Verfahren zur Risikoanalyse am Beispiel DESERTEC Abbildung von Risiken in Großprojekten oder was Risiken und Cocktails gemeinsam haben

Ein Risiko kommt selten allein – das gilt besonders bei Großprojekten. Am Beispiel des Wüstenstromprojekts DESERTEC zeigt Dr. Philipp Gausling, wie das Eintreten eines Risikos zu einer Kettenreaktion führt, die weitere Risiken auslöst. Das von ihm entwickelte Verfahren ermöglicht es, das Zusammenspiel von Risiken für die Projektbeurteilung zu berücksichtigen.

Verfahren zur Risikoanalyse am Beispiel DESERTEC Abbildung von Risiken in Großprojekten oder was Risiken und Cocktails gemeinsam haben

Ein Risiko kommt selten allein – das gilt besonders bei Großprojekten. Am Beispiel des Wüstenstromprojekts DESERTEC zeigt Dr. Philipp Gausling, wie das Eintreten eines Risikos zu einer Kettenreaktion führt, die weitere Risiken auslöst. Das von ihm entwickelte Verfahren ermöglicht es, das Zusammenspiel von Risiken für die Projektbeurteilung zu berücksichtigen.

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Egal ob beim Bahnprojekt Stuttgart 21, der Hamburger Elbphilharmonie oder dem Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) – immer wieder kommt es bei Großprojekten zu extremen Abweichungen von der Projektplanung. Für den BER z.B. rechneten die Projektplaner 2006 mit Kosten in Höhe von zwei Milliarden Euro, das Projektende sahen sie für 2011 vor.

Mittlerweile liegen die Kosten bei etwa 6,5 Mrd. Euro und eröffnet wird der Flughafen frühestens 2018 (vgl. Balser/Schneider, 2017). Bei anderen Großprojekten – seien es Schienennetze, Wolkenkratzer oder Kraftwerke – verhält es sich ähnlich: In neun von zehn Großprojekten kommt es zu bedeutenden Planungsabweichungen (vgl. Flyvbjerg, 2014).

Warum bleiben Großprojekte selten in Time & Budget?

Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, warum die Kosten und die Dauer von Großprojekten so schwer einzuschätzen sind. Was treibt die Kosten in die Höhe und warum wird das Projektende so selten eingehalten? Ein in diesem Zusammenhang entscheidender Faktor sind Projektrisiken sowie deren Zusammenspiel: Der Eintritt eines Risikos löst in einer Kettenreaktion häufig weitere Risikoereignisse aus.

Weil Großprojekte überaus komplexe Vorhaben sind, die sich über einen langen Zeitraum erstrecken und viele Stakeholder haben, sind sie mit einer Vielzahl verschiedener Risiken behaftet, die häufig gemeinsam auftreten, auch weil sie sich gegenseitig bedingen: Kommt eine Warenlieferung zu spät (Zulieferrisiko), verlängert dies oft auch die Projektdauer (Fertigstellungsrisiko). Dadurch werden erst später Einnahmen generiert (Absatzrisiko). Auch Preisschwankungen werden wegen des längeren Projektzeitraums wahrscheinlicher (Preisrisiko). Das Eintreten eines Risikos löst so eine Kettenreaktion aus, während der andere Risiken eintreten.

Einfluss von Risiken transparent und realitätsnah darstellen

Im vorliegenden Beitrag zeige ich am Beispiel des Wüstenstromprojekts DESERTEC auf, welchen gravierenden Einfluss die Wirkung von Risiken in Großprojekten im Zusammenspiel haben kann und wie wichtig ein realitätsnahes Bild von Risiken ist. Ich stelle in diesem Zusammenhang ein Vorgehen vor, mit dem der Einfluss von Risiken auf das Projektergebnis transparent und realitätsnah dargestellt werden kann und erläutere, was Risiken und Cocktails gemeinsam haben.

Dieser Beitrag richtet sich an alle Initiatoren und Planer von Großprojekten, wie staatliche Institutionen, Unternehmen, Projektleiter oder Projektgesellschaften, sowie an Risikomanager und Interessierte am Risikomanagement von Großprojekten. Ich möchte für den Einfluss von Risiken auf das Projektergebnis sensibilisieren und ein selbstentwickeltes Vorgehen präsentieren, das sich von den bekannten Modellen insofern abhebt, als dass es auch das Zusammenspiel von verschiedenen Risiken in Großprojekten in Businessplänen abbildet (siehe dazu auch den Fachbeitrag "So schreiben Sie einen Business Case. Teil 4: Sensitivität, Risiko, Empfehlungen", Ausgabe 07/2010)

DESERTEC: Ein interkontinentaler Hoffnungsträger

Ein bekanntes Großprojekt, dem die Vielzahl eintretender Risiken zum Verhängnis wurde, ist das interkontinentale Wüstenstromprojekt DESERTEC, das zwischen 2005 und 2015 für großes Aufsehen sorgte. Das Projekt beinhaltete den Bau vieler Solaranlagen in den Wüsten Nordafrikas und des Mittleren Ostens. Über lange Leitungskorridore sollte ein Teil des Solarstroms schließlich via Hochspannungsgleichstromübertragung in die Bedarfszentren Europas transferiert werden.

Aufgrund seines internationalen Ausmaßes, seiner Komplexität und seines hohen Innovationsgrads war das Projekt besonders vielen Risiken ausgesetzt. Doch der Einfluss simultan auftretender Risiken wurde unterschätzt. Unter anderem führten politische Schwierigkeiten und dynamische Entwicklungen im Energiemarkt schließlich dazu, dass wichtige Partner aus dem mit großen Hoffnungen verbundenen und zunächst als äußerst lukrativ geltende Projekt ausstiegen (siehe dazu "Wüstenstrom-Projekt Desertec zerfällt", Süddeutsche Zeitung am 14.10.2014).

An Analysen mangelte es nicht…

Verschiedene Institutionen fertigten Wirtschaftlichkeitsanalysen zu diesem Projekt an, wie z.B. das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), die DESERTEC Industrial Initiative (DII) und einige Wissenschaftler. Da es jedoch keinen zentral abgesteckten Projektrahmen und keine engen Abstimmungen zwischen den Institutionen gab, gingen alle Analysen von verschiedenen Projektszenarien mit einer unterschiedlichen Anzahl von Solaranlagen, Leitungskorridoren und beteiligten Länder aus (vgl. Massetti, 2013; Trieb, 2006; Ummel, 2008; Willigest, 2010; Zickfeld, 2013). Die Analysen kamen daher zu deutlich unterschiedlichen Projektbeurteilungen.