Das Experiment LAOS Deutsche Bahn – Ein Lean Startup innerhalb der traditionellen Konzernstrukturen gründen

Lean Startup innerhalb der Deutschen Bahn gründen

Ein selbstorganisiertes Team kann mit einem agilen Ansatz selbst in einem Traditionsunternehmen wie der Deutschen Bahn schneller wirtschaftlichen Erfolg liefern als die bestehenden Vorgehensweisen. Mit welchen Mitteln und Formaten zur Zusammenarbeit das gelang, zeigen Johannes Gerner und Frank Orthey am Beispiel des Betriebs von Ticketautomaten.

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Das Experiment LAOS Deutsche Bahn – Ein Lean Startup innerhalb der traditionellen Konzernstrukturen gründen

Lean Startup innerhalb der Deutschen Bahn gründen

Ein selbstorganisiertes Team kann mit einem agilen Ansatz selbst in einem Traditionsunternehmen wie der Deutschen Bahn schneller wirtschaftlichen Erfolg liefern als die bestehenden Vorgehensweisen. Mit welchen Mitteln und Formaten zur Zusammenarbeit das gelang, zeigen Johannes Gerner und Frank Orthey am Beispiel des Betriebs von Ticketautomaten.

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Die Digitalisierung und die damit verbundenen Veränderungen sind in aller Munde, in der Fachpresse beschrieben und mit theoretischen Modellen erklärt. Trifft die Digitalisierung allerdings auf das eigene Geschäftsmodell, sind schnell neue Wege erforderlich, die man nirgends beschrieben findet. Als wir uns als Mitarbeiter in verantwortlicher Position bei der Deutschen Bahn mit dieser Situation konfrontiert sahen, haben wir uns der Herausforderung experimentell genähert. Wie wir zu diesem Entschluss kamen, was wir probiert haben und welche Erfahrungen wir machten, beschreiben wir in diesem Artikel.

Tayloristischer Ansatz

Im Zuge der Industrialisierung wurde die Deutsche Bahn, wie viele andere Unternehmen, arbeitsteilig und pyramidal organsiert. Ziel dieses tayloristischen Ansatzes war es, die Organisation möglichst effizient zu gestalten. Einige wenige Manager dachten sich top-down "die beste" Lösung aus, welche dann detailliert beschrieben und von vielen Angestellten umgesetzt wurde. Die Leistungen wurden entlang definierter Prozessketten erbracht, innerhalb derer die Verantwortlichkeiten, die Arbeitsschritte sowie die Arbeitsergebnisse fest definiert waren. Artefakte wie z.B. die RACI-Matrix unterstreichen den prozessgetriebenen und hierarchischen Blick auf die Unternehmensführung. Qualität und Leistung werden hierdurch nicht nur messbar, sondern quasi planbar.

Dieser auf Effizienz ausgerichtete Managementansatz erhält seine Existenzberechtigung durch ein Marktumfeld, in dem Stückkosten einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil erzeugen, und in dem es darum geht, EINE Standardlösung ohne Änderungen möglichst häufig zu produzieren bzw. anzubieten. Dies war im Zuge der Globalisierung im letzten Jahrtausend in vielen Industrien der Taktgeber und auch bei der Deutschen Bahn führend. Im monopolistischen Marktumfeld der Bahn mit einem asset-lastigen Kerngeschäft standen hierbei die Realisierung von Skaleneffekten im Vordergrund.

Die Geburtsstunde der DB Ticket-Automaten

In diese Zeit fiel auch die Geburtsstunde der DB Ticket-Automaten. Die Automaten waren auf die internen Anforderungen – sie sollten vor allem die Reisezentren entlasten – und das DB-Ticketangebot optimiert und deutschlandweit baugleich. Betrieb, Wartung und Reparatur konnten somit effizient abgebildet werden.

Nach der Bahnreform im Jahr 1994 begann sich das Umfeld zu verändern: In Deutschland gibt es zwischenzeitlich über 80 kommunale Aufgabenträger und Verkehrsverbünde, die regionale Anforderungen an die Mobilitätsdienstleister stellen und eigene Tarife für Fahrscheine umsetzen.

Für die DB wurde es zunehmend schwieriger, die heterogene Marktsituation im Rahmen des etablierten Modells abzubilden und mit ihrem "One-fits-all"-Ansatz für den Ticketautomaten erfolgreich Ausschreibungen zu gewinnen. Die Prozesse für den Betrieb der Ticketautomaten waren in diesem neuen Umfeld nicht mehr effizient genug, um wettbewerbsfähige Preise zu kalkulieren. Wettbewerber, die sich Anforderungen schneller anpassen konnten, erzielten zunehmend Erfolge im Markt.

Auf den bestehenden Wettbewerbsdruck musste eine Antwort gefunden werden. Als einen Ansatzpunkt sahen wir die betrieblichen Prozesse, denn ein wesentlicher Teil der Kosten entsteht durch den Betrieb der Ticketautomaten und alles, was dafür erforderlich ist (Prozesse, IT, Partner-Management etc.). Ein Hebel, um die Kosten signifikant zu senken und dadurch Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen, sahen wir also darin, die Betriebskosten zu senken.

Wettbewerbsdruck trifft auf Veränderungsbremse

Es fehlte nicht an Ideen, wie man die Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen könnte, jedoch war es in unserer historisch gewachsenen, tayloristisch geführten Organisation kaum möglich, in kurzer Zeit deutliche Veränderungen, geschweige denn einen Paradigmenwechsel durchzusetzen. Dies ist kein Zufall und durchaus gewollt, denn schließlich wurde die tayloristische Organisationsform geschaffen, um "stabil" zu sein. Sie hat quasi einen eingebauten – und gewollten – Veränderungswiderstand. Jede Veränderung wird per Definition zunächst als Störung der bestehenden Abläufe und Verantwortlichkeiten wahrgenommen. Radikale Änderungen, das Denken von neuen Strukturen und Lösungen, die wortwörtlich an die Wurzel gehen, können in dieser etablierten, hierarchischen Organisation kaum entstehen.

Uns ist wichtig zu betonen, dass eine tayloristische Organisation von sich aus nicht gut oder schlecht ist. Gerade in Bereichen, in denen es darum geht, mit großer Wiederholgenauigkeit Standardabläufe durchzuführen, ist ein tayloristischer Ansatz sehr effizient. Auch in sicherheitskritischen Bereichen wie z.B. dem Bahnverkehr braucht es klare Strukturen und Verantwortlichkeiten sowie einen hohen Standardisierungsgrad.

In einem dynamischen Marktumfeld, in dem es um individualisierte Lösungen geht, führt dieser Weg allerdings in eine Sackgasse. Die für den tayloristischen Ansatz typischen Erfolgsfaktoren, z.B. Skaleneffekte, verlieren an Bedeutung, während hohe Umsetzungsgeschwindigkeit (Time to Market) und Flexibilität immer wichtiger werden.

Wir brauchen einen neuen Ansatz!

Wir haben für uns erkannt, dass die bestehende Organisationsform aus den zuvor genannten Gründen das entscheidende Hemmnis für eine erfolgreiche Anpassung an die neuen Markterfordernisse war. Wir mussten also einen anderen Weg finden. Zunächst begannen wir zu zweit, uns Gedanken darüber zu machen und erste Ideen zu skizzieren. Schnell kristallisierte sich in (Kaffeeküchen-)Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen heraus, dass wir unsere These weder beweisen noch analytisch widerlegen könnten. Als einziges blieb, die These mit einer kleinen Gruppe von Gleichgesinnten in der Praxis zu beweisen.

Wir setzten uns als Ziel, den Betrieb der Ticketautomaten im Rahmen eines zeitlich begrenzten Experiments effizienter zu gestalten, ohne dabei zusätzliche Aufwände zu erzeugen. Mit Hilfe von frei am Markt verfügbarer Software und einem schlanken, hierarchiefreien Team, das auf freiwilliger Basis zusammenarbeitet, wollten wir am "realen Objekt" den Beweis erbringen, dass die von uns skizzierte Form der agilen Zusammenarbeit funktioniert und wirtschaftlich erfolgreicher sein kann als existierende Strukturen.

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Alle Kommentare (1)

Laura
Schmied

Guten Tag die Herren,
da ich neu hier bin wollte ich mich eben nach dem Lesen des ersten Beitrags zu Wort melden. Ich habe Ihren Artikel gerne gelesen, da mich das Thema Zusammenarbeit zwischen großen Konzernen und Startups sehr interessiert, insbesondere mit dem Hintergrund der IT. Sie sprechen bei der DB von einer asset-lastigen Unternehmung, was durchaus Sinn ergibt. Gleichzeitig sollen Konzerne wie die Deutsche Bahn agil und dynamisch bleiben. Sehen Sie hier einen Widerspruch? Bzw. sollten große Konzerne gerade bei Mikro-Management, wie der Wartung von Maschinen und Geräten, lieber komplett auf Startups zurückgreifen, die sich auf so etwas spezialisieren? (Wobei die Automaten als Assets hier nur als Beispiel dienen sollen). Die Deutsche Bahn hat sich in den letzten Jahren eher als ablehnend gegenüber Startups gezeigt, was meiner Meinung nach nicht sehr nachhaltig ist und eine klassische Monopolistenhaltung widerspiegelt. Sehen Sie eine Zusammenarbeit der DB mit spezialisierten Startups in verschiedenen Bereichen (z.B. Salesforce, FlixTrain, oder Timly Software für <a href="https://timly.com/">Wartungs- und Servicemanagement</a>) als realistisch ? Oder macht aus Sicht der Corporates auch zukünftig ein Verbleiben bei der ressourcenaufwändige "Make" Entscheidung Sinn?
Viele Grüße aus Berlin,
Laura Schmied