Emotional Leadership – wenn Fakten nicht mehr weiterhelfen
Typisch Projektmeeting: Der Projektleiter doziert die Liste der Arbeitspakete, viele seiner Teammitglieder daddeln am Smartphone oder kritzeln auf die Unterlage. Projekt-Karaoke – einer produziert sich, 17 hören gequält zu. Im nächsten Meeting stehen immer noch acht Arbeitspakete auf Gelb. Das hätte anders laufen müssen. Das tut es. Schneller als erwartet.
Emotional Leadership – wenn Fakten nicht mehr weiterhelfen
Typisch Projektmeeting: Der Projektleiter doziert die Liste der Arbeitspakete, viele seiner Teammitglieder daddeln am Smartphone oder kritzeln auf die Unterlage. Projekt-Karaoke – einer produziert sich, 17 hören gequält zu. Im nächsten Meeting stehen immer noch acht Arbeitspakete auf Gelb. Das hätte anders laufen müssen. Das tut es. Schneller als erwartet.
Zwei Wochen später ist der Projektleiter verhindert und schickt kurzfristig seinen Stellvertreter. Der beginnt mit einer Entschuldigung: "Tut mir leid, dass wir nicht sofort in die Fakten einsteigen können, ich hab erst gestern erfahren, dass ich heute leite. Bitte helft mir kurz auf die Sprünge: Gibt's irgendwo Probleme? Was brennt Euch unter den Nägeln? Wo kann ich helfen?" Die Hände schnellen hoch, alle beteiligen sich, alle erzählen, keiner daddelt, es kommt Stimmung auf und plötzlich fallen Vorschläge, wie man die acht Gelbphasen beenden kann. Drei Wochen später stehen sechs der ehemals gelben Ampeln wieder auf Grün. Warum?
Die Macht der Emotion
Der Deputy hat – nicht ganz zufällig – den richtigen Punkt getroffen: Er hat nicht wie sein "Chef" endlos trocken Zahlen, Daten, Fakten (ZDF) heruntergebetet, sondern zielte im Gegenteil auf etwas ganz anderes ab. Nicht auf den Kopf, sondern den Bauch seiner Teammitglieder. Hinterher verriet er mir verschmitzt: "Ich war tadellos vorbereitet, ich wollte bloß keine Schlaftablette servieren. Das haben wir ohnehin alle 14 Tage – aber verraten Sie das bloß keinem!" Warum nicht?
Zu hart
Weil Projektmanager harte Kerle sind. Viele schwören zwar auf ihr "Bauchgefühl", kommen jedoch nicht auf die naheliegende Idee, auch jenes ihrer Mitarbeiter anzusprechen. Sie verwechseln Emotion mit Schwäche. Andere verwechseln eine affektive Artikulation mit "Privates verraten". Wieder andere meinen: "So viel Zeit hab ich nicht." Ein nicht unerheblicher Teil versteht die Methode nicht: "Was soll das bringen?" Der Projektleiter in unserem Beispiel fragt das – sein Stellvertreter nicht. Er weiß, was es bringt: effizientere Meetings, stärker motivierte Teams und stärker engagierte Teammitglieder, die sich auch als Mensch und nicht bloß als Arbeitspaketinhaber wahrgenommen fühlen. Das macht den feinen Unterschied.
Der Unterschied
Projektleiter, die gefühlsarm ausschließlich mit ZDF führen, bringen ihre Projekte auch ins Ziel. Aber es kostet sie sehr viel mehr Kraft, Zeit, Überwindung, Druck, Stress und Überstunden. Warum? Weil sie einen wesentlichen Parameter menschlichen Verhaltens ignorieren, meist völlig unbewusst. Projektleiter, die dagegen bewusst und aktiv mit eigenen und fremden Emotionen umgehen können und es auch wollen, haben es leichter, sind schneller und reibungsärmer unterwegs – und haben die besseren Teams, weil sie so beliebt sind und respektiert werden, dass alle gerne mit ihnen arbeiten. Das schaffen ZDF-Manager nicht. Das kann man sehen. Zum Beispiel im Krisenfall.
Im Krisenfall
Es ist fünf vor zwölf, das Arbeitspaket ist nächste Woche fällig, aber der Verantwortliche alles andere als abgabebereit. Der Projektleiter macht Druck: "Nächste Woche, Donnerstag, 24 Uhr spätestens wird abgeliefert!" Wird es das? Leider meist nein. Denn der Projektleiter ist nicht Disziplinarvorgesetzter seines Teammitglieds. Sein Druck geht ins Leere. Eben weil die Intervention des Projektleiters nur eines erreicht: dem Paketverantwortlichen Druck, Frust und Stress zu machen. Das alles sind Affektimpulse, die der Projektleiter in bester Absicht aber mit verheerender Konsequenz provoziert. Der Emotional Leader macht das nicht.
Das ist Emotional Leadership
Der Emotional Leader weiß, dass der Kopf des Menschen denkt, sein Bauch aber lenkt. Deshalb kann und möchte er auch mit Emotionen umgehen. Zunächst mit den eigenen. Er bringt sie deeskalierend ins Spiel, um sich selbst als Mensch zu identifizieren. Er sagt also nicht: "Ich bin sauer – Sie lassen mich hängen!" Er sagt: "Ich mache mir ein wenig Sorgen – woran hakt's denn?" Mit nur einem Satz hat er seine eigene und die Affektlage seines Gegenübers angesprochen.
Sein Gegenüber nimmt den Faden auf und sagt vielleicht: "Meine Tochter ist krank – ich sitze jeden Tag vier Stunden im Krankenhaus!" Man redet darüber. Nicht stundenlang, wie Affektamateure fürchten. Ein, zwei Minuten reichen völlig. Das Arbeitspaket wird in der darauffolgenden Woche pünktlich abgeliefert. Warum? Die Zahlen, Daten, Fakten haben sich nicht geändert. Aber die Gefühlslage: Ein Kumpel lässt keinen Kumpel hängen. Sein Disziplinarvorgesetzter hat den Arbeitspaketverantwortlichen nie nach seiner Tochter gefragt …
Affektives Pacing & Leading
Wenn man einem Teammitglied verkünden muss, dass es das Wochenende dransetzen muss, kommt das nie gut an. Deshalb werden Wochenenden selten geopfert. Warum? Weil das Teammitglied natürlich sauer ist, wenn es dazu gezwungen wird. Frust und Zwang sind Emotionen. Warum sollte man damit nicht umgehen können? Ein guter Manager managt alles, was ihm vor die Füße kommt. Deshalb ordnet eine erfahrene Projektleiterin, die für einen Dienstleister arbeitet, keine Wochenendarbeit an. Sie setzt sich vielmehr mit dem "Kandidaten" auf einen Kaffee in die Kantine, hört sich seine Wochenendpläne an und seinen Frust darüber, "wie ich das jetzt meiner Familie klarmachen soll!"
Sie beschwichtigt nicht (das weckt Trotz!) und gibt keine Tipps, sondern etwas viel Einfacheres: Verständnis. Sie sagt: "Ja, ich wäre auch sauer, wenn das Wochenende futsch ist." Das nennt man Pacing: den anderen am Ort seiner Affekte abholen – anstatt Druck zu machen oder ihm etwas ausreden zu wollen. Dem Pacing folgt das Leading: Die Projektleiterin geht affektiv voran. Sie gibt dem Teammitglied das Gefühl, nicht allein zu sein und sie gibt ihm die Gewissheit der Unterstützung: "Wenn etwas sein sollte, rufen Sie mich auf dem Handy an – ich bin jederzeit für Sie erreichbar." Er ruft nicht an. Ihm reicht schon das Gefühl: Ich werde nicht alleingelassen. So einfach ist das?
Frage der Gewohnheit
Für hartgesottene Projektleiter ist es ein Horror, über Gefühle zu reden oder sie gar zu managen. Das liegt meist an einem Missverständnis, das unter anderem im Begleitcoaching ausgeräumt werden kann: Wir beginnen Teammeetings nicht wie üblich mit ZDF, sondern mit Fußball, Formel 1, dem Wetter oder dem letzten politischen Skandal. Nur fünf Minuten! Bei solchen Themen können Menschen gar nicht anders als über ihre Interessen, privaten Meinungen und Gefühle zu reden – und schon fühlen sie sich als Menschen wahrgenommen. Ein guter Anfang. Von da an kann es nur besser werden …
Emotional Leadership
1. 90% Zahlen, Daten, Fakten – 10% Affektlage.
2. Eigene Emotionen vorwurfsfrei ansprechen.
3. Den Gesprächspartner in seiner Gefühlslage abholen.
4. Pacing: Interesse und Verständnis zeigen.
5. Leading: Ihm die Gefühle vermitteln, die er jetzt braucht.
Cornelia Niklas
01.06.2014