Ist Schach komplex?
Vor einigen Tagen hörte ich bei einer PMI-Veranstaltung einen interessanten Vortrag von Frederik Prause mit anschließender Diskussion zum Thema "agile Methoden in Krisenprojekten". An einer Stelle kam zur Sprache, das sinnvolle Vorgehen des Projektmanagers in solchen Projekten sei vergleichbar mit dem eines guten Schachspielers. Denn Schach weise als Spiel eine ähnliche Komplexität auf wie Krisenprojekte.
Die Analogie im Vorgehen hat mir sofort eingeleuchtet; aber wenn ich "Komplexität" höre, beginnt in meinem Kopf reflexartig ein rotes Fragezeichen zu blinken, denn nach meiner Beobachtung wird dieses Wort synonym zu Kompliziertheit, Schwierigkeit und anderen Substantiven verwendet, ohne dass eine genaue Begriffsklärung zugrunde liegt. Und unterschwellig wird die Eigenschaft "Komplexität" gern als Ausrede genommen, um das Scheitern eines schwierigen Projekts zu begründen. Also hat mein Gehirn eine kurze Auszeit genommen, um sich der Frage zu widmen: Ist Schach komplex?
Ist Schach komplex?
Vor einigen Tagen hörte ich bei einer PMI-Veranstaltung einen interessanten Vortrag von Frederik Prause mit anschließender Diskussion zum Thema "agile Methoden in Krisenprojekten". An einer Stelle kam zur Sprache, das sinnvolle Vorgehen des Projektmanagers in solchen Projekten sei vergleichbar mit dem eines guten Schachspielers. Denn Schach weise als Spiel eine ähnliche Komplexität auf wie Krisenprojekte.
Die Analogie im Vorgehen hat mir sofort eingeleuchtet; aber wenn ich "Komplexität" höre, beginnt in meinem Kopf reflexartig ein rotes Fragezeichen zu blinken, denn nach meiner Beobachtung wird dieses Wort synonym zu Kompliziertheit, Schwierigkeit und anderen Substantiven verwendet, ohne dass eine genaue Begriffsklärung zugrunde liegt. Und unterschwellig wird die Eigenschaft "Komplexität" gern als Ausrede genommen, um das Scheitern eines schwierigen Projekts zu begründen. Also hat mein Gehirn eine kurze Auszeit genommen, um sich der Frage zu widmen: Ist Schach komplex?
Vor einigen Tagen hörte ich bei einer PMI-Veranstaltung einen interessanten Vortrag von Frederik Prause mit anschließender Diskussion zum Thema "Agile Methoden in Krisenprojekten". An einer Stelle kam zur Sprache, das sinnvolle Vorgehen des Projektmanagers in solchen Projekten sei vergleichbar mit dem eines guten Schachspielers. Denn Schach weise als Spiel eine ähnliche Komplexität auf wie Krisenprojekte.
Die Analogie im Vorgehen hat mir sofort eingeleuchtet; aber wenn ich "Komplexität" höre, beginnt in meinem Kopf reflexartig ein rotes Fragezeichen zu blinken, denn nach meiner Beobachtung wird dieses Wort synonym zu Kompliziertheit, Schwierigkeit und anderen Substantiven verwendet, ohne dass eine genaue Begriffsklärung zugrunde liegt. Und unterschwellig wird die Eigenschaft "Komplexität" gern als Ausrede genommen, um das Scheitern eines schwierigen Projekts zu begründen. Also hat mein Gehirn eine kurze Auszeit genommen, um sich der Frage zu widmen: Ist Schach komplex?
Wikipedia hilft – besonders wenn man versucht, die vielen Fremdworte dort durch allgemein verständliche Begriffe zu ersetzen:
"Ein System ist dann komplex, wenn man sein Verhalten nicht eindeutig beschreiben kann, obwohl man vollständige Informationen über seine Einzelkomponenten und ihre Wechselwirkungen hat. Damit sind Entscheidungssituationen schlecht strukturierbar."
Für Bobby Fischer war Schach weniger komplex
Auf ein Schachspiel (Brett und Figuren in einer bestimmten Stellung) trifft das definitiv zu. Dann stellt sich aber die Frage, ob das Verhalten nicht eindeutig ist oder ob ich nur unfähig bin, es zu beschreiben und damit vorherzusagen. Den ersten Fall begründet Wikipedia mit einem "Mangel an Ordnung im System (ontologische Komplexität)", den zweiten mit der "Überforderung der menschlichen Wahrnehmungsmittel (epistemologische Komplexität)".
Auf seinem Weg zur Weltmeisterschaft 1972 gewann Bobby Fischer 21 Partien nacheinander. Dabei schlug er u.a. im Viertel- und Halbfinale Taimanow und Larsen jeweils mit 6:0. Larsen galt damals als der zweitbeste Spieler außerhalb der Sowjetunion. – Übrigens ist der wahrscheinlichste und häufigste Ausgang einer Schachpartie das Remis.
Hätte man Fischer damals gefragt: "Ist Schach komplex?", wäre seine Antwort möglicherweise gewesen: "Überhaupt nicht!" Hätte man Bent Larsen gefragt, wäre die Antwort vermutlich: "Alligevel!" (= "freilich!"; Larsen war Däne).
Betrachtet man nur das System "Brett und Figuren", herrscht nun wirklich kein Mangel an Ordnung. Wenn Schach komplex ist, kann es also nur an der Überforderung der menschlichen Wahrnehmungsmittel liegen. Die ist aber bei Fischer und seinen Gegnern höchst unterschiedlich, also subjektiv und individuell.
Subjektive Komplexität führt also dazu, dass in Entscheidungssituationen die Vorhersagbarkeit leidet. Aber nicht alles, was schlecht vorhersagbar ist, ist auch komplex. N. Taleb ("Der schwarze Schwan") beschreibt das vollkommen einfache und perfekt vorhersagbare Leben eines Thanksgiving-Truthahns aus der Sicht der Menschen: Zwei Jahre füttern, dann schlachten (Ausnahme: Begnadigung durch den Präsidenten. Aber auch das ist vorhersagbar). Aus der Sicht des Truthahns sieht die Vorhersage anders aus: ewiges Gefüttert-Werden! Falsch, aber nicht komplex …
Nun gibt es aber für objektive (ontologische) Komplexität in der Systemtheorie eindeutige Kriterien, die ich hier spaßes- und beispielshalber auf eine Schachpartie anwenden möchte:
- Emergenz: ohne Zutun der Spieler entstehen während der Partie neue Regeln, und das Brett wächst in die dritte Dimension
- Mehrdeutigkeit des Ursache-Wirkung-Prinzips: es entsteht eine Stellung, die 20 Züge früher schon genauso vorkam
- Nichtlinearität: beim Nachspielen einer Partie "fliegt einem plötzlich das Brett um die Ohren"
- Zufall: ein Spieler entscheidet über seinen nächsten Zug mit Hilfe von Tarot-Karten
All das wird nicht passieren, weil die Spieler sich an die anfangs feststehenden Regeln halten und die Komplexität nur subjektiv ist. Und die Beteiligten wissen das und wollen es auch nicht anders.
Und wie ist es bei Projekten?
Es gibt einfache, komplizierte und komplexe Projekte. Die einfachen lassen sich mit dem gesunden Menschenverstand und einem strukturierten Ansatz planen (d. h. vorhersagen) und mit einem wenigstens durchschnittlichen Maß an sozialen Fähigkeiten des Projektmanagers steuern.
Bei den komplizierten Projekten wird es schwieriger, denn hier spielt die subjektive Komplexität schon hinein. Hier braucht man Projektmanagement; die einschlägigen Methoden, die schon zwischen 1950 und 1970 entwickelt wurden, sind geeignet, Transparenz in unübersichtliche Verhältnisse zu bringen und Strukturen zu schaffen. Und, ganz wichtig: sie sind skalierbar; d. h. was in einem kleinen Projekt funktioniert, lässt sich auch auf ein beliebig großes anwenden, und zwar sequentiell. Ein Netzplan etwa kann von vorn bis hinten in kleinen Schritten entwickelt werden; bei zehn Arbeitspaketen sind es wenige, bei 10.000 viele Schritte, aber die Methode ist immer dieselbe.
Wenn ich die Methoden nicht beherrsche, dann sind meine Wahrnehmungsmittel überfordert, und ich empfinde bereits subjektive Komplexität. Aber Vorsicht: Wenn die Eigenschaften objektiver Komplexität von der Emergenz bis zum Zufall nicht gegeben sind, dann mache ich mit der Ausrede "zu komplex" nur eine Aussage über meine Fähigkeiten: "Ich bin der Sache nicht gewachsen (aber Andere vielleicht schon) …" . Im Gegensatz zum Schach, das ja – zumindest dem Dilettanten – nur Spaß machen soll, kann hier die Komplexitätsfrage wirklich wichtig werden.
Für komplexe Projekte benötigen wir andere Vorgehensweisen
Und sie wird noch wichtiger, wenn ein Projekt Anzeichen objektiver Komplexität aufweist. Wenn z. B. in Wechselwirkung mit der sich ändernden Projektumgebung neue Spiel-/Arbeitsregeln entstehen, ohne die das Projekt scheitern muss und die man nicht planen kann, weil man zu Beginn nicht weiß, wie sich das Umfeld ändern wird.
Das würde nämlich bedeuten, unter Anwendung herkömmlicher Planungs- und Steuerungsmethoden bin nicht ich mehr in der Lage, eine Vorhersage auf das Ende zu machen, sondern niemand ist dazu in der Lage; die klassischen Methoden versagen.
Bei objektiv komplexen Projekten braucht man andere Vorgehensweisen als bei komplizierten; Dinge, die tatsächlich Ähnlichkeiten aufweisen mit agilen Methoden und die ich hier nur schlagwortartig/digital anreißen will: Kommunikation statt Dokumentation endgültiger Pläne, mäßig flexible Ziele statt eines einzigen Pflichtenhefts vom Start bis zum Ende, Bestandsaufnahme und Neuplanung nach jedem wesentlichen Realisierungsschritt, und eine atmende teambasierte Struktur statt eines kristallinen Organigramms vom Lenkungsausschuss bis zum Sachbearbeiter.
Und deshalb ist die Frage wichtig: Ist dieses Projekt komplex? Denn von der Antwort hängt ab, ob wir die Stakeholder-Erwartungen mit einem guten Projektmanager und auf herkömmliche Weise erfüllen können, oder ob wir prinzipiell andere Wege gehen und die Stakeholder-Erwartungen darauf justieren müssen.
Dieter Brandes
19.12.2014
Walter Plagge
20.12.2014
Olaf Appel
08.01.2015
W. Plagge
12.01.2015
Olaf Appel
25.01.2015
Peter Addor
08.01.2015
W. Plagge
12.01.2015
Rüdiger Geist
17.01.2015
W. Plagge
19.01.2015