Projekte zur Software-Einführung Den Arbeitsaufwand des Kunden realistisch einschätzen
Projekte zur Software-Einführung Den Arbeitsaufwand des Kunden realistisch einschätzen
Bei Projekten zur Einführung einer Standardsoftware, z.B. einer ERP-Software, hat der Kunde (Anwender der Software und Auftraggeber) meist einen höheren Arbeitsaufwand zu erbringen als er zunächst geschätzt hat. Wahrscheinlich ist sein eigener Aufwand sogar weit höher als der des Auftragnehmers. Das Problem ist, dass niemand den Kunden über seinen Aufwand ehrlich informiert und es auch keine publizierten Aussagen dazu gibt. Die Folge ist, dass Kunden ihren Aufwand systematisch unterschätzen und dadurch der Projekterfolg unnötigerweise gefährdet ist.
Tipp für beide Vertragspartner: Regeln Sie die Mitwirkung des Anwenders bei solchen Auftragsprojekten hinsichtlich Aufgaben und Arbeitsaufwand zu Beginn des Projekts! Im Tipp "So regeln Sie die Mitwirkung des Kunden bei IT-Projekten" (Zahrnt, Projekt Magazin 6/2006) finden Sie hierzu weitere Hinweise.
Ausreichende eigene Ressourcen einplanen und zur Verfügung stellen
Viel wichtiger ist aber, dass der Anwender vor Projektbeginn auf seiner Seite ausreichend Ressourcen, d.h. in erster Linie Personalkapazität, einplant und im Projekt dann auch zur Verfügung stellt. Wie wichtig die Mitwirkung des Kunden ist, zeigt beispielsweise die ERP-Zufriedenheitsstudie 2010 der Trovarit-AG (Sontow, 2010) über Probleme bei der Projektdurchführung: Anwender sehen die Hauptprobleme zu 18% bei ihrer Personalkapazität und zu 40% bei der Datenaufbereitung und -migration, für die sie von der Arbeitslast her im Wesentlichen selbst zuständig sind. Das Problem "Einhaltung des Terminplans" kommt mit 21% hinzu. Ein erheblicher Teil dieses Problems dürfte darauf zurückzuführen sein, dass der Kunde den erforderlichen Personalaufwand nicht eingeplant hatte. Wenn man diese Probleme zusammennimmt, bedeutet dies, dass die Anwenderseite selbst für den größten Anteil der Probleme verantwortlich ist. Sie kann das durch eine realistische Aufwandsschätzung und vorausschauende Ressourcenplanung weitgehend verhindern.
Damit Anwender den Umfang, in dem sie am Projekt mitwirken müssen, nicht viel zu niedrig einschätzen, müssen sie sachkundig gemacht werden. Eigentlich sollte diese Aufgabe der Auftragnehmer vor Vertragsabschluss übernehmen und den Kunden daraufhin weisen, dass dessen Mitwirkungspflicht einen erheblichen Arbeitsaufwand bedeutet. Dies findet jedoch kaum statt, da der Anbieter in einem Akquisitionsprozess den Kunden nicht mit möglichen Problemen konfrontieren möchte.
Tipp für den Kunden (Anwender): Fragen Sie deshalb von sich aus jeden Ihrer Anbieter, mit wie viel Personalaufwand Sie auf Ihrer Seite rechnen müssen. Leiten sie aus dem Mittelwert der beiden höchsten Angaben die Planungsgröße für Ihren Arbeitsaufwand ab (Schätzwert A). Wenn Sie mit nur einem Dienstleister zusammenarbeiten, der somit als einziger Anbieter den Auftrag sicher erhält, wird er auf Ihre Nachfrage vermutlich mit einer realistischen Schätzung antworten, da er damit die Erfolgsaussichten des Projekts steigert.
Es gibt keine publizierte Schätzgröße, die Sie für einen Plausibilitätscheck der Ihnen ermittelten Planungsgröße heranziehen können, da hierfür in der Praxis bisher zu wenig Daten erfasst und dokumentiert wurden. Eine präzise Aussage, wie viel Aufwand der Kunde wahrscheinlich hat, lässt sich auch kaum treffen.
Schätzwerte notwendiger Anwenderressourcen aus Expertenbefragungen
Aus diesem Grund habe ich versucht, durch Befragungen einen Schätzwert für den Personalaufwand des Kunden bei Projekten zur Einführung kommerzieller Software zu ermitteln. Die im Folgenden präsentierten Ergebnisse zeigen klar auf, dass der tatsächliche Aufwand den vom Kunden ursprünglich geschätzten Aufwand weit übersteigt. Sie liefern zwar keinen Ersatz für eigene Aufwandsschätzungen, können Anwendern aber als Anhaltspunkt dienen, um die Plausibilität der eigenen Schätzung zu überprüfen.
Es gibt praktisch keine Möglichkeit, die Verantwortlichen auf Kundenseite vor Beginn eines solchen Projekts danach zu befragen, mit wie viel Personalaufwand sie auf ihrer Seite rechnen würden. Ich konnte aber Projektmitarbeiter auf Auftragnehmerseite (von sechs Softwarehäusern) sowie Fachanwälte für IT-Recht (bzw. angehende Fachanwälte) befragen. Das geschah im Wesentlichen im Rahmen von öffentlichen oder von firmeninternen Seminaren.
Damit alle Befragten von ähnlichen Annahmen ausgingen, habe ich als einheitliche Kennzahl für die Projektgröße den Personalaufwand des Auftragnehmers auf 100 Personentage definiert. Da der Arbeitsaufwand des Auftragnehmers im Angebot meist explizit ausgewiesen ist, eignet er sich gut als Referenzgröße. Die Befragten sollten in Zehnerschritten schätzen, wie viele Personentage die Mitarbeiter des Kunden für deren Aufgaben wohl benötigen würden. Tabelle 1 zeigt die beiden Häufigkeitsverteilungen der Schätzungen gruppiert in Fünfzigerschritten.
Die Projektmitarbeiter auf Auftragnehmerseite schätzten den Aufwand des Kunden im Durchschnitt auf 303 Tage (Median 300 Tage). Die Schätzungen der Fachanwälte für IT-Recht ergaben einen Durchschnitt von 70 Tagen und einen Median von 86 Tagen.