In seinen Büchern „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ und „Homo Deus“ beschreibt der international erfolgreiche Autor Yuval Noah Harari anschaulich, wie in den kommenden Jahrzehnten eine große Anzahl von Arbeitsplätzen durch Algorithmen überflüssig gemacht werden. Und davon werden auch Tätigkeiten mit Leitungsfunktionen betroffen sein. Ihr Job als Projektleiter wird vielleicht bald eine Maschine machen.
Harari hat ein einfaches Argument für seine These: spezialisierte Aufgaben, in denen auf Basis von Informationen und präzise definierte Regeln rationale Entscheidungen getroffen werden, kann eine Maschine besser erledigen als ein Mensch. Vielleicht jetzt noch nicht, aber bald. Und dann wird all das Wissen, das Sie über Scrum, PMBOK, ICB, Prince2, Spice oder CMMI haben mögen, völlig wertlos sein, denn die Maschinen werden sich dieses Wissen schneller aneignen und genauer anwenden können, als Sie es jemals schaffen werden. Während Sie vielleicht den Inhalt von etwa 20 Fachbüchern gut kennen und Erfahrungen in 30 Projekten gesammelt haben, kann eine Maschine den Inhalt von tausenden von Büchern und die Erfahrungen von tausenden von Projekten verarbeiten.
KI Algorithmen brauchen noch nicht einmal reale Beispiele, um zu lernen, sie können auch durch Simulation lernen. Googles KI System „AlphaZero“ brauchte nur ungefähr vier Stunden, um mehr Erfahrung in Schach zu gewinnen als die meisten Schachgroßmeister. "AlphaZero" wurde dafür aber nicht zuvor mit dem bekannten Wissen über Schach "gefüttert", sondern man programmierte nur die Schachregeln und ließ dann das System gegen sich selbst spielen und lernen.
Künstliche Intelligenz wird einen großen Einfluß auf die Arbeitswelt nehmen. Das muss aber nicht zwangsläufig mit dem Verlust Ihres Jobs enden, KI kann auch eine große Hilfe sein und die Arbeit sinnvoll unterstützen. Aktuell ist es aber meiner Erfahrung nach so, dass Künstliche Intelligenz und Machine Learning kaum eine Rolle im Bereich Projekt Management spielen. Bislang stand mir in keinem Projekt ein KI System zur Unterstützung meiner Arbeit zur Verfügung. Dabei gibt es durchaus Bereiche, in denen der Einsatz solcher Technologien sinnvoll sein kann.
Einfache Automatisierungen
Meiner Erfahrung nach benutzen nur sehr wenige Projekte außerhalb der Softwareentwicklung Bots oder Agenten, also mehr oder weniger autonome Funktionen um einfache Aufgaben zu automatisieren.
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Die Folge ist häufig, dass ein großer Teil der Zeit mit Routineaufgaben verbracht wird, die für sinnvollere Tätigkeiten fehlt. Hier einige mögliche Anwendungen:
- einfache Arbeitsabläufe, wie zum Beispiel Email-Anhänge auf einen Server hochladen oder Benachrichtigungen senden, wenn Dokumente bearbeitet worden sind,
- die automatische Konvertierung von Dokumenten in verschiedenen Formaten oder die Aktualisierung von Dokumenten, wenn sich Formatvorlagen ändern,
- der automatische Abgleich von verschiedenen Datenbanken und die Möglichkeit, in allen Quellen gleichzeitig zu suchen,
- die automatische Erstellung von Berichten und Graphiken, wie Fortschrittsberichte, Kostenaufstellung, Organisationsdiagramme oder Burn-Down-Charts,
- die Berechnung von Projektmetriken wie der Earned-Value Analyse,
- der Einsatz von Spracherkennung, beispielsweise um automatisch Protokolle von Besprechungen zu generieren.
Es ist kurios: während privat immer mehr Menschen versuchen, ihr Haus oder ihre Wohnung zu automatisieren, Aufgaben durch Workflows und Sprachbefehle zu erledigen oder an Roboter zu delegieren, machen Projektmanager häufig noch vieles selbst, bzw. müssen alles selbst erledigen, weil die Möglichkeit, Aufgaben durch Maschinen zu erledigen, fehlt.
Verarbeitung von Informationen und Wissensmanagement
Die Menge der Informationen, die innerhalb eines Projektes verarbeitet wird, ist überwältigend und obwohl es zahlreiche Technologien gibt, um Textdokumente automatisch zu verarbeiten, werden Dokumente meistens nur in verschachtelten Ordnerstrukturen organisiert. Häufig ist der einzige Algorithmus, der dazu benutzt wird um Texte zu klassifizieren, der Spam Filter im Emailsystem.
Die Folge ist, dass viel Zeit mit der Suche nach Informationen verschwendet wird und wertvolles Wissen irgendwo in den Tiefen des Dateisystems verloren geht. Tatsächlich ist vieles möglich:
- Texte könnten automatisch thematisch klassifiziert und mit Stichwörtern versehen werden,
- Texte könnten automatisch gruppiert werden, Verbindungen, Abhängigkeiten und Ähnlichkeiten zwischen Dokumenten ließen sich analysieren und darstellen,
- Duplikaten, Redundanzen und Widersprüche könnten identifiziert werden,
- Texte lassen sich automatisch zusammenfassen und übersetzen,
- der Status von Dokumenten könnte maschinell bestimmt werden: ist ein Dokument aktuell, muss es überarbeitet werden oder ist es gar obsolet?
- die Relevanz von Dokumenten kann für die verschiedenen Rollen und Tätigkeiten ermittelt werden,
- Glossare könnten automatisch erstellt werden und Verlinkungen zu den Glossaren könnten automatisch eingefügt werden,
- Texte und Textpassagen könnten typisiert werden: handelt es sich um ein Problem, eine Lösung, ein Vorschlag, ein Arbeitspaket, eine Anforderung oder um eine Information?
- Die Qualität von Textpassagen könnte automatisch ermittelt werden: welche Dokumente sollten überarbeitet werden?
Machine Learning Algorithmen können helfen, Wissen und Informationen leicht zugänglich zu machen. Das ROSS System von IBM zum Beispiel unterstützt Anwälte bei der Recherche. Warum sollte es nicht ein ähnliches System für das Projektmanagement geben?
Entscheidungen und Prognosen
Expertensystem können helfen, Prognosen über den weiteren Projektverlauf zu erstellen, Vorschläge für Maßnahmen zu erarbeiten oder konkrete Entscheidungen zu treffen.
In Projekten werden Entscheidungen häufig unter sehr hohen Druck getroffen, und diese Belastung wirkt sich meistens negativ auf die Qualität der Entscheidung aus. Auch werden Entscheidungen erst sehr spät getroffen, da negative Tendenzen nicht früher erkannt wurden. Ein Expertensystem könnte vielfältige Aufgaben übernehmen:
- zum Beispiel die Aufwände von Arbeitspaketen abschätzen,
- die Auswirkungen von Verzögerungen analysieren und berechnen,
- die Probleme innerhalb des Projektes sammeln, zusammenfassen und priorisieren,
- während des Projektes Trends erkennen. Zum Beispiel: ist die Qualität der Software in den letzten Wochen gesunken?
- Risiken ermitteln und darstellen, Gegenmaßnahmen vorschlagen,
- Lessons-Learned Ergebnissen anwenden: bekannte Probleme entdecken und Lösungen vorschlagen,
- Beispiele und Musterlösungen für Arbeitspakete ermitteln,
- Mitarbeiter miteinander vernetzen. Welche Mitarbeiter arbeiten an ähnlichen Problemen und könnten sich gegenseitig unterstützen?
Expertensysteme können im Projektalltag für Entlastung helfen, ähnlich wie die Assistenzsysteme eines Fahrzeuges den Fahrer entlasten. Wenn Algorithmen ein Fahrzeug in der Spur halten können, warum sollten Sie nicht auch ein Projekt lenken können?
Wird sich das Projektmanagement in den nächsten Jahren ändern?
Ich kann durchaus verstehen, dass viele Menschen Vorbehalte gegen den Einsatz von KI haben. Ich persönlich bezweifle, dass KI alle Probleme dieser Welt lösen wird und halte den gegenwärtigen Hype eher für eine Folge geschickten Marketings als für eine echte Revolution.
Aber KI ist längst im Alltag angekommen: wir lassen uns von Algorithmen Bücher und Filme empfehlen, benutzen Roboter für die Haus- und Gartenarbeit, machen durch Assistenzsysteme die Autofahrt sicherer und bequemer und sind auf Suchmaschinen angewiesen, um die Masse an verfügbaren Informationen im Internet zu verarbeiten. Also warum nutzen wir diese Technologien so selten im Projektmanagement.
Es gibt ein grundsätzliches Missverständnis bzgl. KI
11.10.2019
KI "versteht" nichts.
Die bisherigen Ansätze basieren immer auf immensen Datenmengen für das Training. Wenn mann 100.000 gleichartige Projekte macht, mag eine KI daraus lernen können. Aber so weit ich Projektmanagement verstanden habe, geht es ja immer wieder darum, auf unvorhergesehene Situationen angemessen zu reagieren. Und genau das ist die Schwäche der KI.
Beispiel Bilderkennung: Ein Mensch erkennt einen Tisch oder sogar eine andere Person aus allen möglichen Perspektiven. Eine "KI" hat da sehr häufig große Schwierigkeiten, wenn der Tisch z.B. in einem ungewöhnlichen Kontext auftaucht (z.B. unter Wasser, dadurch verzerrt und unscharf).
Der gefühlte Erfolg von Suchmaschinen basiert z.T. ja auch darauf, dass ich als Anwender gar nicht einschätzen kann, ob das wirklich die guten Suchergebnisse sind, die ich da bekomme. Vielleicht ist auf der 15. Seite der einschlägige Artikel, der alles super zusammenfasst und genau mein Problem beschreibt. Aber ich sehe den nicht, sondern nehme die ersten 3 oder 5 Artikel und arbeite mich mühsam selbst in das Thema ein.
Gerade in Projekten geht es immer ums Verstehen - da sehe ich in absehbarer Zeit keine KI.
KI ist gerade im Hype-Zyklus. Es wird sich normalisieren, die Ernüchterung setzt bereits ein. (In wirklich selbstfahrenden Autos sitzt noch niemand. Wir sind immer noch in der Phase Assistenzsysteme und Tesla holt sich gerade erneut eine blutige Nase.) KI wird ihre sinnvollen Anwendungen finden. Vielleicht auch im Projektmanagement aber im aktuellen Zustand mache ich Ihnen nicht viele Hoffnungen, dass einige der genannten Ideen sinnvoll und hilfreich umgesetzt werden können.