Kleine Taten statt großer Worte: So gelingt das Change-Projekt

Die öffentliche Hand setzt reihenweise große Bauprojekte in den Sand, deutsche Unternehmen verlieren in den USA Milliarden im Abgasskandal, millionenschwere Beschaffungsprojekte der Bundeswehr verspäten sich, viele Unternehmen scheitern an der digitalen Transformation – und plötzlich reden wieder alle vom Change Management: Könnte eine andere Unternehmenskultur, mit anderen Prozessabläufen und Entscheidungsstrukturen, solche Großschadenslagen verhindern?

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Kleine Taten statt großer Worte: So gelingt das Change-Projekt

Die öffentliche Hand setzt reihenweise große Bauprojekte in den Sand, deutsche Unternehmen verlieren in den USA Milliarden im Abgasskandal, millionenschwere Beschaffungsprojekte der Bundeswehr verspäten sich, viele Unternehmen scheitern an der digitalen Transformation – und plötzlich reden wieder alle vom Change Management: Könnte eine andere Unternehmenskultur, mit anderen Prozessabläufen und Entscheidungsstrukturen, solche Großschadenslagen verhindern?

Der ganz große Wandel – wird angekündigt

Turnaround, neue Unternehmens- oder Fehlerkultur, Re-Organisation, Kulturwandel, Digitalisierung … Die meisten Großprojekte des Wandels werden mit großen Worten angekündigt – und scheitern mehrheitlich. Den wenigsten ist bewusst, dass die vollmundigen Ankündigungen dieses Scheitern befördern. Anstatt den Wandel mit hehren Worten anzukündigen, sollten Geschäftsleitungen lieber

  • sich mit den informellen Prozessen in ihrem Unternehmen beschäftigten,
  • die inoffiziellen Leader in den Abteilungen für ihr Vorhaben gewinnen,
  • dem informellen Informationsfluss bis an seine Quellen folgen,
  • die informellen Netzwerke aktivieren statt ignorieren,
  • die äußerst effektiven Machtstrukturen des kleinen Dienstwegs nutzen.

Der Wandel folgt einer simplen Regel: Die informelle Organisation besiegelt das Schicksal der offiziellen. Weil sie die älteren Rechte, die höhere Verbindlichkeit und die größere Effektivität besitzt. Jeder, der sich die Mühe macht, sein Ohr an diese informelle Organisation zu legen, kriegt das auch mit, wenn der Flurfunk zum Beispiel funkt: "Wir haben Kaizen, TQM und die Balanced Scorecard ausgesessen – dieses neue Change-Projekt sitzen wir auch noch aus!“

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Es gibt keinen Kulturwandel in einem Jahr

Niemand kann in einem Jahr eine 50-, 80-, 140-jährige Firmenkultur ändern – auch wenn das manche Berater versprechen: "In diesem Jahr krempeln wir den ganzen Laden um!" Kein Vorwurf: Auch Berater brauchen Aufträge und werden oft nicht an den eigenen Versprechungen gemessen. Weitaus glaubwürdiger sind jedoch Prozessbegleiter, die einräumen: "Unter drei Jahren passiert gar nichts mit Ihrer Firmenkultur!" Realistisch sind fünf bis sieben Jahren. Eben weil die informelle Struktur das Tempo determiniert. Ein Vorstand kann lange predigen "Wir haben jetzt ein neues Value Statement!". Wenn die Meinungsführer in den Abteilungen mehrheitlich sagen: "Lebt das erst mal vor – wir beurteilen danach, ob ihr das auch ernst meint!", dann scheitert der Wertewandel.

So gesehen sind informelle Leader mächtiger als jeder Vorstand. Diese Leader könnten einfach identifiziert und einbezogen werden: Man müsste lediglich aufmerksam beobachten, auf wen in Meetings (nach dem offiziellen Verantwortlichen) die Teilnehmer hören, an wem sie sich orientieren, wohin die Blicke gehen, wenn der offizielle Vorgesetzte spricht. Zeigt der Daumen des informellen Leaders nach unten, scheitert das, was der formelle Vorgesetzte für den Wandel vorgibt. Ist das eine Revolte?

Die wahren Herrscher der Firma

Die informell Mächtigen zetteln im Regelfall keine Revolte gegen das Management an, sondern folgen lediglich der Logik der informellen Netzwerke. Wie mir eine Abteilungsleiterin in einem Industrieunternehmen gestand: "Wenn ich Maßnahme X des aktuellen Change-Projekts realisiere, dann sieht der Kollege von der Nachbarabteilung aber alt aus. Das kann ich ihm nicht antun! Wir arbeiten seit 20 Jahren zusammen!" Also lässt sie die Maßnahme "auf der hinteren Herdplatte" laufen.

Der Vorgesetzte der Nachbarabteilung wiederum hat keine Lust, für das laufende Projekt die Karten auf den Tisch zu legen. Denn nach der offiziellen "Rennliste" der Abteilungen liegt er derzeit auf einem hervorragenden 4. Platz, der nur deshalb zustande kommt, weil er seine Effizienz overreportet. Er ist nicht am Change interessiert, sondern an seiner Position auf der Rennliste.

Selbstsabotage der Geschäftsleitung

Viele TopmanagerInnen vermuten, dass die Basis sie bei Change-Projekten sabotiert. Das ist eher selten. Häufiger sabotiert das Topmanagement sich selbst. Ein Kollege des erwähnten Abteilungsleiters legte im Zuge des Change-Projekts tatsächlich die Missstände in seiner Abteilung offen auf den Tisch. Der Geschäftsführer quittierte diese für den Change absolut notwendige Transparenz mit: "Sie haben ja Ihren Laden überhaupt nicht im Griff! Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm ist!" Noch bevor der für seine Ehrlichkeit bestrafte Abteilungsleiter die Besprechung verlassen hatte, hatte sich die Verbal-Watsche herumgesprochen. Seither lügen und tricksen wieder alle wie ehedem. Das Change-Projekt scheiterte.

Erfolgreich im Change

Landläufig gehen wir immer noch davon aus, dass 80% aller Change-Projekte scheitern oder underperformen. Das heißt aber auch: Gut 20% sind erfolgreich. Wer ist erfolgreich? Es sind jene Managerinnen und Manager,

  • die nicht nur horizontal "unter Kollegen", sondern auch vertikal mit "der Basis" und vor allem mit den informellen Meinungsführern gut vernetzt sind,
  • die vielleicht nicht in intensivem, aber regelmäßigem Kontakt mit den informell Mächtigen stehen,
  • die belastbare Beziehungen zu ihnen pflegen,
  • die das Konto der gegenseitigen informellen Verpflichtungen sauber führen,
  • die die informellen Informationskanäle und Netzwerke virtuos bespielen.

Man erkennt solche Führungskräfte an beiläufigen Äußerungen wie: "Wenn etwas besonders schnell im Betrieb herumgehen soll, spreche ich mit der Meier oder dem Schmitz – die sind super vernetzt." Oder: "Wenn ich unsere Cracks von der Entwicklung überzeugen kann, folgt der ganze Betrieb, weil die Hälfte der Belegschaft Techniker oder Ingenieure sind!"

Offenheit zahlt sich aus

Erfolgreich sind auch jene formellen Führungskräfte, die ein offenes Wort vertragen. Allein der Begriff "Wandel" impliziert, dass sich etwas weniger Gutes in etwas Besseres verwandelt. Also muss man zu Beginn über das weniger Gute sprechen. Offen. Ohne "Kill the Messenger" zu spielen – was viele formelle Führungskräfte nicht schaffen. Sie maßregeln jene, die ihnen verraten, wie schlimm es wirklich um den Status Quo bestellt ist. Danach ist der Wandel erledigt.

Zurückhaltung ist eine Tugend

Erfolgreich sind jene Führungskräfte, die nicht die große Welle machen, nicht die imposante Ankündigung des bevorstehenden Wandels verbreiten, sondern sich jede Ankündigungsopulenz verkneifen und dafür viele kleine Schritte machen. Denn je größer die Ankündigung des Wandels, desto größer werden Erwartungsdruck, Schwellen-, Statusverlust- und Versagensangst auf Seiten jener, die den Wandel eigentlich bewältigen sollten.

Erfolgreicher als der große Wandel sind kleine Pilotprojekte. Weil sie klein sind und gut ausgewählt, sind sie praktisch unter Garantie erfolgreich und überzeugen so die große Mehrheit der Belegschaft: Ankündigungen überzeugen nicht, erste kleine Erfolge schon.

Die Strategie der Erfolgreichen ist simpel: Klappe halten und kleine Schritte machen. Wandel kann so einfach sein.

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Alle Kommentare (2)

Yuro
Olivier

Vielen Dank für diesen Beitrag! Ich kann (leider) viele dieser Erkenntnisse teilen, grade was "Selbstsabotage der Geschäftsleitung" und die falsche Erwartung angeht, dass man die letzten Jahrzehnte "mal eben" innerhalb eines halben Jahres oder Jahres ändert. Das Gute ist, ich kann auch die Erfolge bestätigen: "Klappe halten und kleine Schritte machen" funktioniert. Meist Schreiben sich dann zwar Andere den Erfolg auf die Fahne, aber dann gilt "Klappe halten und die nächsten Schritte machen" und der Wandel geht voran.

 

Yuro
Olivier

Vielen Dank für diesen Beitrag! Ich kann (leider) viele dieser Erkenntnisse teilen, grade was "Selbstsabotage der Geschäftsleitung" und die falsche Erwartung angeht, dass man die letzten Jahrzehnte "mal eben" innerhalb eines halben Jahres oder Jahres ändert. Das Gute ist, ich kann auch die Erfolge bestätigen: "Klappe halten und kleine Schritte machen" funktioniert. Meist Schreiben sich dann zwar Andere den Erfolg auf die Fahne, aber dann gilt "Klappe halten und die nächsten Schritte machen" und der Wandel geht voran.