So schätzen Sie Menschen richtig ein
So schätzen Sie Menschen richtig ein
"Diese gute Leistung hätte ich meinem Mitarbeiter Herrn Mayer nicht zugetraut." Wenn Sie als Projektleiter diesen Satz laut oder auch nur leise zu sich sagen, dann haben Sie die Kompetenz und Leistungsfähigkeit eines Mitarbeiters nicht richtig eingeschätzt. Das Gleiche gilt auch für andere Stakeholder. Auch hier kann es passieren, dass Sie den anderen falsch einschätzen: So gehen Sie z.B. davon aus, dass der Auftraggeber unzugänglich für unangenehme Nachrichten ist und halten dies deshalb von ihm fern – dabei wünscht er sich eigentlich, dass er von Problemen schnell erfährt, um frühzeitig gegensteuern zu können.
Solche Fehleinschätzungen beruhen auf keiner bösen Absicht, sondern spiegeln eine verzerrte Wahrnehmung wider. Dieser Tipp zeigt Ihnen, welche typischen Wahrnehmungsfehler es gibt und wie Sie diese künftig vermeiden können.
Von der Wahrnehmung zum (Vor-)Urteil
Auf eine Wahrnehmung können wir in Sekundenbruchteilen reagieren. Sehen wir einen Ball über die Straße rollen, treten wir auf die Bremse, denn es könnte ein Kind folgen.
Diese automatischen und schnellen Reaktionen können überlebenswichtig sein. Andererseits sind sie aber auch hinderlich, wenn wir durch die gleichen Verhaltensmechanismen vorschnell einen Projektmitarbeiter beurteilen. Dies kann dazu führen, dass wir einem Mitarbeiter eine Aufgabe geben, die ihn überfordert, oder auch eine Tätigkeit nicht übertragen, weil wir glauben, dass er sie nicht bewältigen kann.
Von der Wahrnehmung zum (Vor-)Urteil gelangen wir über eine Handlungskette von vier Elementen. Hier ein Beispiel:
- Wir nehmen etwas wahr: Ein Projektmitarbeiter verhält sich meistens passiv und sieht bei einer Aufgabe immer zuerst die Schwierigkeiten.
- Wir interpretieren diese Wahrnehmung: Weil der Mitarbeiter meistens passiv ist und immer Schwierigkeiten sieht, ist er nicht sehr motiviert und es fehlt ihm die Kompetenz für die Aufgabe.
- Wir bewerten diese Interpretation: Da der Mitarbeiter weder motiviert noch kompetent ist, kann er nur für Routinetätigkeiten eingesetzt werden.
- Wir fällen unser Urteil aufgrund dieser Bewertung und handeln entsprechend: Weil der Mitarbeiter nur für Routinetätigkeiten eingesetzt werden kann, ist er ein Low-Performer. Darum übertragen wir ihm auch nur wenig anspruchsvolle Aufgaben – die er deshalb wenig motiviert ausführt.
Diese Wahrnehmungskette führt nicht nur zu einem Urteil in einer konkreten Situation. Wir übertragen dieses Urteil auch auf andere Menschen in ähnlichen Situationen. So wird das Urteil wird zum Vorurteil – und zu einer vermeintlichen Erfahrung. Aber der Ablauf könnte auch anders sein, wenn wir die passive und kritische Haltung des Projektmitarbeiters nicht als mangelnde Motivation und Inkompetenz interpretieren, sondern als Vorsicht und Fähigkeit, mögliche Schwierigkeiten frühzeitig zu erkennen.
Es gibt eine Reihe typischer Vorurteile, durch die wir Menschen "in eine Schublade stecken", in die sie vielleicht gar nicht gehören.
Typische Vorurteile
Die folgenden Vorurteile beeinflussen immer wieder unser Urteil über Menschen. Sie kennenzulernen, stellt einen ersten Schritt dar, sie zu vermeiden.
"Boris-Becker-Effekt"
Dieser Effekt wird auch als "Überstrahlungseffekt" bezeichnet. Wenn ein Tennisspieler wie Boris Becker aus vielen Spielen als Sieger hervorgegangen ist, gehen wir davon aus, dass er jedes Spiel gewinnt. Ein Projektmitarbeiter, der den Ruf hat, sehr gute Arbeit zu leisten, erhält automatisch einen "Bonus" im Hinblick auf die angenommene Leistung, unabhängig von der konkreten Situation im Projekt.
"Nikolaus-Effekt"
Als Nikolaus-Effekt wird ein Vorurteil bezeichnet, bei dem wir annehmen, dass sich die Erfahrungen mit einem Menschen bei der letzen Begegnung beim erneuten Zusammentreffen wiederholen. Wenn uns der Auftraggeber beim letzten Zusammentreffen sehr unfreundlich behandelt hat, rechnen wir damit, dass er uns bei nächsten Treffen wieder rüde behandelt.
Maier
17.10.2012
Rainer Eschen
05.12.2012