Das Mautprojekt: Ein Stück aus dem Toll-Haus oder die Eigendynamik unrealistischer Termine
Das in massive Terminprobleme geratene LKW-Mautprojekt des Bundes und des Konsortiums Toll-Collect macht seit Wochen Negativschlagzeilen. Doch wo sind die Gründe und wo die Schuldigen für den Fehlschlag zu suchen? Reinhard P. Oechtering stellt in seinem Beitrag die These auf, dass unrealistische Termine und weniger die Projektdurchführung als Hauptursache in Frage kommen. Anhand eines fiktiven Rollenspiels aus dem Mautprojekt verdeutlicht er, wie für die Erstellung unrealistischer Projektpläne fundierte Kalkulationen geopfert werden. Welche Faktoren zusammenspielen müssen, um diese Dynamik in Gang zu bringen und welche Ansatzpunkte es gibt, um sie wieder zu stoppen, zeigt eine anschließende Analyse.
Das Mautprojekt: Ein Stück aus dem Toll-Haus oder die Eigendynamik unrealistischer Termine
Das in massive Terminprobleme geratene LKW-Mautprojekt des Bundes und des Konsortiums Toll-Collect macht seit Wochen Negativschlagzeilen. Doch wo sind die Gründe und wo die Schuldigen für den Fehlschlag zu suchen? Reinhard P. Oechtering stellt in seinem Beitrag die These auf, dass unrealistische Termine und weniger die Projektdurchführung als Hauptursache in Frage kommen. Anhand eines fiktiven Rollenspiels aus dem Mautprojekt verdeutlicht er, wie für die Erstellung unrealistischer Projektpläne fundierte Kalkulationen geopfert werden. Welche Faktoren zusammenspielen müssen, um diese Dynamik in Gang zu bringen und welche Ansatzpunkte es gibt, um sie wieder zu stoppen, zeigt eine anschließende Analyse.
Das in massive Terminprobleme geratene LKW-Mautprojekt des Bundesverkehrsministeriums und des Konsortiums Toll-Collect macht seit Wochen Negativschlagzeilen. In manchen Kommentaren wird gar der Technologiestandort Deutschland angezweifelt. Doch wo sind die Gründe und wo die Schuldigen für den Fehlschlag zu suchen?
Im Zentrum dieses Beitrags steht die - per Ferndiagnose aufgestellte - These, dass unrealistische Terminziele und weniger die Projektdurchführung als Hauptursache in Frage kommen. Anhand eines Rollenspiels mit einer frei erfundenen Handlung sowie fiktiven Rollen und Namen wird deutlich, wie realistische und fundierte Kalkulationen einer Eigendynamik zum Opfer fallen können, die bei Großprojekten weit verbreitet ist: Die Eigendynamik zur Erzeugung unrealistischer Projektpläne. Dabei sind Auftraggeber und Auftragnehmer gleichermaßen in diese Dynamik verstrickt.
In der Analyse des Rollenspiels werden die Voraussetzungen aufgezeigt, welche die Eigendynamik zur Erzeugung unrealistischer Projektpläne in Gang setzen. Sie bilden gleichzeitig die Angriffspunkte, um die Dynamik besser kontrollieren zu können. Im letzten Kapitel des Beitrags geht es um Ansatzpunkte, dieser Eigendynamik entgegenzutreten. Allerdings bleibt es trotz aller Kenntnis ihrer Wirkungsweisen eine besondere Herausforderung für jedes betroffene Projekt, nicht ihr Opfer zu werden.
Was haben 60 Grad im Wohnzimmer und das Mautprojekt gemeinsam?
Ob ein Projekt erfolgreich abgeschlossen worden ist, entscheiden die Verantwortlichen in der Regel auf Basis eines Soll-/Ist-Vergleichs. (Die erfolgreiche Verwertung des Projektergebnisses selbst soll in diesem Beitrag nicht betrachtet werden). Halten sich die negativen Abweichungen von der Planung in einem tolerierbaren Rahmen, spricht man von einer erfolgreichen Projektdurchführung. Dieses Kriterium ist aber nur gültig, so lange man davon ausgehen kann, dass eine vernünftige Planung zugrunde liegt.
Ein Beispiel soll das verdeutlichen:
Wir kennen den Thermostatregler, der unsere Wohnzimmertemperatur unabhängig von der Außentemperatur auf konstantem Niveau hält. Was würde passieren, wenn man das Wohnzimmer im Winter kurzfristig in eine Sauna verwandeln wollte und den Temperaturregler deshalb auf 60 Grad einstellt? Die meisten Heizungen würden wahrscheinlich spätestens bei 35 Grad versagen.
Sind wir von der Leistungsfähigkeit der Heizung enttäuscht und machen wir dem Installateur Vorwürfe? Sicher nicht. Denn der erste Mensch, dem wir die Geschichte erzählten, würde nur den Kopf schütteln und uns darauf hinweisen, dass der eingestellte Sollwert von 60 Grad für eine Wohnzimmerheizung weit überhöht und fern jeglicher Vernunft sei.
Unerreichbarer Planwert
In diesem Beispiel ist unmittelbar ersichtlich, dass ein unerreichbarer Planwert verwendet wird. Bei großen, komplexen Projekten ist dagegen auch für Experten nicht sofort erkennbar, ob es sich um einen vernünftigen oder einen utopischen Planwert handelt. Denn diese Projekte bestehen aus vielen voneinander abhängigen Komponenten und werden mit einer großen Zahl von Subunternehmern realisiert.
Bezüglich des Mautsystems, das im August dieses Jahres in Betrieb gehen sollte, liegt die Vermutung nahe, dass der Projektfortschritt an einem unerreichbaren Plantermin gemessen wird. Das Projekt steckt also hauptsächlich deshalb in einer Krise, weil es sich - gemessen an einem viel zu ehrgeizigen, unrealistischen Projektplan - permanent im Rückstand befindet und nicht, weil es schlecht geleitet wurde. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass hoher Termindruck über kurz oder lang auch die Qualität der Projektausführung beeinträchtigt.
Nun stellt sich eine berechtigte Frage. Wie kann es dazu kommen, dass weltweit agierende Unternehmen, denen eine Unzahl von Spezialisten und nahezu unbegrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen, unerreichbare Terminpläne aufstellen? Die Antwort lautet: Gerade bei Großprojekten gibt es Eigendynamiken, die zu unrealistischen Projektplänen führen.