Zertifizierte Projektmanager und betriebliche Realität – das passt nicht immer zusammen

Vor einiger Zeit bin ich bei einem mittelständischen Maschinenbauer aus dem Ruhrgebiet mit einem jungen Projektleiter zusammen getroffen, der gerade seine PM-Zertifizierung hinter sich gebracht hatte. Die Ausbildung hatte ihn persönlich viel Zeit und Einsatz gekostet. Ihr war auf Seiten des Unternehmens ein langer Überzeugungsprozess vorausgegangen – viele schwierige Gespräche mit dem Geschäftsführer, dem Leiter FuE und der Personalleitung.

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Zertifizierte Projektmanager und betriebliche Realität – das passt nicht immer zusammen

Vor einiger Zeit bin ich bei einem mittelständischen Maschinenbauer aus dem Ruhrgebiet mit einem jungen Projektleiter zusammen getroffen, der gerade seine PM-Zertifizierung hinter sich gebracht hatte. Die Ausbildung hatte ihn persönlich viel Zeit und Einsatz gekostet. Ihr war auf Seiten des Unternehmens ein langer Überzeugungsprozess vorausgegangen – viele schwierige Gespräche mit dem Geschäftsführer, dem Leiter FuE und der Personalleitung.

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Dabei war allen klar, dass das Unternehmen im Bereich PM Entwicklungsbedarf hat, aber man scheute zum einen die hohe Investition und befürchtete zum anderen, dass später alle Projektleiter eine solche Ausbildung fordern könnten. Diese Befürchtung hat man letztlich entschärft, indem man dem neu zertifizierten Projektleiter die Rolle des Multiplikators im Rahmen von Training-on-the-job Maßnahmen zugedacht hat.

Mit großem Schwung zum Frust

Die Ausbildung war abgeschlossen und mit großem Schwung steigt der Projektleiter in sein neues Projekt ein. Die Euphorie wandelt sich schon nach kurzer Zeit in Frust: "Bei uns funktioniert das einfach nicht so, wie es in der Ausbildung stillschweigend vorausgesetzt und als selbstverständlich behandelt wird. Ständig stoße ich an Grenzen, an denen eigentlich alles klar sein müsste, wenn meine Arbeit halbwegs erfolgreich laufen soll. Oft habe ich das Gefühl, dass sich die oberen Etagen im Hinblick auf die Projektarbeit gar nicht einig sind und mir manchmal regelrecht Knüppel zwischen die Beine geworfen werden."

Was an diesen Beschreibungen tatsächlich dran ist und was vom Frust diktiert, kann ich nicht sagen. Richtig ist aber auch aus meinen Beobachtungen: das Unternehmen hat keine projektorientierte Organisationsstruktur. Sein diesbezüglicher Reifegrad ist vermutlich relativ bescheiden. Es herrschen gewachsene Strukturen, die an neue Marktanforderungen angepasst wurden, immer wenn es erforderlich war – durchaus erfolgreich, und immer "verträglich". Das Unternehmen ist lern- und veränderungsfähig, aber nicht mit der Brechstange.

Die Erwartungen nicht erfüllt

Der frisch zertifizierte Projektleiter hat die in ihn und seine Ausbildung gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Statt dass er als Vorbild und Multiplikator in der Praxis zeigt, wie man Projektarbeit schneller und erfolgreicher macht, beklagt er unzureichende Prozesse und stellt Forderungen, was im Unternehmen alles zu verändern wäre, damit Projektarbeit überhaupt regelgerecht funktionieren kann.

Ganz offensichtlich ist dieser Projektleiter nicht darauf vorbereitet, unter gegebenen Bedingungen Projektarbeit zu leisten. Wahrscheinlich wäre er sehr erfolgreich, wenn das ganze Unternehmen nach den Vorstellungen der einschlägigen PM-Experten funktionieren würde – tut es aber nicht.

Es ist diesem Unternehmen hoch anzurechnen, dass es in der skizzierten Situation ein gewisses Coaching-Kontingent für den Projektleiter bereitgestellt hat – auch das ein Zeichen für die gewachsene Unternehmenskultur.

Wie bleibe ich handlungsfähig?

Zentral im Coaching war die Frage, wie kann ich als Projektleiter dafür sorgen, dass ich nicht durch gegebene (widrige) Umstände blockiere, sondern handlungsfähig bleibe, in dem ich Alternativen und Optionen entwickle. Hier einige Themenkomplexe, die wir in diesem Kontext bearbeitet haben:

  • Nicht davon ausgehen, dass "eigentlich zwingend erforderliche" (Zitat) Kommunikationswege tatsächlich funktionieren, sondern Störungen sehr frühzeitig wahrnehmen, sich nicht frustrieren lassen und beklagen, und Mittel und Wege suchen, Störungen auszuräumen, um die nötigen Kommunikationswege wieder "funktionsfähig" zu machen.
  • Akzeptieren, dass die eigenen Einflussmöglichkeiten begrenzt sind, wenn Projektaufträge sogar dann umgeschmissen werden, wenn es aus projektinterner Perspektive "glatter Wahnsinn ist" (Zitat). Lernen, wie man sich selbst wieder motiviert und das Team mit auf den neuen Weg nimmt.
  • Sich von der Annahme verabschieden, dass in einem zweckrational funktionierenden Unternehmen sachlich-fachlich zwingende Argumentationen in jedem Fall zum Ziel führen. Lernen, auch mit "nur" plausiblen und wertorientierten Argumenten zu punkten und sich andere "politische" Einflusswege zu erarbeiten.
  • Sich nicht vollständig blockieren lassen, wenn Entscheidungen in verantwortlichen Gremien nicht fallen, sondern innerhalb des Projekts Strategien entwickeln, bestimmte Festlegungen erst möglichst spät treffen zu müssen.
  • Alternativen parat haben, wenn (vermeintlich) fest zugesagte Ressourcen im geplanten Zeitfenster nicht abgerufen werden können. Sich nicht in Konkurrenzbeziehungen zu anderen Projekten treiben lassen und dadurch unnötige Konflikte hervorrufen.

Wenn ich meine Erfahrungen zusammenfasse, sind es drei Punkte an denen man ansetzen sollte, wenn man Projektleiter unter nicht idealen Umfeldbedingungen erfolgreich machen will.

Ausgeprägte innere Stabilität

Der erste Bereich betrifft die persönliche Ebene der Projektleiter und ist sicher am schwersten von außen zu beeinflussen. Es geht um die Fähigkeit, nicht innerlich einzuknicken, wenn etwas gar nicht so funktioniert, wie ich es geplant habe und für absolut sinnvoll halte. Es geht darum, auch wenn ich mich ärgere, wütend bin, mich ungerecht behandelt fühle, innerlich handlungsfähig zu bleiben und mich selbst motivieren zu können. In der Psychologie spricht man auch von Resilienz. Wenn man es als Lernaufgabe betrachtet, ist es in einem umfassenden Sinn die Fähigkeit zum Selbstmanagement.

Maximale Flexibilität

Der zweite Ansatzpunkt verweist in den Bereich der Projektplanung. Hier muss es darum gehen, Vorgehensweisen und Methoden zu erarbeiten, mit denen man als Projektleiter zu jeder Zeit den bestmöglichen Gesamtüberblick über sein Projekt hat. Nur so kann man sich maximale Flexibilität und – wenn es die Umstände denn erfordern – die Grundlage für erfolgreiche Improvisation schaffen.

Projektarbeit unter nicht idealen Rahmenbedingungen bedeutet, dass man zu jeder Zeit mit tendenziell unvorhersehbaren und irrationalen Interventionen rechnen muss. Dieses Risiko kann man mit keiner bis ins letzte ausgearbeiteten Detailplanung ausschalten. Ich kann es als Projektleiter nur akzeptieren und ihm mit höchster Wachheit und flexibler Handlungsfähigkeit begegnen. Ein detailliertes Plan-Korsett erstickt alle Flexibilität im Keim.

Kommunikation, Kommunikation und immer wieder Kommunikation

Ein Ansatzpunkt, dessen Bedeutung kein PM-Experte in Frage stellen wird, der unter den skizzierten Bedingungen aber ein zusätzliches Gewicht bekommt. Wenn die Umfeldbedingungen für Projektarbeit nicht ideal sind, wenn es keine etablierten Prozesse gibt, auf die sich der Projektleiter stützen kann, steigt die Notwendigkeit pro-aktiver Kommunikation sprunghaft an. Dabei rücke ich drei Bereiche in den Vordergrund.

  • Kommunikation auf der "politischen Ebene" / Kommunikation ins Umfeld: Hier geht es um das Verkaufen des Projekts, um Projektmarketing. Die Notwendigkeit ist weitgehend akzeptiert, wenn es denn aber darum geht, mit fachlich-technisch sozialisierten Projektleitern in die Praxis zu gehen, tun sich viele schwer. Sich ins Feuer zu stellen und Werbung für das eigene Projekt zu machen liegt absolut nicht jedem. Noch schwerer fällt es vielen, sich auf der Ebene der Unternehmenspolitik zu betätigen. Nicht fachlich-sachlich zu denken, sondern in den Kategorien: wer kann mir nützen, wer schaden, nach geeigneten "Tauschobjekten" zu suchen und sie offensiv auf dem politischen Feld einzusetzen, gilt vielen sogar als anrüchig.
  • Kommunikation / Informationspolitik auf Teamebene: Von deren Notwendigkeit zu überzeugen gelingt relativ leicht, wenn man heraus arbeitet, welche Konsequenzen falsche, fehlende oder nicht aktuelle Informationen für die Sacharbeit der Teammitglieder, aber auch besonders für das Gefühl von Wertschätzung und "Gebraucht-werden" im Projekt haben. Wenn ein Projekt nicht reibungslos in die Informationsflüsse des Unternehmens einbezogen ist, steht der Projektleiter hier vor einer besonderen Verantwortung. Die Einsicht in die Notwendigkeit muss mit schnell einzusetzenden Informations- und internen Kommunikationsmethoden unterstützt werden, um die ohnehin knappe Zeit der Projektleiter nicht übermäßig zu belasten.
  • Kommunikation auf Kollegen-Ebene – Vernetzung der Projektleiter: Eine nicht immer hinreichend beachtete Kommunikationsaufgabe liegt darin, die Vernetzung der Projektleiter im Unternehmen voranzutreiben. Gerade, wenn noch keine funktionierenden Prozesse etabliert sind, ist die (informelle) Abstimmung auf Kollegen-Ebene ein wichtiger Erfolgsfaktor. Das gilt für den Informationsfluss über Abteilungsgrenzen hinweg, für die Abstimmung bei Flaschenhals-Ressourcen und für den Austausch über gangbare und nicht gangbare Wege im Unternehmen. Ein nicht zu unterschätzender Effekt besteht darin, dass auf diesem Weg der Projektarbeit im Unternehmen insgesamt mehr Gewicht verschafft werden kann. Das ist ein wesentlicher Beitrag zur Entwicklung einer projektorientierten Kultur.

Das Unternehmen, auf das ich mich hier beziehe ist nach meinen Erfahrungen kein Einzelfall. Es gibt sicher Unternehmen, die konsequent projektmäßig aufgestellt sind, aber es gibt viele, die das einfach nicht sind. In diesen Unternehmen ist erfolgreiche Projektarbeit nicht mit lehrbuchmäßigem Einsatz von PM-Methoden umzusetzen, sondern nur, wenn der Projektleiter mit Ausdauer und innerer Stabilität, mit viel Kreativität und maximaler Flexibilität immer wieder Non-Standard-Situationen in den Griff bekommt. Dazu sollte PM-Ausbildung befähigen.

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Alle Kommentare (3)

Guest

Sehr geehrter Herr Dr. Lüschow, an dem von Ihnen beschriebenen Drama des jungen PL ist meines Erachtens nicht die Zertifizierung als Solches schuld, sondern die wie ich in den vergangenen Jahren immer mehr feststelle extrem engstirnige Einstellung der Sponsoren, Personalentwickler und Einkäufer und leider auch einiger meiner Trainerkollegen, mit solchen Ausbildungen nicht unbedingt mehr erreichen zu wollen als nur das jeweilig angestrebte Zertifikat. Zudem geistert eine Menge von Zertifikaten durch den Markt, die eher einer theoretischen Führerscheinprüfung als der Befähigung zum Führen eines Gefahrguttransportes gleich zusetzen sind. Projekte werden nicht in durch Formeln und Prozesse sondern durch Menschen und deren Kompetenz erfolgreich. Uns als Trainern wird in sehr vielen Fällen leider weder Raum noch Aufgabe gegeben, die Tagesereignisse unserer Schützlinge zu durchleuchten und zu reflektieren. Wir sind vielfach angehalten in der geforderten Kürze der Ausbildung nur noch das Wesentlichste zu behandeln und alles wirklich Hilfreiche eher zu streifen, als es konkret zu behandeln. Manche meiner Trainerkollegen haben sich, anstatt zum Thema aus eigener Erfahrung "Tacheles" zu reden, darauf zurückgezogen den Teilnehmern einen unterhaltsamen Tag mit Spielen und vorgekauten Übungen zu liefern. Traurig ist zudem dass solche Shows von den Konsumenten gerne positiv evaluiert werden, aber keinerlei nachhaltige Wirkung haben. ... Das ist unsere heile Welt.. Zudem bitte ich immer zu berücksichtigen, dass Ausbildung allein zwar substantielle Grundlagen, aber ausdrücklich nicht die persönliche Erfahrung in der nicht immer erfolgreichen Anwendung des Gelernten ersetzt. Eine Feuerprobe ist nicht immer lustig und wird sehr häufig durch Parameter deren Quelle(n) weit außerhalb des eigentlichen Spielfeldes zu suchen sind, beeinflusst. Ich gebe Ihnen dahin gehend recht dass fast alles davon abhängt wie gut der PL sein Handeln kommuniziert und inwieweit er in der Lage ist das ihn umgebende Umfeld im Sinne des Projekterfolges zu beeinflussen. Mit der Strategie preußischer Feldschlachten und Drill mäßiger Ausbildung wird heute kein Sieg mehr errungen. Dennoch, ein Mindestmaß an nachweislich beherrschter und von allen (Mit-)Spielern gleich verstandener PM Methode wie PM Sprache ist unabdingbar und sicherlich ein substantieller Erfolgsfaktor. Hilfreich ist der sanfte Zwang eine die PM Kompetenz fordernde PM Zertifizierung erreichen zu müssen, da schon.

 

Volker
Pauling

Anhand der Aussage "Der frisch zertifizierte Projektleiter hat die in ihn und seine Ausbildung gesetzten Erwartungen nicht erfüllt." kann man ableiten, dass es neben der Wissensvermittlung bei der Zertifizierung noch andere Erwartungen gab. Diese waren anscheinend nicht bekannt oder vom Projektleiter nicht angekommen. Die Einführung eines Projektmanagement-Prozesses in einem Unternehmen ist wieder ein eigenes Projekt. Und wie der frisch zertifizierte Projektleiter gelernt hat, handelt es sich dabei um ein Organisationsprojekt. Und daraus ergeben sich einige Konsequenzen hinsichtlich Kommunikation und Widerstände. Dies sollte dem Projektleiter und der Geschäftsführung klar sein und nicht mit einem Projektauftrag "Rolle des Multiplikators" lapidar abgehandelt werden. Daher ist dies ein gutes Praxisbeispiel wie es den frisch gebackenen Zertifikanten in ihren Unternehmen ergehen kann, wenn sie direkt nach dem Lehrgang alles genau nach dem Lehrstoff 'prozessieren' wollen. Und ich stimme Herrn von Rotenhan zu, dass man die Teilnehmer auf die Grenzen der sofortigen Anwendbarkeit im Unternehmensalltag (also dem 'Tacheles') hinweisen muss. Dabei dürfen wir als Trainer nicht vergessen, dass die Aufnahmekapazität der Teilnehmer in erster Linie auf dem Lernstoff liegt. Die Hinweise zur Anwendbarkeit sind eher Stufe 2. Vielleicht bleiben sie aber so im Gedächtnis, dass die "Feuerprobe" glimpflicher verläuft.

 

Guest

Was erwarten Sie von 3-5 Tagen Crashkurs? Ein Zertifikat ist genauso viel wert wie ein Tool: Wenn man's nicht verstanden hat, kann man immer noch kein Projektmanagement. Die Erwartungshaltung an den "jungen PM" ist auch ziemlich hoch. Ich habe Unternehmen gesehen, die eine ganze Reihe von PLs zur Schulung geschickt haben, die alle die Hoffnung hatten, etwas bewegen zu können. Ohne bedingungslosen Rückhalt aus dem Top-Management ist kein Change im Unternehmen möglich, schon gar nicht, wenn's an die "Besitzstände" subalterner Stakeholder geht. Und der Prophet im eigenen Lande gilt nach meiner Erfahrung auch zu wenig, da ist externe Analyse, Hilfe und Coaching meist auch effektiver. Ergo ist dem "jungen PM" tatsächlich ein dickes Fell und beharrliches Aufzeigen von Konsequenzen anzuraten. Und - ganz wichtig für seine Glaubwürdigkeit - aussichtslose Himmelfahrtskommandos sind unter sachlichem Aufzeigen der Realitäten auch abzulehnen, d.h. nicht anzunehmen. Den Unternehmen und ihren Executives ist anzuraten, es wenn dann richtig und konsequent zu machen. Halbherzige Change Projekte sind Geldverschwendung. Das beste Argument für projekt-getriebene Unternehmen ist doch, dass nicht nur Umsatz sondern v.a. der Gewinn in den Projekten erwirtschaftet wird. Da muss man weit mehr umbauen, als nur ein paar Schulungen für die Projektleiter. Und es gibt keine Alternative dazu, wenn man morgen noch am Markt sein will...