PM-FAQs: Wie umgehe ich die Qualitätssicherung?
Dieses Mal geht es um folgende Frage: "Wie kann ich in meinem Projekt die Qualitätssicherung umgehen?"
PM-FAQs: Wie umgehe ich die Qualitätssicherung?
Dieses Mal geht es um folgende Frage: "Wie kann ich in meinem Projekt die Qualitätssicherung umgehen?"
Wenn man über Jahre mit teils erfahrenen, teils unerfahrenen, aber immer neugierigen und motivierten Mitmenschen die Kunst des Projektmanagements diskutiert, dann werden immer wieder dieselben Fragen aufgeworfen. Viele davon beziehen sich nicht direkt auf Prozesse, Methoden und Tools, sind aber von grundsätzlicher Bedeutung. Oft wird die Sinnfrage gestellt ("Warum …?"). Und hier findet die Evolution vom Amateur zum Profi statt.
Ein begabter Amateur im Projektmanagement tut oft (nicht immer) intuitiv das richtige, kann es aber nicht begründen. Ein guter Profi tut (hoffentlich fast immer) das richtige; er tut es aber wohlüberlegt und kann sein Handeln begründen. Und wenn er sehr gut ist, dann achtet er auch noch auf die Effizienz seines Handelns, denn wenn man zu viel des Guten tut, dann ist es auch nicht mehr gut.
Hier ist die nächste Frage, die mir immer wieder gestellt wird, und meine Antwort darauf. Haben Sie Anmerkungen, Ergänzungen oder Kritik, freue ich mich auf eine Diskussion. Und wenn Sie selber eine Frage einbringen möchten, dann greife ich sie gern auf, selbstverständlich mit Nennung der Quelle, falls gewünscht oder erlaubt.
Q: Wie kann ich in meinem Projekt die Qualitätssicherung umgehen?
A: Ich interpretiere diese Frage mal wohlwollend im Sinne des Fragestellers, dem ich keine Betrugsabsichten unterstellen möchte. Gemeint ist vermutlich: Natürlich achte ich in meinem Projekt darauf, dass ich das Richtige tue (Effektivität) und dies auch richtig (Effizienz). Wie kann ich dann bloß diesem bürokratischen Overhead aus dem Weg gehen, der ausschließlich der organisatorischen Selbstbefriedigung dient von Leuten, die das Festlegen, Dokumentieren und Befolgen von Prozessen für wichtiger erachten als eine möglichst "schlanke" Zielerreichung innerhalb des magischen Dreiecks? – Wenn die Frage so gemeint ist, dann scheint mir eine Begriffsklärung nötig.
Kleiner anekdotischer Exkurs: im Laufe meiner Berufsausübung bin ich oft Firmen begegnet, in denen, je nach Größe, eine Gruppe, Abteilung oder ein Bereich das Wort Qualität im Namen führte, gern in der hier verwendeten Form. Und ich habe dann gern die Mitarbeiter gefragt: "Was macht Ihr denn so den ganzen Tag?" Die Antwort war dann oft: "Messungen, Tests, …" Und darauf die Frage: "Und warum nennt Ihr Euch dann Qualitätssicherung?"
Tatsächlich herrscht selbst unter Profis oft eine Begriffsverwirrung, die manchmal auch von den einschlägigen Normen und Standards gefördert wird. Deshalb jetzt kurz zurück zu den Basics.
Was bedeutet "Qualität"?
Es gibt viele unterschiedliche Definitionen des Begriffs "Qualität". Meine Lieblingsdefinition ist: "Qualität ist ein Maß dafür, wie gut Verabredungen eingehalten werden." Darin sind nämlich enthalten:
- Produktanforderungen als Verabredungen mit dem Kunden (Lasten- und Pflichtenheft, Spezifikationen),
- Projektanforderungen (u.a. Termine, Budget) und
- Verabredungen betreffend die Zusammenarbeit (Projektauftrag, Team Charter, Spielregeln für den Umgang mit den Stakeholdern).
Werfen wir einen Blick in den PMBoK Guide, 5. Ausgabe oder älter. "Qualitätsmanagement in Projekten" ist dort aufgeteilt in drei Hauptprozesse: Qualitätsplanung, Qualitätssicherung und Qualitätslenkung (im Folgenden wird Qualität jeweils mit Q abgekürzt). Q-Planung ist im Wesentlichen das Verabreden von Qualitätsstandards. Q-Lenkung heißt im Wesentlichen die Projektergebnisse, d.h. die Liefergegenstände, zu vermessen und daraus für die Zukunft zu lernen. Beim Thema Q-Sicherung wird der PMBoK Guide ein wenig schwurbelig; eine Tendenz, die sich in der 6. gerade erschienenen Ausgabe fortsetzt (siehe dazu den Fachbeitrag "Der PMBOK® Guide in der 6. Ausgabe") wo der Begriff "Sicherung" durch den Allerwelts-Totschlagsbegriff "Management" ersetzt wird – in meinen Augen einer der unzähligen Beweise dafür, dass sich ein regelmäßig überarbeiteter Standard keineswegs einem wie auch immer gearteten fiktiven Optimum nähert, sondern auf dem Weg dorthin mit zunehmendem Volumen immer mehr ins Torkeln gerät (Achtung: Satire-Alarm!). Also gehen wir mal zurück auf die inzwischen zurückgezogene Norm ISO 8402 (wie beim Wein: taugt er was, dann gewinnt er durch Alterung). Da heißt es:
"Qualitätssicherung: Teil des Qualitätsmanagements, der auf das Erzeugen von Vertrauen darauf gerichtet ist, dass Qualitätsanforderungen erfüllt werden."
Die Janusköpfigkeit des Qualitätsmanagements
Und das ist der wesentliche Punkt: Q-Kontrolle (als Vorstufe zur Lenkung) schaut nach, ob man alles richtig gemacht hat im Projekt; Q-Sicherung als vertrauensbildende Maßnahme versucht zu ergründen, ob man bei der Realisierung des Projekts alles richtig machen wird. Der Januskopf des Qualitätsmanagements: Der Blick in die Vergangenheit bei der Kontrolle und der Blick in die Zukunft bei der Sicherung, unabhängig davon, wann und wo im Projektverlauf diese Blicke geworfen werden.
Im Gegensatz zur Aussage des PMBoK Guide muss deshalb ein Großteil der Q-Sicherungsmaßnahmen bereits in der Planungsphase des Projekts durchgeführt werden, wenn man noch gar keine Ergebnismessungen hat: Studien, Modelle, Gutachten, Simulationen, Audits – alles Methoden, die sicherstellen sollen, dass man im Projekt auf dem richtigen Wege ist. Haben Sie z.B. ein schwieriges Arbeitspaket definiert, bei dem Sie nicht sicher sind, ob die Vorgänge zum gewünschten Ergebnis führen werden: Qualitätssicherungsmaßnahme angesagt!
Bei den einzelnen Arbeitspaketen geht es allerdings meist um Produktqualität. Aber jetzt kommt die Projektqualität: welche vertrauensbildenden Maßnahmen gibt es denn, die Sie darin bestärken können, dass Sie die das Gesamtprojekt betreffenden Verabredungen einhalten werden (etwa Zeitpläne, Budgets)?
Interessant ist, dass ein intuitiv arbeitender, begabter Projektmanager zwei Hauptprozesse des Qualitätsmanagements gar nicht explizit braucht, nämlich die Q-Planung und die Q-Kontrolle: Es sollte selbstverständlich sein, dass man zu Beginn des Projekts mit den Stakeholdern darüber redet, was man liefern soll, und dass man gegen Ende des Projekts überprüft, ob man das Ziel getroffen hat. Sie würden ja wohl eine neue Software nicht an den Kunden ausliefern, ohne sie vorher getestet zu haben. Dazu braucht man keine besonderen QM-Kenntnisse. Aber Q-Sicherung als vertrauensbildende Maßnahme vorher ist nicht selbstverständlich.
Das Dumme ist, dass Qualitätssicherung (hierin vergleichbar mit dem Risikomanagement) nicht wertschöpfend ist, wenn alles gut gegangen ist; denn in dem Fall sieht man dem Liefergegenstand nicht an, ob sie stattgefunden hat.
Sind Sie ein Zocker?
Sie sind Zocker und wollen die Produkt-Qualitätssicherung umgehen? Bitte nur, wenn Sie sicher sind, dass Sie das Richtige tun werden. Lassen Sie nur nie die Produkt-Qualitätskontrolle aus.
Aber was die Projektqualität betrifft: Da sollten Sie besser nicht zocken. Die Verabredungen betreffen ja nicht nur das Produkt, sondern das ganze Magische Dreieck. Es wäre zu billig und liegt mir fern, einzustimmen in das Bashing berühmter Projekte, in die ich nicht im mindesten selber involviert war; aber wenn Sie den nächsten Stuttgarter Elbflughafen bauen, dann wäre es sicher eine nette Übung für Sie zu überlegen, welche vertrauensbildenden Maßnahmen zu Beginn durchzuführen wären, damit man ein Gefühl dafür bekommt, ob man die versprochene Produktqualität in time und in budget liefern kann.
Und angesichts der bekannten Erfolgsquote komplizierter Projekte scheint es mir keine gute Idee, die Qualitätssicherung zu umgehen. Vielleicht sollte man sie erst einmal neu erfinden.
Patrick Krämer
23.03.2018
Antje Lehmann-Benz
24.03.2018