Druck von außen vorbeugen: Projektmanagement einführen
Druck von außen vorbeugen: Projektmanagement einführen
Manchmal höre ich Projektleiterinnen und Projektmanager klagen: "Wir kämpfen schon seit Jahren, dass bei uns endlich professionelles Projektmanagement eingeführt wird! Aber nichts passiert!" Andere sagen: "Wir waren bei einem PM-Seminar! Jetzt wissen wir endlich, wie das geht. Und dann kommen wir zurück vom Seminar – und es ändert sich wieder nichts im Unternehmen!" Wieso nicht?
Die ganz normale Katastrophe
Im PM-Seminar lernt die Projektleiterin zum Beispiel, wie man Projektziele so mit dem Auftraggeber abklärt, dass sie hinterher wirklich klar sind – doch in der Praxis macht der Auftraggeber nicht mit. Der Projektmanager erfährt, wie man eine zuverlässige Risikoanalyse fürs Projekt macht – doch am Arbeitsplatz erklärt ihm ein Bereichsfürst: "Sowas brauchen wir nicht! Das hält nur auf! Die Risiken kennen wir doch alle! Wir wissen schließlich, was wir tun!"
Eine Projektleiterin erzählte mir sogar: "Neulich war ein Berater im Haus. Nach drei Wochen Analyse sagte er zum Geschäftsführer: '80% Ihrer Projekte sind überhaupt keine Projekte!'" Und selbst danach tut sich – nichts. Die Projektleiter wollen endlich professionelles Projektmanagement, aber es passiert nichts. Bis eines Tages …
Kunde macht Druck
Eines Tages winkt ein Kunde mit einem Riesenauftrag – und einem Riesenhaken: Er erteilt den Auftrag nur, wenn "echtes" Projektmanagement eingeführt wird. Er schickt sogar ein Pflichtenheft mit, in dem drinsteht, was dieses Projektmanagement seiner Meinung nach können muss. Er möchte z.B. nicht mehr wie früher die Angabe "sechs Monate für die Konstruktion, vier für die Fertigung". Er möchte stattdessen die einzelnen Arbeitspakete innerhalb von Konstruktion, Fertigung, et cetera aufgelistet haben samt Tätigkeiten, Termin und Budget.
Und er will regelmäßig die IST-Daten haben, um die Auswertung selbst vorzunehmen. Damit er immer zuverlässig weiß, wo das Projekt gerade steht. Damit man ihm nicht, nach bewährter Manier, vorne sagen kann "Alles im grünen Bereich!", während hinten zwei Arbeitspakete lichterloh brennen. Das alles und noch mehr möchte der Kunde.
Die Geschäftsführung des Lieferanten ist völlig baff – und zweigeteilt. Die eine Hälfte sagt: "Aber wir haben doch schon ein Projektmanagement!" Die andere Hälfte meint: "Aber so haben wir das noch nie gemacht!" Beide haben Recht. Und sind im Schockzustand: Schon wieder sagt ihnen jemand – nach den eigenen Projektleitern, nach den PM-Trainern und nach den Beratern – wie professionelles Projektmanagement aussehen soll.
Eine Lektion für die Geschäftsleitung
Und endlich, endlich fällt der Groschen. Weil der Druck von außen zu groß ist, um ignoriert zu werden. Denn der Kunde sagt klipp und klar: "Ihr kriegt den Auftrag nur, wenn ihr professionelles Projektmanagement einführt." Die versammelten Projektleiter des Unternehmens sind dem Kunden dankbar – und nicht nur für den Auftrag. Während die Projektleiter dankbar sind, ist die Geschäftsleitung konsterniert.
Denn die Geschäftsleitung merkt endlich: "Das, was der Kunde unter Projektmanagement versteht – das haben wir alles gar nicht!" Endlich sieht das Topmanagement (ein), dass es richtig Arbeit macht und Zeit kostet, es richtig zu machen. Dass man, wenn man ein Projekt ordentlich managt, gar nicht so viele Projekte "reinquetschen" kann, wie man bislang reinquetschte. Einmal davon abgesehen, dass viele "Projekte" keine sind.
Endlich lernt die Geschäftsleitung, was Projektmanagement wirklich ist. Dem Kunden sei Dank. Das klingt nun leider sehr hoffnungslos – für alle Projektleiter, die keine so resoluten Kunden haben. Die Hoffnung kommt wieder, sobald man die Perspektive wechselt.
Die Kundensicht
Betrachtet man das Ganze aus der Perspektive der Kunden, ergibt sich der wahrscheinlich stärkste Hebel für gutes Projektmanagement bei zögerlichen Unternehmen. Man kann jedem Kunden nur raten: "Wenn ihr einen Auftrag vergebt – fordert Projektmanagement nach den Regeln der Kunst!" Natürlich zieht dieser Hebel nicht bei Bagatellaufträgen.
Aber es gibt genug andere. Viele Businesskunden beklagen sich bei mir: "Es ist immer dasselbe. Monatelang sagt man uns 'Alles paletti!' und drei Wochen vor Endtermin mailt man uns kleinlaut, dass sich der Endtermin wohl verzögern wird!"
Das ist in der heutigen Zeit brandgefährlich. Vor allem dann, wenn sich deshalb nachfolgende Projekte, Aufträge oder Investitionen verzögern und verteuern – oder gar scheitern. Meine Empfehlung: Nicht klagen – fordern! Und zwar vor Auftragsvergabe. Der Chef-Einkäufer eines Mittelständlers wandte darauf ein: "Unsere Projektaufträge sind zu klein, um unsere Lieferanten zu zwingen, richtiges Projektmanagement einzuführen!" Das mag sein – für eine Einführung in toto, am Stück, als Ganzes.
Doch inzwischen fällt er mit seinen wöchentlichen Nachfragen nach konkreten, nachvollziehbaren Daten zum Status Quo der aktuellen Arbeitspakete seinen Lieferanten so sehr auf die Nerven, dass diese nicht anders können, als das Projekt je Arbeitspaket nach Zwischenterminen und Budgetverbrauch zu controllen.
Weil der Einkäufer einfach keine Ruhe gibt. Auch das ist Druck von außen. Der Chef-Einkäufer sagt: "Selbst wenn nur sieben von zehn Lieferanten meinem Druck nachgeben, ist das siebenmal besser als der jetzige Zustand – der ist nämlich intolerabel!" Druck? Wirkt!
Endlich: Projektmanagement
Seit über 30 Jahren spricht man vom Projektmanagement moderner Prägung. Seit über 30 Jahren sage ich jedem, der es hören will: "Führt modernes, professionelles, transparentes Projektmanagement ein!" Seit über 30 Jahren trifft mein Appell oft genug auf taube Ohren. Wahrscheinlich haben viele Kunden dieselbe Erfahrung gemacht. Jahrelang.
Immer und immer wieder war beim erteilten Projektauftrag nach Auskunft des Lieferanten "Alles im grünen Bereich! Wirklich!" Und immer und immer wieder tauchten in letzter Minute dann "überraschende" Probleme auf, die den Endtermin nach hinten, die Kosten nach oben und/oder die Qualität nach unten trieben.
Ich kann verstehen, dass deshalb immer mehr auftragsstarke Kunden sagen: "Leute, wir haben es im Guten und durch die Blume lange genug versucht und nun ist unsere Geduld zu Ende. Jetzt ziehen wir härtere Saiten auf. Entweder ihr führt Projektmanagement ein – oder ihr kriegt den Auftrag nicht." Ich verstehe das nicht nur. Ich empfehle das ausdrücklich jedem Kunden. Einerseits. Andererseits, ist das eine Drohung an die Adresse der Lieferanten? Nein. Und auch das enthüllt ein Perspektivenwechsel.
Wer braucht schon Druck?
Wer nämlich clever ist, wartet nicht, bis ein großer Kunde ihm die Pistole auf die Brust setzt und mit "Projektmanagement oder der Auftrag kommt nicht!" droht. Wer clever ist, antizipiert den Druck. Denn die Frage ist nicht, ob er kommt, sondern lediglich: Wann? Und von welchem Kunden, den man nicht verlieren darf? Wer clever ist, wartet nicht auf den Druck, sondern macht lieber selber Ernst. Wer will schon Druck von außen?