Rechtssicherheit bei der Vertragsanbahnung
Rechtssicherheit bei der Vertragsanbahnung
Bevor zwei Unternehmen einen rechtsverbindlichen Projektvertrag abschließen, kommunizieren ihre Vertreter miteinander - per Mail, am Telefon oder bei persönlichen Treffen. Ziel ist es, Informationen über den potenziellen Partner einzuholen und zu prüfen, ob eine gemeinsame Durchführung des Projekts Erfolg versprechend ist. Die Phase der Kontaktaufnahme dient der Annäherung und kann über eine Angebotserstellung in eine Vertragsanbahnung münden.
Viele Personen, die sich mit potenziellen Projektpartnern in Verbindung setzen und ihre Projektziele und geschäftlichen Absichten austauschen, gehen davon aus, dass diese Kontakte rechtlich unverbindlich sind und juristische Aspekte erst zum Tragen kommen, wenn sich beide Seiten dazu entschließen, einen verbindlichen Vertrag aufzusetzen. Diese Ansicht ist jedoch falsch. Bereits die Aufnahme von Geschäftskontakten oder Vertragsverhandlungen können Schadensersatzpflichten auslösen. Außerdem bedürfen die meisten Vertragsabschlüsse keiner Schriftform. Aufgrund des Prinzips der Formfreiheit können Verträge bis auf wenige Ausnahmen mündlich geschlossen werden.
Man muss deshalb darauf achten, dass man nicht früher als gewollt rechtliche Verpflichtungen eingeht. Es kann sogar geschehen, dass man sich vertraglich bindet, ohne sich darüber bewusst zu sein (Verpflichtung ohne positive Kenntnis).
Der Projektleiter als Verhandlungspartner
Erfahrungsgemäß sind es häufig die Projektleiter, die mögliche Partner kontaktieren und die Vertragsverhandlungen führen. Sie sind fachlich hoch qualifiziert, verfügen jedoch meistens nicht über juristische Kenntnisse und sind unerfahren im Umgang mit rechtlichen Fragen und Problemen. Häufig führen sie die Vertragsverhandlungen ohne die Rechtsabteilung des Unternehmens oder einen externen Rechtsanwalt einzubeziehen.
Von einem Projektleiter kann nicht erwartet werden, dass er alle rechtlichen Aspekte bei Vertragsanbahnung und -abschluss im Detail kennt. Er sollte jedoch wissen, was bei der Aufnahme von unverbindlichen oder verbindlichen Vertragsverhandlungen grundsätzlich beachtet werden sollte, um ungewollte rechtliche Verpflichtungen zu vermeiden. Dieses Wissen ist wichtig - unabhängig von der Branche, der Projektart und -größe und unabhängig davon, ob das Unternehmen des Projektleiters eine Rechtsabteilung hat oder nicht.
Im Folgenden erfahren Projektleiter und -mitarbeiter, wie sie bei der Anbahnung von Verträgen ungewollte Rechtsbindungen vermeiden können. Anhand von Beispielen wird gezeigt, welche Formulierungen und welches Verhalten dem Vertragspartner Verbindlichkeit signalisieren und deshalb Schadensersatzpflichten auslösen können. Formulierungsbeispiele sollen den Leser für juristische Feinheiten sensibilisieren bzw. in die Lage versetzen, Schriftstücke, die die Unverbindlichkeit der Verhandlungen gewährleisten sollen (z.B. Letter of Intent) auch ohne juristische Vorkenntnisse selbstständig zu erstellen.
Die Formulierungshilfen decken allerdings nur grundsätzliche Sachverhalte ab. Bei speziellen und sehr komplexen Sachverhalten sowie im Zweifelsfall ist es ratsam, sich von der Rechtsabteilung des Unternehmens oder von einem externen Rechtsanwalt beraten zu lassen.
In der Vorphase eines Projekts sollte mit Beginn der ersten Kontaktaufnahme darauf geachtet werden, dass die Entscheidungsfreiheit der potenziellen Geschäftspartner so wenig wie möglich eingeschränkt wird. Denn bereits in diesem frühen Stadium können bindende Absichten erklärt werden, die zu Ersatzansprüchen verpflichten können - obwohl noch kein Vertrag zustande gekommen ist.
Beispiel
Die Produktionsfirma DoubleX benötigt eine neue Software für die Steuerung einer ihrer Produktionsanlagen. Der Projektleiter nimmt deshalb Kontakt zu verschiedenen Software-Herstellern auf, u.a. zur Firma Assembly Soft. In einem Gespräch mit Assembly Soft bekräftigt der Projektleiter, sich in Kürze für einen Auftragnehmer entscheiden zu wollen und signalisiert, dass er Assembly Soft den Zuschlag geben wolle. Im Vertrauen auf diese Aussage tätigt Assembly Soft erste Investitionen, um den sicher geglaubten Auftrag schnellstmöglich durchführen zu können.
Der Projektleiter hat zwischenzeitlich Gespräche mit anderen Software-Herstellern geführt und einen günstigeren Anbieter gefunden. Daraufhin bricht er die Vertragsverhandlungen mit Assembly Soft ab. Für Assembly Soft kommt diese Wendung überraschend. Wegen der getätigten Aufwendungen macht Assembly Soft Ersatzansprüche geltend.
Dr Volker Vahrenholt
31.05.2013