Haben Sie zu viel Geld?
Haben Sie zu viel Geld?
Immer mehr Unternehmen müssen immer mehr Projekte managen und immer mehr erkennen, dass ihr Multi-Projektmanagement dabei an seine Grenzen stößt. Also stellt sich die Tool-Frage.
Die Tool-Frage
Welches PM-Tool ist das richtige, um den Überblick über unsere vielen Projekte zu bekommen bzw. zu behalten? Angesichts von über 600.000 Internet-Treffern zum Thema eine schwierige Frage. Auch wenn man die Implikationen betrachtet: Man gibt oft mehrere Hunderttausend Euro für die Anschaffung eines Systems und mehrere zehntausend Euro für dessen jährliche Wartung aus. Also will der Kauf gut vorbereitet sein. Vor allem, weil einem jeder Systemanbieter natürlich das Blaue vom Himmel verspricht.
Deshalb stellt man in mühevoller Arbeit einen Anforderungskatalog auf, siebt zeitintensiv auf fünf bis zehn Kandidaten in der engeren Wahl herunter und wählt nach wochenlangem Entscheidungsprozess dann in der Regel den zweitgünstigsten. Der Kauf ist komplett, das System wird implementiert und dann? Dann kommt die Ernüchterung.
Ernüchterung und Erkenntnis
Viele denken nach der Implementierung tatsächlich: "Jetzt müssen wir nur noch auf den Knopf drücken!" Dann kommt die wenig überraschende Erkenntnis: Dazu hätten wir erst sämtliche Projekte ins System einstellen müssen. Also ist das Tool kein Magic Bullet, sondern im Gegenteil: Das macht erst einmal Arbeit.
Eigentlich hatte man das Tool auch beschafft, um zu sehen: Wo sind meine Leute alle abgeblieben? Daher müssen zusätzlich zum Projektplan auch die Verteilung der Teammitglieder und deren Personentaufwand eingepflegt werden. Das setzt voraus, dass diese im Projektplan überhaupt vorhanden sind – keine selbstverständliche Voraussetzung.
Zusätzlich soll das Tool die Frage beantworten: Wo stehen meine Projekte aktuell? Und wieder trifft einen die Erkenntnis: Das kann das Tool überhaupt nicht! Ein Tool ist nicht Big Brother. Es hat keine Sensoren und Kameras im Projekt. Es ist abhängig von den Rückmeldungen aus dem Projekt. Diese hätte man aber auch ohne Tool haben, systematisieren, visualisieren und transparent machen können. Wieso hat man nicht?
Wieso schafft man ein Tool für etwas an, das kein Tool leisten kann? Das Tool ist kein Wundermittel. Es ist nur so gut wie die Eingabe, die es füttert. Auf diese Erkenntnis folgt Enttäuschung.
Die Enttäuschung
Das Tool wurde mit großen Versprechungen und Erwartungen angekündigt – und nun das! Ein Geschäftsführer aus dem Maschinenbau verriet mir mehr enttäuscht als wütend: "Mein Finanzchef hat mich gefragt, ob wir eigentlich zu viel Geld haben. Denn nach der Einführung des Tools ist die Intransparenz über unsere Projekte fast so groß wie vorher." Viele bleiben in diesem Frust hängen und ärgern sich mächtig.
Nur wenige gelangen zu der letzten Erkenntnis: Wir haben keinen Mangel an Tools, sondern einen methodischen Mangel. Das Tool kann weder theoretisch noch praktisch liefern, was es verspricht, weil wir zu viele methodische PM-Mängel haben. Wir haben zum Beispiel in vielen Projekten überhaupt keine Meilensteine definiert. Zwischen den Meilensteinen gibt es keine logisch angeordneten Arbeitspakete. Und innerhalb der einzelnen Arbeitspakete keine sauber strukturierten Aktivitäten.
Wie soll das Tool ohne das alles entscheidungsfähige Informationen liefern? Solange man keine Standards für die Projektplanung hat, nutzt das Tool herzlich wenig. Wenn man das erkennt, ist man schon weit. Manche erkennen es nicht und treten in die Falle.
Die Tool-Falle
Gar nicht selten meldet das Tool zum Beispiel, weil es mit einer Trend-Analyse ausgestattet ist: "Das Projekt ist sechs Monate früher fertig als geplant!" Alle jubeln. Dann ist das Projekt weder sechs Monate vor noch am Endtermin da, sondern sechs Monate zu spät. Und alle fragen sich: Wie kann das sein? Das Tool sagt X, aber tatsächlich ist es ein U!
Daran ist nicht das Tool schuld. Sondern: Garbage in, garbage out. Das Tool hat nur das wiedergegeben, womit es fälschlicherweise gefüttert wurde. Oder wie Grady Booch, Software-Entwickler, einmal scherzte: "A fool with a tool is still a fool." Wie vermeidet man es, sich zum Tool-Trottel zu machen?
Methode vor Tool
Unternehmen, denen ihr Tool entscheidungsreife Informationen liefert, gehen anders vor. Bevor sie ihr Tool beschafft haben, haben sie erst einmal die nötige Erfahrung in Planung und Steuerung von Projekten gesammelt – und die entsprechenden Kompetenzträger dazu.
Dann haben sie die nötige Tool-Erfahrung aufgebaut – mit externen und internen, so weit wie möglich neutralen Kompetenzträgern. Oder wie es ein Manager eines solchen Unternehmens ausdrückt: "Wer keine Erfahrung in methodisch fundierter Planung und Steuerung von Projekten hat, sollte nicht an Tools denken." Ein Tool heilt nämlich nicht die methodischen Mängel.
Das wichtigste vorweg sind die Methoden-Standards: Wie werden Projekte bei uns methodisch sauber geplant und gesteuert? Dazu werden dann ganz konkrete Regelungen vereinbart und im Handbuch festgehalten. Tut man das, kassiert man auch die Belohnung – mit oder ohne Tool.
Die Belohnung kassieren
Legt man diese methodischen Regelungen zu Planung und Steuerung nicht fest, passieren mit und ohne Tool schlimme Dinge. Sie passieren zum Beispiel beim gewünschten Plan/Ist-Vergleich. Diesen Vergleich wünschen sich alle von einem Tool: Wie weit sollte Projekt A sein und wie weit ist es tatsächlich? Ohne Vorab-Regelung des Vorgehens funktioniert dieser Vergleich mit keinem Tool der Welt.
Trifft man diese Regelung zum Beispiel in einem Meeting oder Workshop, hebt immer mindestens ein Projektverantwortlicher die Hand und stellt die entscheidende Frage: "Gut, dass wir das endlich regeln. Ich habe da mal eine Frage: Wenn ich zehn Personentage geplant habe und nachher 20 brauche – kriege ich dann Stress mit dem Boss?"
Will heißen: Soll ich weiterhin, wie bisher, die überzähligen Tage auf dem Wege der taktischen Kommunikation verschwinden lassen, um keinen Stress zu kriegen? Oder wollen wir hier und heute tatsächlich eine offene, ehrliche, stressfreie und sanktionsfreie Rückmeldung vereinbaren und sie im Handbuch kodifizieren?
Wenn ja, dann bekommen mein Chef und unser Tool von mir wahrheitsgemäße Daten, die dann ihrerseits ermöglichen, dass die übergeordneten Stellen fundierte Entscheidungen treffen können. Wenn nein, können wir ehrliche Rückmeldungen vergessen. Und das Tool gleich mit. Dann ist so ein Tool rausgeworfenes Geld.
Es hängt nicht am Tool, sondern an den Regelungen, der Kommunikation und der PM-Kultur. Im Grunde ist der Zusammenhang ganz einfach: Kultur vor Methode. Methode vor Tool. Das ist die richtige Reihenfolge. Dann klappt das auch mit dem Tool.
Markus Aeschimann
11.09.2015
Stefan Pfeifer
12.09.2015
Thomas Holzer
15.09.2015