Als Projektleiter über Unternehmensgrenzen hinweg führen
Führung wird heute intensiver denn je diskutiert, dabei fallen häufig Schlagworte zu Trendthemen wie "Agile Transformation", "Servant-Leadership" und "VUCA". Wir möchten die Diskussion um eine Herausforderung bereichern, die unseres Wissens nach immer mehr Projektleiter betrifft: unternehmensübergreifende Führung – und wie sie gelingen kann.
Als Projektleiter über Unternehmensgrenzen hinweg führen
Führung wird heute intensiver denn je diskutiert, dabei fallen häufig Schlagworte zu Trendthemen wie "Agile Transformation", "Servant-Leadership" und "VUCA". Wir möchten die Diskussion um eine Herausforderung bereichern, die unseres Wissens nach immer mehr Projektleiter betrifft: unternehmensübergreifende Führung – und wie sie gelingen kann.
Für Verlage bewerten wir gelegentlich Autoren-Vorschläge für neue Projektmanagement-Bücher. Aktuell geht es bei der Mehrzahl dieser Bücher um Führungsfragen. Bei diesen Prüfungen ist uns aufgefallen, dass Autoren mit ihren Betrachtungen meist da aufhören, wo es aus unserer Sicht erst interessant wird: Sie spannen den Bogen von der eigenen Person über das Projektteams und hin zur "Leadership" in der ausführenden Organisation, also dem Unternehmen, der Behörde, dem Verband etc., für die man tätig ist. Der Themenkomplex, wie sich Projekte in Unternehmen einbinden, ist wichtig und komplex, und die damit verbundenen Führungsaufgaben erfordern soziale Kompetenz und organisatorisches Verständnis.
Eigentlich spannend wird es aber doch erst im nächsten Schritt, wenn Projekte Unternehmensgrenzen überschreiten und in mehr oder weniger komplexen Lieferantennetzwerken ("Project Supply Networks", PSNs) für zahlende Kunden durchgeführt werden. Dieses unternehmensübergreifende Project Business Management (PBM) ist ein Thema, das bisher die wenigsten Buchautoren – aber auch Trainer, Berater und andere Experten – wahrnehmen. Wir möchten im Folgenden zeigen, wie allgegenwärtig dieses Thema jedoch bereits geworden ist.
Ein Trend im Projektmanagement: "Buy" statt "Make"
Der Annahme, dass Projektführung im Wesentlichen eine unternehmensinterne Aufgabe ist, widersprechen die Ergebnisse unserer aktuellen Befragungen unter international tätigen Praktikern. Bild 1 zeigt die Ergebnisse von Befragungen aus den Jahren 2015 (n = 245) und 2018 (n = 325).
2015 war eine leichte Mehrheit von Projektmanagern in Kundenprojekten erkennbar, die aber vielleicht unserer nicht repräsentativen Teilnehmerauswahl geschuldet war. Die Umfrage 2018 bestätigte das Ergebnis aber, und der Anteil von Projektmanagern in Kundenprojekten war noch höher. Das lässt sich nur noch schwer durch Zufall erklären.
Projektmanager als "Connective Leaders"
Die oben genannten Befragungen, aber auch unsere Beobachtungen als Trainer im Feld, zeigen, dass Projektmanagement sich aktuell weiterentwickelt: Es wird immer mehr zu organisationsübergreifendem "Project Business Management". Neben organisatorischen, technischen und zwischenmenschlichen Fragen müssen Projektmanager sich damit nun zunehmend auch kommerziellen sowie vertragsrechtlichen Herausforderungen stellen.
Zu den Führungsaufgaben im internen Team und im eigenen Unternehmen kommen nun also auch unternehmensübergreifende Anforderungen. Das gilt auf Seiten der Kunden, die ihre PSNs auf den Erfolg des gemeinsamen Projekts einschwören müssen, aber auch auf Lieferantenseite, wo Unterstützung durch und Zusammenarbeit mit dem zahlenden Kunden gesichert werden muss, um ein auch finanziell erfolgreiches Kundenprojekt durchzuführen.
Interessant ist, dass es zu diesen Herausforderungen Arbeiten gibt, auf die Projektmanager zurückgreifen können: Jean Lipman-Blumen, Professorin am Peter F. Drucker-Institut der University of Claremont, USA, hat die Herausforderungen an "konnektives Führen" beschrieben. In Ihrem Buch "Connective Leadership" (siehe Literaturliste) argumentiert sie, dass Führungspersonen ("Leaders") sich nicht mehr auf die engen Grenzen ihrer Einflussdomäne verlassen können; stattdessen müssen sie in der heutigen "Connective Era" über Grenzen hinaus wirken und komplexe Allianzen bilden, zum Wohle derer, die sie führen, und zur Lösung von Problemen, die man alleine nicht bewältigen kann.
Projektmanager werden heute mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert – sie sind dafür jedoch nicht ausgebildet! Expertise in Project Business Management entwickeln sowohl Kunden als auch Lieferanten durch Versuch und Irrtum.
In diesem Umfeld sind Versuche jedoch sehr teuer, und Irrtümer noch viel mehr. Wir Ausbilder im akademischen und unternehmerischen Bereich sollten mehr tun, um Praktiker auf die neuen, komplexeren Anforderungen vorzubereiten.
Verträge zum Führen über Unternehmensgrenzen hinweg
Was kann man als Projektmanager tun, um über Unternehmensgrenzen hinweg eine positive Führung zu ermöglichen? Ein wichtiger Hebel sind Verträge. Dazu einige Vorschläge:
Komplexe Systeme aus bilateralen Verträgen sind unüberschaubar und können im Konfliktfall zu unvorhersehbaren Krisen führen. Eine Alternative bildet die Einführung eines multilateralen Vertrags. Mitarbeit im Projekt setzt hier voraus, dass ein Lieferant in den gemeinsamen Vertrag "einsteigt" und die gleichen Rechte und Pflichten wie die anderen Vertragspartner übernimmt. Diese Vertragsform macht Vertragsparteien zu Projektpartnern und erlaubt kollaborative Führungsansätze ohne unkalkulierbare Rechtsrisiken. Bild 3 beschreibt diesen Ansatz.
Kundengeführtes Konsortium
Ebenfalls in Bild 3 beschrieben und vor allem für große Projekte hilfreich: Das "kundengeführte Konsortium", auch als "Project Allianz" bezeichnet. Es geht noch einen Schritt weiter als der einfache multilaterale Vertrag. Ein Konsortium (im Projektkontext) ist ein zeitlich befristetes Joint Venture, also ein zum Zweck der gemeinsamen Arbeit im Projekt gegründetes Unternehmen. Der Kunde beauftragt das Konsortium mit der Durchführung des Projekts, ist aber selbst, gemeinsam mit einigen oder allen Lieferanten, Investor im Konsortium. Dieses agiert als Generalunternehmer, zwischen dessen Interessen und denen des Kunden kein Konflikt besteht.
Rolling-Award-Fee-Vertrag
Award Fee kann man mit "Begeisterungsprämie" übersetzen. Sie ist nicht einklagbar, gibt dem Lieferanten aber unmittelbar Rückmeldung dazu, wie der Kunde seinen Einsatz einschätzt. Dieser Vertragstyp belohnt Lieferanten, wenn sie das Projekt aktiv unterstützen.
Im Vorfeld werden gemeinsam Kriterien festgelegt und gewichtet, nach denen Lieferanten auf einer Punktskala regelmäßig, meist monatlich, bewertet werden. Aus der Multiplikation von Gewicht und Bewertung entsteht ein punktebasiertes Scoring. Bei Erreichen einer Mindestpunktzahl erhält der Lieferant die Prämie. Bild 4 zeigt eine Award-Fee-Bewertung, bei der der Lieferant sein Punktziel erreicht hat und sich somit die Prämie verdient hat.
Es geht also darum, Verhalten des Lieferanten zu belohnen, das dem Kunden Vorteile bringt, und ihn vor allem an finanziellen Einsparungen aufgrund seiner Leistung teilhaben zu lassen. Die Award Fee wird vom Kunden daher gerne gezahlt, da sie Ausdruck des gemeinsam Erreichten ist.
Der Blick nach vorn
Viele Aufgaben in Projekten lassen sich von Unternehmen allein nicht schaffen, einschließlich solch großer Aufgaben wie fortschreitender Globalisierung, digitaler Transformation und Gewinn an Agilität – intern und in den Märkten, in denen sich die Unternehmen bewegen. Die Fähigkeit, konnektiv zu führen, wird daher zu einer Kernkompetenz, die das Überleben von Firmen in sich schnell wandelnden Umgebungen sichern kann.
Literatur zu Project Business Management und konnektivem Führen
- Heptinstall, Ian: The Executive Guide to Breakthrough Project Management: Capital & Construction Projects; On-time in Less Time; On-budget at Lower Cost; Without Compromise, Denehurst Publishing, Chester (UK) 2016
- Hornby, Robin: Commercial Project Management: A Guide for Selling and Delivering Professional Services, Routledge, London (UK) 2017
- Lehmann, Oliver F.: Project Business Management, Taylor & Francis, Boca Raton (Florida, USA) 2018
- Lipman-Blumen, Jean: Connective Leadership: Managing in a Changing World, Oxford University Press, Cary, (North Carolina, USA) 2000