Einmal Moderne und zurück
Japan, die unbekannte Welt: Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn hatte ich Gelegenheit, Augenzeuge einer der ersten großen west-östlichen Kooperationen zu sein. Mein deutscher Arbeitgeber kaufte von einem japanischen Wettbewerber eine komplette Technologie, ohne zu Beginn zu wissen, worauf man sich einließ, denn die japanische Kultur und Arbeitswelt war damals im Westen weitgehend unbekannt. Daher gewann man in den ersten Wochen der Zusammenarbeit überraschende und erstaunliche Erkenntnisse.
Beispiel: Einkauf von Maschinen. Unter den Managern der westlichen Hemisphäre gab es zwei Extrempositionen (und natürlich das ganze Kontinuum dazwischen):
Einmal Moderne und zurück
Japan, die unbekannte Welt: Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn hatte ich Gelegenheit, Augenzeuge einer der ersten großen west-östlichen Kooperationen zu sein. Mein deutscher Arbeitgeber kaufte von einem japanischen Wettbewerber eine komplette Technologie, ohne zu Beginn zu wissen, worauf man sich einließ, denn die japanische Kultur und Arbeitswelt war damals im Westen weitgehend unbekannt. Daher gewann man in den ersten Wochen der Zusammenarbeit überraschende und erstaunliche Erkenntnisse.
Beispiel: Einkauf von Maschinen. Unter den Managern der westlichen Hemisphäre gab es zwei Extrempositionen (und natürlich das ganze Kontinuum dazwischen):
Beispiel: Einkauf von Maschinen. Unter den Managern der westlichen Hemisphäre gab es zwei Extrempositionen (und natürlich das ganze Kontinuum dazwischen):
I. "Wir kaufen immer die modernsten Maschinen" (Paradigma des Fortschritts: das Neueste ist immer das Beste)
II. "Wir kaufen dieselbe Maschine noch einmal" (Konservatives Paradigma: "better the devil we know")
In einem selbstbewussten und zukunftsorientierten High-Tech-Unternehmen genießen natürlich die Vertreter der Fraktion I das größere soziale Ansehen, auch wenn vielleicht die Fraktion II das Geld verdient, das man zur Finanzierung des Fortschritts benötigt.
Der dritte Weg
Und nun lernte man in Japan einen dritten Weg kennen, den fortschrittsorientierten Konservativismus:
III. "Wir kaufen, was wir kennen, und verbessern es so, dass es modernsten Anforderungen genügt" (Paradigma: "better the devil we know, but let's remove the diabolics")
Das hat gut funktioniert, und in den folgenden Jahren haben beide Seiten viel voneinander gelernt; auf dem Gebiet des Managements jedoch hat Fraktion I immer dominiert. Zwar haben nicht alle Firmen entsprechend gehandelt, aber die Fortschrittsprediger hatten wenigstens immer das Narrativ. Und wenn alle zehn Jahre "eine neue Sau durch's Dorf getrieben" wurde, sind viele mehr oder weniger blindlings auf den Zug, der manchmal auch aus Japan kam, aufgesprungen. Und natürlich, da der Sinn des jeweils neuen Hypes nicht immer hinreichend durchdacht wurde, mit den entsprechenden negativen Konsequenzen:
- Lean Management war nicht mehr Vermeidung von Verschwendung, sondern eine Rechtfertigung von Personalabbau.
- Business Process Reengineering ist schöpferische Zerstörung und Neuaufbau unter der Maxime völliger Kundenorientierung; vergaß man letztere, blieb es bei der Zerstörung.
Ob Six Sigma, Wow-Management oder wie sie alle heißen: stets hat es einige gute Umsetzungen gegeben, aber auch etliche Anläufe, die in der Methodik steckengeblieben sind, ohne wirklich Verbesserungen zu erzielen, weil die Ansätze nicht hinreichend durchdacht wurden.
Den Sinn von Methoden verstehen
Denn neue Methoden sind zwar immer neu, aber nicht unbedingt besser. Und bevor man sie einführt, sollte man sich sorgfältig überlegen, wo ihre Vorteile liegen, aber auch, welche unerwünschten Nebenwirkungen sie mitbringen. Denn meist verbessert man einen bestimmten Aspekt der Arbeit, zahlt aber einen Preis dafür, indem man andere Aspekte beeinträchtigt.
Deshalb sollte ein Gedanke auch immer sein, ob man nicht die gewünschten Verbesserungen durch Optimierung der bisherigen Methoden erzielen kann. Dazu muss man allerdings auch deren Sinn verstehen.
Beispiel "Critical Chain"
Nehmen wir zum Beispiel Critical Chain: Einer der Grundgedanken ist, dass jeder Beteiligte in den Startlöchern seines Arbeitspakets steht und loslegt, sobald es geht. Damit kann man bei Leuchtturmprojekten schöne Durchlaufzeiten erreichen; das Preis dafür ist aber derselbe wie beim 4x100m-Staffellauf: großartige Durchlaufzeit, aber es arbeitet immer nur einer, während drei unproduktiv herumstehen.
Ein anderer Grundgedanke: Einzelpuffer werden gesammelt und vom Projektmanager als gemeinsame Reserve ans Ende eines Pfads gesetzt. Eine richtige Idee – aber ist nicht im "klassischen" Projektmanagement genauso die Notwendigkeit gegeben, den Arbeitspaketbesitzern das Einplanen persönlicher, stiller Reserven auszureden, weil damit jede Projektschätzung grundsätzlich zu pessimistische Werte liefert? Die erzieherische Aufgabe ist in beiden Fällen dieselbe, nur wird den Spezialisten bei "Critical Chain" suggeriert, der Verzehr eines Puffers würde kollektiviert und damit nicht mehr dem Einzelnen zur Last gelegt.
Beispiel "Scrum"
Die agilen Methoden wurden entwickelt, weil der Kunde nicht wusste, was er wollte, und unterwegs oft seine Meinung änderte (Arbeitsprinzip IKIWISI: "I will know it, when I see it"). Scrum basiert auf Selbstorganisation der Teams, regelmäßiger Kommunikation intern sowie mit einem Kundenvertreter und auf operativen Entscheidungen an der Basis. Das Modell ist also eher organisch-selbstregulierend als mechanistisch-hierarchisch.
Aber: Predigen wir das nicht auch schon lange im klassischen Projektmanagement? Dass Kommunikation das Wichtigste überhaupt ist? Dass autonomes Projektmanagement die Flexibilität fördert? Dass im Projekt unternehmerisches Denken gefragt ist? Dass man sich in Stage-Gate-Prozessen immer wieder die Rückmeldung holt, ob man noch auf dem richtigen Weg ist?
Beispiel "Kanban"
Die Methode beruht auf den psychologischen Erkenntnissen, dass der Mensch nicht wirklich multitasking-fähig ist aufgrund der Produktivitätsverluste bei ständiger Neu-Einarbeitung, und dass es motivierender ist, regelmäßig eine Aufgabe abzuschließen, als permanent viele offene Baustellen zu jonglieren.
Bei guter Umsetzung führen operative Entscheidungen an der Basis (s. Scrum) zur Konzentration auf das aktuell Wesentliche, und als Ergebnis geht kurze Durchlaufzeit vor Auslastung (s. Critical Chain) und Teamerfolg vor Einzelleistung. Aber gibt es die Erkenntnisse nicht schon seit den 1970ern? Und wurden nicht auch im klassischen Projektmanagement dieselben Ergebnisse beschworen (die Teamleistung zählt!)?
Beispiel "Planning Poker"
Die Einhaltung der Regeln führt zur Vermeidung des Anker-Effekts (die erste genannte Zahl bleibt haften) und zur Anerkennung von Schätzunsicherheiten (Fibonacci-Zahlen). Aber läßt sich das nicht auch mit klassischen Schätzmethoden erreichen? Man müßte halt dran arbeiten, indem man keine Erwartungen vorgibt, die Schätzer nicht unter Druck setzt und die Nichteinhaltung der Schätzwerte nicht sanktioniert!
Alter Wein in neuen Schläuchen
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin ein Fan einiger dieser neuen Methoden! Sie gießen alte Erkenntnisse in neue Regeln, manche von ihnen machen Spaß, und sie haben einen großen Vorteil: Je ungewohnter die neuen Regeln scheinen, desto schwerer fällt es den Menschen, in die alten Verhaltensmuster zurückzufallen, die man damit bekämpfen will.
Bevor man aber neue Methoden einführt und damit auch ihre Nachteile in Kauf nimmt, sollte man sich sorgfältig überlegen, welcher Sinn zu ihrer Entwicklung geführt hat, und ob man diesen Sinn nicht durch geeignete Maßnahmen in der klassischen Vorgehensweise wiederbeleben kann; denn die Methodik "Projektmanagement" ist entstanden auf der Basis von Grundannahmen und Prinzipien, die ihre Bedeutung nicht verloren haben, sondern nur durch Tages-Stress und Projektroutine verschüttet worden sind.
Einmal Moderne und zurück, hin zweiter Klasse, zurück erster; das wär's doch.
Jürgen M.
10.05.2016
Walter Plagge
14.05.2016
J. Melzer
15.05.2016
Henning Zeumer, der Projekt-Sanierer
18.05.2016
J. Melzer
19.05.2016
W. Plagge
16.06.2016
J. Melzer
16.06.2016