Das Pareto-Prinzip ist Quatsch
Das Pareto-Prinzip ist Quatsch
Jeder Projektleiter kennt die Anwendung des Pareto-Prinzips (siehe Glossareintrag zum Pareto-Prinzip) für die Aufwandsschätzung: Mit 20% des Aufwands erreicht man 80% des Ergebnisses. Eine andere Faustregel besagt, dass 80% der Projektaufwände für Kommunikation und 20% für Methodik und Fakten veranschlagt werden sollten. Kombiniert man diese beiden, droht ein folgenreiches Missverständnis: Der Projektleiter konzentriert sich auf Methodik und Fakten – denn die "bringen das Projekt voran". Die Kommunikation delegiert er an das PMO oder den Projektassistenten.
Dieses Missverständnis ist der Grund, warum Projektkommunikation selten strategisch geplant wird, bestenfalls vom PMO (Projekt Management Office, gerne verwechselt mit einer Projektassistenz und Hilfstätigkeiten für den Projektleiter) nebenbei miterledigt wird. Es kommt ja auf die 20% an, also die Methodik und die Fakten. Die paar Newsletter zum Projektverlauf kann das PMO mal schnell schreiben. Das muss in keinem Projekt extra eingeplant werden, das gibt das Budget auch sowieso nicht her.
Nur: Was passiert, wenn
- ein Projektleiter die Kommunikation vernachlässigt oder gar einstellt?
- im Projektnewsletter vom PMO eine ganz andere Story steht, als das, was die Kollegen in der Kaffeeküche über das Projekt so erzählen?
- Anwender, denen das Ergebnis eines IT-Projekts zu Gute kommen soll, den Nutzen von sich aus nicht verstehen und eine ganz eigene Meinung zu Sinn und Zweck des Projekts entwickeln?
Kommunikation verläuft dynamisch
Wenn Ihnen spontan auch nur zu einer der drei Fragen Antworten und Beispiele in den Sinn kommen, haben Sie wahrscheinlich schon mal ein Projekt erlebt, dass die Kommunikationsdynamik unterschätzt hat, die rund um ein Projekt entstehen kann.
Zum Beispiel Peter, IT-Projektleiter eines mittelständischen Industrie-Unternehmens. Er ist verantwortlich für ein Digitalisierungsprojekt, das den Arbeitsplatz der Mitarbeiter betrifft. Seine Aufgabe ist – fachlich, also aus IT-Sicht betrachtet – nicht sehr komplex: Die Arbeitsplätze der Mitarbeiter mit neuer Hard- und Software auszustatten, die die Zusammenarbeit und den Austausch von Informationen untereinander viel komfortabler macht.
Nebenbei schließt die neue IT-Ausstattung einige Sicherheitslücken und ermöglicht eine effizientere Verwaltung der Arbeitsplätze. Soweit, so einfach. Projektziel- und Umfang sind klar, die Rahmenbedingungen sind gesetzt, die Geschäftsleitung ist damit zufrieden und Peter konzentriert sich die folgenden drei Monate auf nichts anderes als dieses Projekt.
Anschließend steht die neue Ausstattung für die Mitarbeiter, es ist alles geplant und getestet. Peters Teamkollegen besitzen einen Plan, wann sie die Arbeitsplätze der Kollegen im Unternehmen umstellen und wie sie dabei verfahren. Jedes technische Detail ist sauber analysiert und die Ausstattung der Arbeitsplätze nach objektiven Kriterien ausgewählt.
Gefahr erkannt!?
Nun ist Peter nicht der einzige im Unternehmen, der sich mit der IT-Ausstattung beschäftigt: Die Statistik-Abteilung kümmert sich schon seit Jahren selbst um ihre – geduldet von der Geschäftsleitung und misstrauisch beäugt von der zentralen IT-Abteilung, zu der auch Peter gehört. Die Gründe dafür liegen weit zurück, verborgen in der Unternehmenshistorie, versteckt von mehreren Reorganisations-Projekten und früheren kurzfristigen Entscheidungen aufgrund drängender, operativer Probleme. Im Laufe der Jahre ist die Statistik-Abteilung so etwas wie ein eigenes kleines Unternehmen im Unternehmen geworden, das sich nahezu ungehindert entfalten konnte, solange es die Daten lieferte, die allseits verlangt wurden.
Peter weiß eigentlich, dass es da ein paar Kollegen gibt, die eine ganz eigene Meinung zur Ausstattung ihrer Arbeitsplätze haben. Welche Auswirkungen das auf sein Projekt hat? Keine, denkt er. Schließlich sind die Kollegen nicht Teil seines Projekts und es ist auch nicht ihre Aufgabe, sich über die Digitalisierung im Unternehmen Gedanken zu machen. Peter hält sich an die Fakten – sollen die anderen doch reden. Und das tun sie auch. Nicht nur untereinander, sie teilen ihre Gedanken mit Kollegen anderer Abteilungen und erläutern ihre persönliche Meinung zu Peters Projekt jederzeit gerne.
Dann passiert etwas Merkwürdiges in Peters Projekt. Just als er soweit ist, die neuen Arbeitsplätze für die ersten Abteilungen vorzubereiten und die Umstellung mit den Abteilungen zu planen, bombardieren ihn mehrere Abteilungen mit unglaublich vielen Fragen. Nahezu jeder Kollege hat auf einmal eine andere Meinung, Sonderwünsche oder erhebliche Vorbehalte gegen die neue Arbeitsplatz-Ausstattung. Termine werden abgesagt und Vorgesetzte eingeschaltet, weil es auf einmal Zweifel an dem gibt, was Peters Projektteam für alle Mitarbeiter geplant hatte.
Die Kommunikation sucht sich andere Kanäle
Peter versteht die Welt nicht mehr. Im Projekt war alles glatt gelaufen, sein Projektauftraggeber, die Geschäftsleitung, war mit allem einverstanden gewesen und er hatte immer Zustimmung zu seinen Ergebnissen erhalten. Warum ist jetzt auf einmal jeder gegen ihn? So erscheint es ihm zumindest.
Nachfragen in Gesprächen in der Kaffeeküche, den Raucherecken und in der Kantine fördern zu Tage, dass die Kollegen schon seit Wochen intensiv über ihre neuen Arbeitsplätze diskutieren. Gerade die Kollegen aus der Statistik-Abteilung hatten eine ganz andere Vorstellung darüber, wie diese Arbeitsplätze konzipiert sein sollten und hatten das anderen Kollegen ausführlich erklärt. Nur mit Peter hatten sie nicht gesprochen. Der hatte keine Zeit und interessierte sich nur für seine Fakten.
Peter und sein Team hatten mit Hochdruck an dem Projekt gearbeitet. Doch das Ergebnis wollte nun scheinbar niemand mehr haben. Warum? Weil Peter übersehen hatte, dass 80% der Kommunikation seines Projekts außerhalb seines Einflussbereichs geschehen waren. Das Pareto-Prinzip funktioniert nur, wenn man sich auf die für das Projekt erfolgskritischen Dinge konzentriert. Peter hat diese falsch identifiziert und mit der Kommunikation den entscheidenden Erfolgsfaktor vernachlässigt.
Sich auf das Pareto-Prinzip als Planungsmethode zu verlassen, birgt also gewisse Risiken, methodisch betrachtet ist es sogar Quatsch, denn es handelt sich um ein Prinzip, das erst in der Nachbetrachtung enthüllt, welche 20% der Ursachen zu 80% des Erfolgs geführt haben. Nach meiner Erfahrung, ist bei den Ursachen des Projekterfolgs die Kommunikation immer eine der wichtigsten.
Dr. Johann Stiebellehner
09.06.2017
Tassilo Kubitz
09.06.2017
Uwe Mateja
12.06.2017
HANS TAEUBLER
09.06.2017
Volker Wendeler
10.06.2017
Jochen Körner
11.07.2017