Die Teammitglieder des fiktiven Umstrukturierungsprojekts "Orion" treffen sich zum Kick-off-Meeting. Sie kommen aus China, England, Spanien und der Slowakei. Als erstes betritt das Teammitglied aus China den Raum, sucht sich einen Sitzplatz und beginnt an seinem Notebook zu arbeiten. Wenige Minuten später kommt die Kollegin aus der Slowakei herein, geht auf den chinesischen Kollegen zu und will ihn mit einem Händedruck begrüßen. Der Kollege aus China steht auf, verbeugt sich und nennt seinen Titel und Nachnamen. Erst dann ergreift er die ausgesteckte Hand der slowakischen Kollegin, drückt sie aber nicht. Als nächstes kommt die Kollegin aus England beginnt nach einem "Nice to meet you" mit Small Talk. Als letztes kommt die Kollegin aus Spanien hinzu und geht direkt auf den Kollegen aus Großbritannien zu und will ihn reflexartig durch Küsse auf die Wangen begrüßen. Dieser tritt einen Schritt zurück und streckt ihr die Hand entgegen. Manche Teammitglieder tauschen sich nach der Begrüßung kurz miteinander aus. Bald beschäftigt sich jedoch jeder mit seinem Smartphone oder anderen Dingen.
Der bereits anwesende deutsche Projektleiter, der zuerst die Frauen, dann die Männer mit einem kurzen Handschlag begrüßt hatte, ist ebenfalls irritiert. Er hatte erwartet, dass die Teammitglieder neugierig aufeinander wären und die Wartezeit vor Beginn des Kick-off zu einem regen Austausch nutzen würden.
Doch was war der Grund für das distanzierte Verhalten der Teilnehmer? Die teilweise ungewohnte Begrüßung hat alle Meeting-Teilnehmer verunsichert und es ist ihnen noch nicht klar, wie sie sich im Team verhalten sollen. Deshalb gingen sie erst einmal auf Abstand zueinander.
Diese Situation zeigt, wie wichtig Begrüßungsrituale für den Beziehungsaufbau sind. In jeder Kultur ist klar, wie Angehörige dieser Kultur sich verhalten müssen, wenn sie sich zum ersten Mal begegnen. Treffen jedoch Menschen aufeinander, die aus unterschiedlichen Kulturen stammen, fehlt dieser gemeinsame Verhaltenskodex.
Deshalb ist es für Teams mit Mitgliedern aus unterschiedlichen Kulturen wichtig, dass sich diese über die kulturellen Unterschiede austauschen und diese so sichtbar werden. Dadurch gewinnen die Teammitglieder ihre Selbstsicherheit zurück. Diese Erkenntnisse eröffnen ihnen auch den Raum, für diese und andere Situationen gemeinsam teambezogene Verhaltensweisen und damit eine gemeinsame Projektkultur zu entwickeln.
Dieser Artikel beschreibt
- zum einen anhand ausgewählter Beispiele aus verschiedenen Kulturen die 11 wichtigsten sog. "Hot Spots", d.h. bestimmte Situationen, in denen die kulturellen Unterschiede am stärksten aufeinander treffen und für Irritationen, Missverständnisse oder sogar Verärgerung sorgen (Heringer, 2010),
- zum anderen, wie Sie diese Hot Spots im Projektteam sinnvoll ansprechen und mit ihm gemeinsam Lösungen finden.
11 Hot Spots der Zusammenarbeit im Projekt
1. Begrüßen
Wie sieht es nun mit der Begrüßung in den verschiedenen Kulturen aus? Zur Begrüßung gehört nicht nur das Grußwort, wie z.B. "Guten Tag" in Deutschland, "Hola" in Spanien oder "How do you do?" in Nordamerika. Wichtig sind auch die bei einer Begrüßung üblichen Gesten. Während z.B. der Deutsche die Hand zur Begrüßung ausstreckt, gibt man sich in Spanien, wie im Beispiel gezeigt, einen Kuss auf die Wangen.
Gerade bei den Begrüßungsritualen ist in den unterschiedlichen Ländern die Einhaltung der körperlichen Nähe bzw. Distanz wichtig. Schon die erste Begegnung kann darüber entscheiden, ob man sich nahe oder zu nahe kommt, oder nach dem eigenen kulturellen Empfinden in einer zu großen Distanz verbleibt. Diese Wahrnehmung wirkt sich dann auch auf die Zusammenarbeit im Team aus.
Als Projektleiter können Sie Irritationen bei der Begrüßung vermeiden, wenn Sie sich über die Begrüßungsrituale in den Ländern informieren, aus denen die Mitglieder Ihres Projekts kommen. Dann können Sie situationsgerecht reagieren.
Oder Sie verwenden den internationalen Standard, der sich inzwischen herausgebildet hat, und sagen "Hello" oder "Hi" und reichen Ihrem Gegenüber die Hand.
2. Sich vorstellen
Siegfried Langer
19.08.2015