Der hybride Projektleiter als Treiber der agilen Transformation im Konzern
Aufmerksame Leser unseres Magazins wissen, dass die Lufthansa Technik offen gegenüber neuen Ansätzen und Management-Systemen ist: Seit 2004 führt sie beispielsweise Projekte auch lean durch. Das folgende Interview mit Tilman Seidel und Michael Vollrath illustriert die Fortführung dieser Tradition am Beispiel eines hybriden Innovationsprojekts. Michael Köhler sprach mit beiden über die Besonderheiten des Projekts.
Der hybride Projektleiter als Treiber der agilen Transformation im Konzern
Aufmerksame Leser unseres Magazins wissen, dass die Lufthansa Technik offen gegenüber neuen Ansätzen und Management-Systemen ist: Seit 2004 führt sie beispielsweise Projekte auch lean durch. Das folgende Interview mit Tilman Seidel und Michael Vollrath illustriert die Fortführung dieser Tradition am Beispiel eines hybriden Innovationsprojekts. Michael Köhler sprach mit beiden über die Besonderheiten des Projekts.
Frage: Tilman, Du hast bis vor kurzem das Projekt "Peer-to-peer asset sharing für Flugzeugkomponenten" geleitet. Das Besondere an diesem Projekt ist, dass Du als Projektleiter hybrid unterwegs warst. Was bedeutet das genau?
Tilman Seidel: Wir haben das Projekt mit den typischen Scrum-Rollen (Product Owner, Scrum Master, Entwicklungsteam) aufgesetzt und dabei in sehr kurzen Entwicklungszyklen mit Sprints, Reviews, Dailys und Retrospektiven gearbeitet. Trotzdem wollten wir nicht auf die traditionelle Rolle des Projektleiters verzichten.
Die Interviewten
Tilmar Seidel (rechts) ist Senior Manager Digital Project and Portfolio bei der Lufthansa Technik AG und war dort zuvor als Senior Project Manager tätig.
Michael Vollrath (links) ist Head of Business Development / Projects and Project Portfolio bei der Lufthansa Technik AG.
Der hybride Projektleiter als Mittler und Übersetzer
Frage: Warum war es für Euch hilfreich, dass es die Rolle des Projektleiters weiterhin gab?
Michael Vollrath: Die Lufthansa Technik befindet sich mitten in einer sehr dynamischen Entwicklung. Gleichzeitig existieren im Unternehmen nach wie vor klassische Konzernstrukturen. Eine wichtige Erfahrung aus ähnlich gelagerten Projekten ist, dass die bestehende Organisation auf bestimmte Regeln und Formalismen angewiesen ist. Dafür braucht es agile Adapter in der Person des Projektleiters – jemand, der den Stakeholdern in der bestehenden Welt erklären kann, was im Projekt passiert.
Tilman Seidel: Als agiler Projektleiter sehe ich mich als Wegbereiter, der den Kollegen den Rücken freihält und es ihnen ermöglicht, flexibel und ohne lange Planungsvorläufe zu arbeiten – und dabei sehr viel auszuprobieren und zu experimentieren. Gleichzeitig bin ich aber auch eine Art Brücke in die klassische Organisation – schließlich benötigt das Management als Auftraggeber der Projekte stets die richtigen Informationen, um beispielsweise Entscheidungen über Richtungsänderungen oder Laufzeitveränderungen treffen zu können. Solange die Organisation sehr hierarchisch aufgestellt ist, benötigen Auftraggeber diese Informationen so wie es dem traditionellen Projektmanagement entspricht.
Ein Rahmen für die Arbeit außerhalb der Konzernstrukturen
Frage: Eigentlich ist ein Projektleiter in agilen Projekten gar nicht vorgesehen. Führte das nicht zu Rollenkonflikten?
Tilman Seidel: Nein. Entscheidend für die konstruktive Arbeit an diesem neuen, digitalen Produkt war es, von Anfang an die richtigen Leute mit den richtigen Kompetenzen ins Boot zu holen. In der Rolle des Product Owners haben sogar zwei Personen zusammengearbeitet: Eine Kollegin aus dem Produktmanagement mit viel Sales-Erfahrung und Kundenkontakten und ein Digital-Stratege als kreativer Ideengeber. Diese Doppelbesetzung ist für uns im Sinne einer hohen Diversität optimal, weil sie die Kreativität des Teams signifikant erhöht. Abgerundet wird diese Besetzung durch den Scrum Master, der das Team kontinuierlich begleitet, wichtige Meetings moderiert und dafür sorgt, dass das Framework eingehalten wird.
Michael Vollrath: Anders als in klassischen Projekten haben wir in vielen Innovationsprojekten Kollegen, die gerne bewusst außerhalb der Organisation arbeiten. Unsere Herausforderung besteht darin, diesen Leuten, die Lust auf etwas ganz Anderes haben und dabei hochmotiviert sind, einen Rahmen zu geben, in dem sie das tun können, was ihnen Freude macht und ihre Kreativität fördert. Wir brauchen aber auch Mitarbeiter, die in der Lage sind, diesen Rahmen bereitzustellen und ihn zu institutionalisieren. Diese Aufgabe übernahm bei uns der agile Projektleiter.
Frage: Wie seid Ihr ins Projekt gestartet?
Tilman Seidel: Bevor wir das Projekt aufgesetzt haben, haben wir zu dritt an einem sogenannten "Boost Camp" teilgenommen. Da wurden wir mitsamt unserer Produktidee erst einmal fünf Tage gegrillt und auf den Prüfstand gestellt. Die agilen Coaches im Camp haben uns dazu angehalten, potenzielle Kunden zu kontaktieren und ihnen unsere Idee zu präsentieren. Da haben wir gemerkt, dass unsere initiale Idee gut ist, wir aber noch nicht das richtige Problem bzw. den Pain Point gefunden haben - und damit auch den Zugang zum Kunden.
Frage: Kannst Du kurz auf einem virtuellen Bierdeckel skizzieren, worum es geht und wie Ihr vorgegangen seid?
Tilman Seidel: Im Kern geht es darum, den Airlines dabei zu helfen, ihre Materialbestände zu optimieren. Auf Basis einer klassischen Marktstudie haben wir zunächst unter unseren Kunden Early Adopters ausgewählt, die Interesse hatten, mit uns zusammenzuarbeiten. Im Kontakt mit diesen Kunden stellte sich dann heraus, dass die das Thema zwar interessant fanden, aber gar nicht richtig zuhörten, als wir ihnen unsere Lösungsidee präsentierten. Ihr bei weitem größtes Problem war und ist es, dass Flugzeuge stillstehen, anstatt in der Luft zu sein. Das so klar herauszuarbeiten war sehr wertvoll für uns!
Vertrauen bei Entscheidern aufbauen
Frage: Was geschah dann?
Tilman Seidel: Wir haben unsere Idee entsprechend angepasst und ein sehr gutes Pitch beim Vorstand gemacht, der uns ja in der Rolle des firmeninternen Investors gegenüberstand – und begeistert war. Die Vision hatte sich nicht verändert, aber wir konnten das Produkt nun ganz eng an den anfänglich geäußerten Bedürfnissen des Kunden weiterentwickeln. Unser konsequenter Fokus auf den Kunden hatte auch Konsequenzen für die Auswahl unseres digitalen Entwicklungspartners. Wir haben hier nicht nur auf das technische Know-How geachtet, sondern auch auf Soft Skills und die Fähigkeit, konstruktive Gespräche zu führen.
Frage: Wie gingen die Auftraggeber auf Konzernseite damit um, dass sie es mit einem agilen Projekt zu tun hatten, in dem sich die Dinge schnell mal um 180° drehen können?
Tilman Seidel: Das war sehr spannend! In der ersten Phase des Projekts gab es im Steuerungskreis ein großes Bedürfnis nach regelmäßiger Information und kurzen Controlling-Zyklen: Budget, Zeitplan etc. Was zum einen daran lag, dass die Auftraggeber schlicht keine Zeit hatten, an den 14-tägig stattfindenden Sprint-Reviews teilzunehmen und sich dort selbst zu informieren. Zum anderen sind die Reviews alles andere als intime Entscheider-Meetings. Meine Rolle war es dann auch gerade am Anfang, Einzelbriefings zu machen, damit die Auftraggeber nicht von Bord gehen. Je länger das Projekt dauerte, umso entspannter wurden die Entscheider, weil sie zunehmend Vertrauen in die Sinnhaftigkeit unseres Tuns bekamen: Es ist ja gerade die flexible Vorgehensweise, die es uns erlaubt, konsequent auf die Bedürfnisse des Kunden zu reagieren, anstatt einfach nur Meilensteine abzuarbeiten.
Arbeiten wie im Startup – und danach kein Zurück mehr?
Frage: Eigentlich eine Win-Win Situation: Die Konzerne holen sich die Startups ins Unternehmen, die Startups müssen nicht mühsam um Startkapital und Geldgeber konkurrieren…
Tilman Seidel: Das ist richtig. Wir arbeiten wie ein Startup, nehmen aber die Sicherheiten mit, die der Konzern uns bietet. Allerdings müssen wir auch – anders als ein unabhängiges Startup – darauf achten, dass wir uns mit unserem neuen Produkt nicht selbst Konkurrenz machen.
Michael Vollrath: Wir müssen offener über das entsprechende Setup im Betrieb diskutieren: Werden Startups und innovative Projekte in die Organisation integriert oder ist es besser, Gesellschaften auszugründen und neue Produkte auch über neue Plattformen zu vermarkten? Aus meiner Sicht gilt: Je mehr die Menschen agil und damit auch selbstverantwortlicher als in der klassischen Organisation arbeiten können, desto schwieriger wird es für sie, wieder in die alten Strukturen zurückzukehren. Bisher haben wir das Thema Innovation noch weitgehend in Nischen verbannt. Ich glaube fest daran, dass wir es mehr in den organisatorischen Mainstream integrieren müssen. Das wiederum wird massive Konsequenzen für die Art und Weise haben, wie wir diesen Mainstream bei der LHT gestalten.
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Frage: Was ist Euer Fazit zum hybriden Projektleiter?
Tilman Seidel: Ich glaube, dass hybride Projekte gerade in der Anfangsphase eine gute Lösung sind, um die flexible Arbeit von kleinen, innovativen Teams in großen Unternehmen abzusichern. Dabei ist klar: Die Organisation braucht den Projektleiter viel mehr als es das Team tut. Meine Funktion war im Kern sehr politisch, gleichzeitig habe ich die Rolle des Sparringspartners, Generalisten und Liberos innegehabt.
Was mir auffällt: Je länger wir dabei sind, desto konsequenter können wir agil arbeiten – und bekommen dahingehend auch von den Auftraggebern immer mehr Rückenwind. Die Rolle des Scrum Masters und die des Projektleiters verschmelzen dabei zunehmend. Unser Erfolgsrezept war es, die Rollen flexibel auszulegen und zugleich das Scrum Framework von Anfang an konsequent anzuwenden und durchzuhalten. In dem Maße, in dem agile Projektarbeit zum Regelfall wird, könnte auch die traditionelle Rolle des Projektleiters obsolet werden.
Raum zum Gestalten und selbstverantwortlich Handeln
Michael Vollrath: Damit Neues möglich wird, müssen sich nicht nur das Top-Management und die Führungskräfte bewegen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir bei der Erweiterung unserer Gestaltungsräume eher ein Bottom-up als ein Top-Down Problem haben. Es geht um eine ganz neue Haltung zu Beruf und Berufsleben. Performance lässt sich nicht mehr auf die Qualifikation reduzieren. Methodenkompetenz, Kommunikation und Motivation, die dadurch entsteht, dass ich das, was ich mache, mit Freude tue, werden zunehmend wichtiger.
Zugleich wird es auch den gewohnten Komfort in der Sicherheit traditioneller Entscheidungsstrukturen auf der Basis von "Entscheide Du das mal, ist schließlich Dein Job" immer weniger geben. Stattdessen wird die Lust am Gestalten und am selbstverantwortlichen Handeln einen immer größeren Stellenwert bekommen, und zwar quer durch die ganze Organisation hinweg.
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