PM-FAQs: Wie schlachte ich eine heilige Kuh?
Wenn man über Jahre mit teils erfahrenen, teils unerfahrenen, aber immer neugierigen und motivierten Mitmenschen die Kunst des Projektmanagements diskutiert, dann werden immer wieder dieselben Fragen aufgeworfen. Viele davon beziehen sich nicht direkt auf Prozesse, Methoden und Tools, sind aber von grundsätzlicher Bedeutung. Oft wird die Sinnfrage gestellt ("Warum …?"). Und hier findet die Evolution vom Amateur zum Profi statt.
Dieses Mal geht es um folgende Frage: Wie schlachte ich eine heilige Kuh (das Lieblingsprojekt eines Vorgesetzten ohne Aussicht auf Erfolg)?
PM-FAQs: Wie schlachte ich eine heilige Kuh?
Wenn man über Jahre mit teils erfahrenen, teils unerfahrenen, aber immer neugierigen und motivierten Mitmenschen die Kunst des Projektmanagements diskutiert, dann werden immer wieder dieselben Fragen aufgeworfen. Viele davon beziehen sich nicht direkt auf Prozesse, Methoden und Tools, sind aber von grundsätzlicher Bedeutung. Oft wird die Sinnfrage gestellt ("Warum …?"). Und hier findet die Evolution vom Amateur zum Profi statt.
Dieses Mal geht es um folgende Frage: Wie schlachte ich eine heilige Kuh (das Lieblingsprojekt eines Vorgesetzten ohne Aussicht auf Erfolg)?
Hier ist die nächste Frage, die mir immer wieder gestellt wird, und meine Antwort darauf. Haben Sie Anmerkungen, Ergänzungen oder Kritik, freue ich mich auf eine Diskussion. Und wenn Sie selber eine Frage einbringen möchten, dann greife ich sie gern auf, selbstverständlich mit Nennung der Quelle, falls gewünscht oder erlaubt.
Q: Wie schlachte ich eine heilige Kuh (das Lieblingsprojekt eines Vorgesetzten ohne Aussicht auf Erfolg)?
A: Dem klassischen Projektmanagement liegt das Prinzip des Reduktionismus zugrunde, entwickelt von Rene Descartes (1596-1650). Das besagt: wenn Du ein Problem hast, das Du nicht verstehst, dann zerlege es in Teilprobleme. Wenn Du die auch nicht verstehst, zerlege sie so lange in kleinere Einheiten, bis du die verstehst. Und dann setze sie geistig wieder zusammen; dann hast du das gesamte Problem verstanden.
Damit hat Descartes die Methode des neuzeitlichen wissenschaftlichen Arbeitens erfunden. Sie hat über 300 Jahre gut funktioniert, bis sie durch Systemtheorie und Chaostheorie ergänzt werden musste wurde; und eine der konsequentesten praktischen Anwendungen ist Projektmanagement. Wir sehen das an den gängigen Methoden (z.B. Projektstrukturplan, Netzplantechnik), und damit erkennen wir als eine der Grundvoraussetzungen für ein Projekt die Annahme der Machbarkeit und damit der Planbarkeit.
Im Arbeitsalltag geht das häufig ein wenig unter; je stürmischer die Zeiten sind und je dynamischer die Branchen, in denen wir uns bewegen, desto größer ist die Gefahr, dass hektischer Aktionismus bei Mitarbeitern höher geschätzt wird als introvertiertes Grübeln. Für einen Projektleiter heißt deshalb der Kompromiss zwischen den fachlichen und den sozialen Anforderungen "unverzügliches, aber gründliches und deutlich sichtbares Planen".
Projekte finden in Organisationen statt, und hier gelten zwei weitere Regeln:
- Sag niemals "nein" zu Deinem Chef.
- Wenn doch, dann darf es nicht nach einem Nein klingen.
Nun zu unserer Problemstellung: Ein Vorgesetzter beauftragt Sie, sich um ein Projekt zu kümmern, von dem Sie wissen, dass es sich um eine Lieblingsidee von ihm handelt. Aufgrund Ihrer zehnjährigen Erfahrungen auf diesem Gebiet ahnen Sie sehr früh, dass sich das unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht realisieren lässt.
Wunschdenken vs. realistische Planung
Das können Sie ihm aber nicht sagen. Warum? Der Manager ist ein vernünftiger Mensch (davon gehe ich aus), aber eben ein Mensch, und alle Menschen sind wunschgetrieben. Und je stärker die Wünsche, desto mehr dominiert das Wunschdenken (d.h. die Emotion) die Vernunft.
Deshalb, und nach Regel eins, können Sie nicht sagen: "Aufgrund meiner zehnjährigen Erfahrung weiß ich, dass das nicht funktionieren wird." Die Antwort wird lauten: "Aufgrund meiner 20-jährigen Erfahrung als Manager weiß ich, das werden Sie schon hinkriegen!" Stattdessen sagen Sie: "Vielen Dank für den interessanten Auftrag; ich werde sofort mit der Planung beginnen!"
Und Sie ziehen sich zurück in Ihr Büro und machen einen Plan. Und obwohl Sie sich sicher sind, dass dieses Vorhaben nicht funktionieren wird, müssen Sie große Sorgfalt in diesen Plan investieren, weil er in der Sache nicht angreifbar sein darf. Besonders die Seite des magischen Dreiecks, die das Projekt scheitern lassen wird (Fachliches, Zeit oder Geld), müssen Sie sehr akkurat planen.
Dann treffen Sie den Manager wieder. Und Sie sagen: "Vielen Dank noch einmal für den sehr interessanten Auftrag! Ich habe inzwischen einen Plan gemacht, den ich Ihnen gerne zeigen würde. … Und wenn Sie das Budget um 500.000 Euro erhöhen und uns ein halbes Jahr mehr Zeit geben, dann wird das ein großartiges Projekt, da bin ich ganz sicher!"
Auf diese Weise haben Sie erstens bewiesen, dass Sie die Grundgedanken des Projektmanagements verstanden haben, und zweitens haben Sie nicht nein gesagt; Sie waren konstruktiv und haben die Idee des Managers gewürdigt. Und wenn er tatsächlich ein vernünftiger Mensch ist, dann wird er auf der sachlichen Ebene die Schwächen des Projekts erkennen; er hat dann Gelegenheit, ohne Gesichtsverlust aus diesem Vorhaben auszusteigen.
Bevor das passiert, wird natürlich Ihr Projektplan auf Herz und Nieren geprüft, und zwar umso härter, je größer das Interesse an dem Projekt ist. Hier kommt die Planungssorgfalt ins Spiel, denn wenn Sie sich einmal bei einer Schwachstelle in der Planung erwischen lassen, wird der Manager nach weiteren Schwachstellen suchen; es besteht dann die Gefahr, dass sich die Meinung herausbildet, Ihnen wäre generell eine gute Planung nicht zuzutrauen. Daraus folgt: Je größer das Interesse an der heiligen Kuh ist, die Sie schlachten wollen, desto sorgfältiger müssen Sie planen (siehe dazu auch den Blog-Beitrag PM-FAQs: Pläne sind kein Wunschkonzert!").
Bei manchem Chef hilft nur fliehen
Gelegentlich höre ich den Einwand: "Mein Chef ist vernünftigen Argumenten nicht zugänglich! Und selbst wenn er es ist: Ober sticht Unter …" – Wenn das wirklich so ist, dann sollten Sie ihre Großhirnrinde ausschalten und sich nur noch auf ihr limbisches System verlassen. Das kennt nur drei Reaktionen: Angriff, Totstellen oder Flucht (meist kommt nur letzteres in Frage).
Aber im Allgemeinen haben wir es doch bei allen Beteiligten mit Menschen zu tun, die über ein gewisses Maß an Vernunft verfügen. Und die Annahme "Ober sticht Unter" ist ein weitverbreitetes, aber falsches Dogma, das nur deshalb nicht ausrottbar ist, weil "Untergebene" es willig akzeptieren und damit bestärken. Die Regel aber ist: Unter vernünftigen Menschen führt nicht der die Diskussion, der den höheren Rang besetzt, sondern derjenige, der mehr und bessere Argumente hat.
Dass in einem Meeting oft ein anderer Eindruck entsteht, ist auf das von allen Anwesenden aufgeführte Rollenspiel ("ich Chef, ich Bestimmer; Du Knecht, Du Ausführender") zurückzuführen. Aber die Vernunft setzt sich gern erst später und vor allem geräuschlos durch, wenn der Meeting-Vorhang gefallen ist ("schicken Sie uns mal die Folien; Sie hören von uns.") – so schützt der Manager die Rolle des Bestimmers und erspart es sich, öffentlich zugeben zu müssen, dass "der Unter" die bessere Entscheidung getroffen hat).
Und wenn Ihr Chef trotz Ihres scheinbar wasserdichten Plans sich nicht von der Aussichtslosigkeit seines Vorhabens überzeugen lässt? Dann sollten Sie vielleicht hinterfragen, ob Ihre Planung tatsächlich vollkommen sauber war, und prüfen, ob Sie vielleicht selber mit Ihrem Gefühl der Unsinnigkeit dieses Vorhabens auf dem Holzweg waren.
Rüdiger Geist
16.02.2018
Jürgen T. Sturany
17.02.2018