Theorie kontra Praxis Wie offen lassen sich Projektrisiken kommunizieren?
Theorie kontra Praxis Wie offen lassen sich Projektrisiken kommunizieren?
Vor gut zehn Jahren begann der Aufstieg des formalen Risikomanagements als eigenständige Teildisziplin des Projektmanagements in der Software-Industrie.
"Formales Risikomanagement" heißt
- Vorgehen nach einem definierten Prozess und
- schriftliche Dokumentation der Ergebnisse.
Nach einem regelrechten Veröffentlichungs-Boom Ende der neunziger Jahre hat sich das Thema inzwischen in der Fachliteratur und in PM-Schulungen zu Recht einen festen Platz erobert. In der Praxis aber wenden Projektverantwortliche Techniken des formalen Risikomanagements auf Basis etablierter und dokumentierter Prozesse noch immer nicht konsequent an.
Als Grund wird oft eine risikoaverse Unternehmenskultur angeführt - eine Kultur also, in der die Akteure Risiken gerne totschweigen. Sie findet sich vor allem in den so genannten Macher-Kulturen, die jedes Problem unreflektiert in eine - zumindest rhetorische - Herausforderung verwandeln (Tom DeMarco, 2003). In diesen Kulturen befürchten die Handlungsträger, dass sie negative Suggestivkräfte freisetzen, wenn sie sich mit Risiken beschäftigen.
Kommunikationsaspekt wenig beachtet
Interessanterweise blieb der Kommunikationsaspekt von Risiken, der von der Unternehmenskultur stark beeinflusst wird, bisher weitgehend unbeachtet. Die geeignete Form der Risikokommunikation hängt aber nicht nur von der Risikokultur ab, sondern vor allem von den unterschiedlichen - häufig verdeckten - Interessen der Projektbeteiligten und -betroffenen (Stakeholder).
Die Beantwortung der Frage, wem wie und welche identifizierten Risiken kommuniziert werden, birgt politische Brisanz. Ist es wirklich sinnvoll, alle Risiken vor Projektbeginn offen zu kommunizieren? Die vertrauensvolle Kommunikation zwischen den Beteiligten, Voraussetzung für Risikomanagement-Prozesse, ist in der Realität nicht oder nur in seltenen Konstellationen anzutreffen.
Die einschlägige Fachliteratur sowie PM-Trainer in Schulungen setzen meist implizit oder explizit voraus, dass sich Risiken offen kommunizieren lassen. Diese Annahme hält der Realität nicht stand - auch wenn es wünschenswert wäre.
Der folgende Abschnitt rekapituliert zunächst kurz die elementaren Prinzipien des Risikomanagements. Zur Illustration, wie Risiken in der Projektrealität kommuniziert werden, dient ein Softwareentwicklungsprojekt als Beispiel. Auf Basis der fiktiven Projektsituation werden beispielhaft einige Risiken abgeleitet und auf ihre Kommunikationsaspekte hin untersucht.
Die Prinzipien des Risikomanagement-Prozesses
Unter einem Risiko versteht man ein unsicheres Ereignis in der Zukunft, das - wenn es eintritt - die gesetzten Ziele negativ beeinflusst. Eine bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeit und eine Schadensfolge bei Eintritt charakterisieren es. Ein Beispiel: Kernkraftspezialisten ordnen dem Risiko eines Kraftwerksunfalls eine sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit und eine immens hohe Schadensfolge zu.
Formales Risikomanagement erfordert, dass die Verantwortlichen dessen Ergebnisse und Prozesse schriftlich fixieren. Diese Dokumentation gilt nicht nur als Nachweis dafür, dass Risikomanagement betrieben wird. Sie übt gleichzeitig einen heilsamen Zwang zugunsten eines bewussten Umgangs mit Risiken aus (Williams, Walker, Dorofee, 1997).