetzten. Wir ließen uns dabei von Andrea Windolph auf ihrem Blog inspirieren.
Kein Fastfood: Der Feedbackburger
Da negatives Feedback einen Mitarbeiter oft demotiviert, bekommt er es im Feedbackburger "garniert" mit Aspekten, die ihm die Einordnung erleichtern und über die er sich freuen kann. Zunächst erhält der Mitarbeiter eine Erklärung, warum er dieses Feedback erhält. Danach spricht die Führungskraft über positive Ansätze, die ihr in letzter Zeit aufgefallen sind, z.B. dass der Mitarbeiter sich in mehreren Bereichen verbessert hat. Anschließend benennt die Führungskraft Aspekte, in denen der Mitarbeiter sich verbessern kann, und liefert ihm dazu konkrete Verbesserungsvorschläge. Zum Abschluss runden Ziele für die nahe Zukunft das Gespräch ab, indem sie den Blick nach vorne lenken (siehe auch Bild 5). Für das "Servieren" eines Feedbackburgers sollten Sie sich eine halbe Stunde Zeit nehmen.
Fazit
Durch den digitalen Wandel nehmen Projekte an Geschwindigkeit zu und die Arbeitsflut steigt. Beide erprobten Führungsstile führten zu einer höheren Selbstorganisation der Projektmitarbeiter, was uns Projektleitern viel Zeit sparte. Die Umsetzung dieser Rahmenwerke war für uns eine Herausforderung, da wir unser Führungsverhalten vollkommen umstellen mussten. Daher empfehlen wir Interessierten, die Umstellung strukturiert anzugehen und sich streng an die einzelnen Phasen der Rahmenwerke zu halten. Alle Phasen besitzen ihre Berechtigung, daher sollten Sie keine Phase überspringen. Unsere drei Tabellen sollen Ihnen dabei zur Orientierung dienen.
Ausblick
Nach rund zwölf Monaten endeten unser beider Projekte beinahe zeitgleich. Zufälligerweise ergab sich für Margaux Sagne die Möglichkeit, in ein agiles Projekt zu wechseln. Für Dominic Lindner wurde ein Platz in einem ähnlichen Projekt wie das von Margaux Sagne beschriebene, ebenfalls bei einem Automobilzulieferer frei. Wir beschlossen daher, untereinander die Führungsansätze zu "tauschen". Wir tauschen uns weiterhin regelmäßig aus und befolgen die Tipps des anderen.
Literatur und Quellen
Literatur & Quellen anzeigen
- Appelo, Jurgen: Management 3.0: Leading Agile Developers, Developing Agile Leaders, Addison-Wesley Professional, Boston 2010
- Gloger, Boris; Rösner, Dieter: Selbstorganisation braucht Führung: Die einfachen Geheimnisse agilen Managements, Hanser Verlag, München 2014
- Hersey, P., Blanchard, K.: Management of Organizational Behavior. 4. Auflage. New York 1982
- Hofert, Svenja: Agiler führen: Einfache Maßnahmen für bessere Teamarbeit, mehr Leistung und höhere Kreativität, Springer Gabler, Wiesbaden 2016
- Lindner, Dominic: Agile Unternehmen: Zukunftsfähig in der digitalen Transformation, Projektify, Nürnberg 2017, abrufbar unter: https://agile-unternehmen.de/ebook/Lindner-agile-unternehmen.pdf (zuletzt geprüft am 19.09.2017)
- Urbach, N.; Ahlemann, F.: Der Wissensarbeitsplatz der Zukunft: Trends, Herausforderungen und Implikationen für das strategische IT-Management, in: HMD - Praxis der Wirtschafsinformatik, 53 (1), 2016, S. 16-28
Hermann Doppler
20.09.2017
Dominic.Lindner
11.10.2017
Dr. Reinhard Schmitt
11.10.2017
Dominic.Lindner
11.10.2017
Vera Reithmeier
25.10.2017
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25.10.2017
Jürgen Hansel
20.12.2017
Dominic.Lindner
22.12.2017
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