Für eilige LeserInnen: Mit detaillierter Fachkenntnis und Herzblut geschriebene Geschichte über die Projektrealität in der Automobilzulieferindustrie.
Anton Bachhuber, routinierter und erfahrener Projektprofi, Ausbilder für angehende und fortgeschrittene Projektleiter und intimer Kenner der Automotive-Branche, hat sich an eine herausfordernde Aufgabe gewagt, die schon größeren Namen zum Verhängnis geworden ist: Er versucht Belletristik, Fachliteratur und Lehrbuch zu verschmelzen. Das scheitert im Normalfall auf allen drei Ebenen, so wie auch "Der Termin" von Tom deMarco bei genauer Betrachtung eine einzige Katastrophe ist. Dennoch wurde "Der Termin" zum Bestseller, anscheinend lieben es Leser, wenn der Autor auch mit der Materie kämpft und dabei scheitert.
In diesem Sinne könnte der "Lerngeschichte über angewandtes Projektmanagement in der Automobilindustrie" großer Erfolg ins Haus stehen. Insbesondere deshalb, weil die Geschichte selbst bis ins kleinste Detail hinein genauso hätte stattfinden können, während die Story bei Tom deMarco nur noch ein Zerrbild möglicher Realität ist. Aber der Reihe nach.
Wir befinden uns in der Automobilzulieferindustrie. In der Welt der Maschinenbauer, Elektroniker, Informatiker und ähnlich gelagerter Berufsgruppen, bei denen der Männeranteil weit über 90% liegt. In diese Welt dringt Isabelle Reinbrunner, die Heldin der Geschichte ein - ein Schelm wer dabei Parallelen zu Ottos "7 Zwerge - Männer allein im Wald" zieht. Denn während dort die Klischees persifliert werden, gelten sie in der Technikmännerwelt noch im Original. Männer sind dort "groß und schlank" oder "etwas kleiner, fester", während "hübsche" Frauen schon mal ein Kleid anhaben, das "ihre weibliche Figur auf wundervolle Weise betont." Es ist beruhigend zu erfahren, dass es noch Branchen gibt, in denen Männer Männer und Frauen Frauen sind. Und wie bei Mel Brooks "Helden in Strumpfhosen" geht es auch in "Die Projektleiterin" darum, den richtigen Schlüssel zum Herzen der Heldin - und zum Aufschließen eines PKWs zu finden.
Und damit sind wir auch schon beim sachlichen Rahmen der Lerngeschichte: Ein Automobilzulieferer soll einen neuen Funkkschlüssel für PKWs entwickeln. Ein kleines Teil, anhand dessen der Autor eindrucksvoll demonstriert, wie komplex auch scheinbar einfache Elemente eines großen Ganzen werden können: Probleme mit Reichweite, Sicherheitsfunktion, mechanischer Stabilität, Software usw. halten das Projektteam, dem Isabelle Reinbrunner vorsteht, beständig in Atem.
Doch bevor sie soweit ist, muss der Leser (und die eine oder andere Leserin) sie vom ersten Berufstag an durch die Einführungsschulung begleiten und dabei die fünf Phasen eines Entwicklungsprojekts von der Angebotsphase bis zur Serienanlaufphase verinnerlichen. Über die ersten beiden Lehrjahre des Berufslebens springt das Buch zum Glück hinweg und landet beim nächsten Karriereschritt der Hauptperson, der Leitung eines Projekts und der dazugehörigen Projektleiterschulung.
Diese beiden parellelen Handlungszweige, die einzelnen Tage der Projektleiterschulung und das Entwicklungsprojekt für den neuen Funkschlüssel zählen unter fachlichen und inhaltlichen Gesichtspunkten zu den großen Stärken dieses Buchs. Wer immer wissen will, "wie denn ein echtes Projekt im Berufsalltag so läuft", findet hier eine zwar verdichtete und didaktisch aufbereitete, aber absolut realistische Antwort. Während einem beim Studium des PMBOK(R) Guide des PMI oder des ProjektManager der GPM die staubtrockene akademische Luft das Atmen schwer macht, riecht man bei den Schilderungen aus dem Labor und der Fertigung den Geruch von Lötzinn, Kaffee und Maschinenöl.
Die fachliche Seite und den Praxisbezug hat Anton Bachhuber meiner Meinung nach souverän gemeistert. Nur leider patzt er bei der literarischen und sprachlichen Bewältigung des Sujets ziemlich kräftig. Zweifelsohne kann der Autor klar und verständlich schreiben. Ich bin überzeugt davon, dass er ausgezeichnete Berichte, Beschlussvorlagen, Schulungsunterlagen oder Handbücher verfassen kann. Nur leider ist der Stil dieser technischen Formate nicht für für das "Infotainment" geeignet.
Der Leser muss sich mühsam durch hölzerne und spröde Passagen der privaten Erlebnisse und Dialoge quälen, bei denen man sich fragt, ob man beim nächsten Diskobesuch nicht besser einen Laptop mitnehmen sollte, um ein korrektes Protokoll darüber anfertigen zu können. Okay, das ist jetzt unfair, denn gerade in diesen Passagen merkt man, dass es dem Autor ein Herzensanliegen ist, den "Human Factor" in den Projektalltag einzubeziehen und die Work-Life-Balance zu thematisierern. Nur leider stößt er hier halt an die Grenzen seiner literarischen Kompetenz, wenn er z.B. Sätze schreibt wie: "Sie küssten und umarmten sich, gingen die Treppe nach oben und betraten in munterer Stimmung das Wohnzimmer." Sie finden diesen Satz in Ordnung? Prima, dann können Sie auch ohne Einschränkung des Lesevergnügens den Handlungsfaden des Privatlebens von Isabelle Reinbrunner genießen. Und ich möchte mit einer detaillierteren Anwendung meiner bescheidenen literarturkritischen Kenntnisse Ihnen dieses auch nicht madig machen. Schließlich bin ich ja selbst Techniker und habe jahrelang in Männerteams gearbeitet.