Die banalgebraische Stakeholderanalyse
Glaubt man den einschlägigen Statistiken, hat sich die Erfolgsquote von Projekten im Zeitraum der letzten 25 Jahre nicht wesentlich verbessert. Nun ist sicherlich die Zahl der anspruchsvollen, herausfordernden Projekte gestiegen, aber ganz sicher haben flächendeckend auch die Projektmanagement-Kenntnisse zugenommen. Wir können also davon ausgehen, dass sich in den Projekten wesentlich mehr Profis tummeln als früher. Wie kommt’s also zu dieser Misserfolgsquote?
Die banalgebraische Stakeholderanalyse
Glaubt man den einschlägigen Statistiken, hat sich die Erfolgsquote von Projekten im Zeitraum der letzten 25 Jahre nicht wesentlich verbessert. Nun ist sicherlich die Zahl der anspruchsvollen, herausfordernden Projekte gestiegen, aber ganz sicher haben flächendeckend auch die Projektmanagement-Kenntnisse zugenommen. Wir können also davon ausgehen, dass sich in den Projekten wesentlich mehr Profis tummeln als früher. Wie kommt’s also zu dieser Misserfolgsquote?
Glaubt man den einschlägigen Statistiken, hat sich die Erfolgsquote von Projekten im Zeitraum der letzten 25 Jahre nicht wesentlich verbessert. Darauf habe ich schon in einem früheren Beitrag ("Das magische Hexagon?") hingewiesen. Nun ist sicherlich die Zahl der anspruchsvollen, herausfordernden Projekte gestiegen, aber ganz sicher haben flächendeckend auch die Projektmanagement-Kenntnisse zugenommen: durch den wachsenden Anteil der Projektarbeit an der Wertschöpfung, durch Ausbildungen, Training on the Job, Institutionen wie IPMA und PMI und natürlich auch durch das Projekt Magazin. Wir können also davon ausgehen, dass sich in den Projekten wesentlich mehr Profis tummeln als früher. Wie kommt’s also zu dieser Misserfolgsquote?
Nun hat jedes Ding seine zwei Seiten. Der Erfolg eines Projekts hängt ja nicht von der objektiv erbrachten Leistung ab, sondern davon, wie sehr die Erwartungen der wichtigen Stakeholder erfüllt wurden. Und hier kommt das Stakeholder-Management ins Spiel. Idealerweise verläuft die Projektarbeit ja so:
- Auftraggeber/Stakeholder formulieren ihre Ziele und damit ihre Erwartungen;
- Projektmanager und Team erstellen einen realistischen Plan, der die Möglichkeiten des Teams berücksichtigt;
- Eventuelle Diskrepanzen zwischen 1) und 2) werden beseitigt, indem entweder die Ziele an das Machbare angeglichen oder die Möglichkeiten des Teams erweitert werden;
- Das Projekt wird realisiert – eher mehr als weniger erfolgreich.
In der Realität läuft es aber häufig so:
- Auftraggeber/Stakeholder formulieren ihre Ziele;
- Projektmanager und Team erstellen einen Plan, der die (sportlichen) Wünsche der Stakeholder möglichst genau berücksichtigt, aber eher zu optimistisch ist – auf diese Weise vermeidet man Konflikte mit den Stakeholdern;
- Das Projekt wird realisiert, aber Budget und Endtermin werden nicht gehalten und somit die Erwartungen nicht erfüllt.
Stakeholder-Erwartungen am Machbaren ausrichten
Nur wenn der Auftraggeber von sich aus Ziele formuliert, die bereits am Machbaren orientiert sind, besteht die Chance auf einen Projekterfolg, ohne dass der Projektmanager die Erwartungen dämpfen muss.
Es gibt mehrere Faktoren, die Einfluss darauf haben, wie weit die vorgegebenen Ziele von den Ergebnissen abweichen, die nachher tatsächlich erreicht werden; und in mühevoller Kleinarbeit habe ich diesen Einfluss in einer scheingenauen, trivialmathematischen Formel zu erfassen versucht (daher der Titel dieses Beitrags). Ich hoffe, dass diese Formel es in Zukunft ermöglicht, Prognosen für die Fehleinschätzung von Zielen zu machen, und danke im Voraus allen Lesern, die Beiträge leisten zur Ergänzung weiterer wichtiger Faktoren und ihrer ban/al/gebraischen Berücksichtigung!
Hier ist sie:
Fehleinschätzung ≥ 0,075 x IG x KP x [(1 + WD/SK) x (1 + EB/MB)] / [Erf / Verg]
Erläuterung der Faktoren und ihres Einflusses:
IG: der Innovationsgrad des Projekts, definiert als ("Bekanntes" + "Neues") / "Bekanntes". Alle Projektelemente bekannt? IG = 1
KP: die Komplexität des Projekts.
WD: Wunsch-Dringlichkeit. Je größer das Bedürfnis des Auftraggebers ist, einen knappen Endtermin oder ein geringes Budget einzuhalten, desto mehr werden seine Vorgaben von realistischen Zielen abweichen. Merke: WD ist niemals = 0, denn dann gäbe es überhaupt kein Projekt mehr! – Die Dringlichkeit des Wunsches wird relativiert durch
SK: die Sachkenntnis des Auftraggebers/Stakeholders, bezogen auf die Inhalte des Projektarbeit. Sie drängt den Einfluss von WD auf die Zielformulierung zurück. – Eigentlich sollte SK des Teams größer sein als SK des Stakeholders; dass das nicht immer so gesehen wird, liegt an den beiden folgenden Faktoren:
EB: das Eigenbild des Stakeholders; seine Einschätzung der eigenen (theoretischen) Fähigkeiten, zum Projekterfolg beizutragen. Auch EB ist niemals = 0, denn dann wäre dieser Stakeholder niemals in eine Position gelangt, auf Grund derer er als wichtig betrachtet werden muss.
MB: das Menschenbild des Stakeholders. Steht häufig im reziproken Verhältnis zu EB. Je weniger der Stakeholder anderen wie z.B. den Teammitgliedern und dem Projektmanager zutraut an Fachkenntnissen, Begeisterung, Motivation und Fleiß, desto mehr wird er auf sein EB vertrauen, und desto größer wird auch sein Bedürfnis sein, durch anspruchsvolle Zielvorgaben Druck auszuüben auf alle, die nach seiner Meinung weniger bereit und in der Lage sind, Leistung zu erbringen. Vertraut er im Gegenteil auf seine Mitarbeiter und ihre Kompetenz, dann werden seine Zielvorgaben sinnvoll beeinflusst werden durch die Außenansicht von Menschen, die nicht seinem eigenen Wunschdenken (WD) unterworfen sind.
Erf: die persönliche Erfahrung des Stakeholders im Projektmanagement und bei ähnlichen Projekten ("Wissen Sie, Herr PM, auch ich habe am Beginn meiner Karriere solche Projekte geleitet, und ich erinnere mich noch sehr gut, …"). Je größer die Erfahrung, desto geringer die Fehleinschätzung.
Verg: das Vergessen. Die "Gnade, vergessen zu können", ist eine für alle Menschen extrem wichtige Eigenschaft. In diesem Fall ist sie leider kontraproduktiv, denn je weiter die Erfahrung zurückreicht, desto mehr neigt man dazu, sich nur an die positiven Dinge zu erinnern, und die Schwierigkeiten, die man selber in früheren Projekten hatte, werden verdrängt, unterschätzt oder geschönt.
Das Rauschen im Projektprozess bleibt
Sollte man sich wider Erwarten doch einmal dem Idealfall annähern, dass der Einfluss all dieser Faktoren auf null (bzw. auf eins) zurückgeht, dann bleibt für die Fehleinschätzung zukünftiger Ergebnisse immer noch der Faktor 0,075 übrig. Er steht für die maximale Genauigkeit von etwa ± 7,5%, die beispielsweise bei einer Kalkulation zu erreichen ist, und repräsentiert damit das Rauschen in dem Projektprozess, mit dem später die Zielvorgaben erreicht werden sollen.
Zurück zum Anfang: Betrachten wir noch einmal die Quote gescheiterter Projekte, die angeblich heute etwa ebenso groß ist wie vor 25 Jahren. Warum ist das so, obwohl wir so große Fortschritte in der Methode "Projektmanagement" zu verzeichnen haben?
Weil die Menschen sich nicht geändert haben.
Sachkenntnis und Erfahrung haben eher zugenommen, wenn auch nicht in jedem Einzelfall. Ob der Innovationsgrad sich im Lauf der Zeit verändert hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Die Komplexität hat sicher zugenommen. Wunsch-Dringlichkeit und Eigenbild sind als individuelle psychologische Faktoren weniger oder nicht von außen beeinflussbar.
Standing verbessern, Erkenntnisse sichern
Was bleibt also? Zu arbeiten an den Faktoren "Menschenbild" und "Vergessen". Ersteres dadurch, dass etwa Projektmanager ihr Standing in den Augen der Stakeholder verbessern. Dafür sind sie in erster Linie selber verantwortlich; eine Tatsache, die im Umfeld der Qualifizierung bisher zu kurz kommt.
Und gegen den Einfluss des "Vergessens" hilft eine Objektivierung der persönlichen Erfahrungen mit Hilfe der oft genannten und selten effizient praktizierten "Lessons Learned".
Soweit mein erster Einstieg in das neuartige Forschungsgebiet der teilironisch-quantitativen Enttäuschungsprognostik. Ich würde es gerne ausbauen und freue mich deshalb auf Beiträge und Kommentare!
Kai Neumann
13.05.2016
Heinz Hütter
13.05.2016
Thomas Spörri
13.05.2016
W. Plagge
13.05.2016
W. Plagge
16.06.2016
Kai Neumann
20.06.2016
W. Plagge
20.06.2016