Mehr Erfolg mit situativem Projektmanagement
Mehr Erfolg mit situativem Projektmanagement
Seit langem bin ich leidenschaftlicher Blogleser beim Projekt Magazin, und ganz besonders hat mich ein Beitrag von Dr. Andreas Tremel zu dem Thema angesprochen: "Best Practices – oder: Der unstillbare Wunsch nach Schema F". Wie Dr. Tremel bin nun auch ich der Meinung, dass es dieses Konzept im Projektmanagement aufgrund der Natur von Projekten als einmalige Unterfangen nicht geben kann. Da ich hierzu selbst in den letzten Jahren einiges an Forschung betrieben habe, möchte ich zu dem Thema etwas aus meiner Sicht beitragen.
Kurz zur Erläuterung: Unter dem Begriff "Best Practice" versteht man meiner Erfahrung nach eine Methode, die allen Alternativen gegenüber als überlegen angesehen wird. Dies deshalb, weil man der Ansicht ist, mit ihr die besten Ergebnisse erzielen zu können, oder weil sie mit der Zeit zum Standard geworden ist – ungeachtet dessen, wie angemessen sie einer bestimmten Situation wirklich ist.
Gibt es Best Practices?
Meine Ausführungen basieren auf Daten, die ich im Rahmen einer Forschungsarbeit zwischen April und August 2015 gesammelt habe. In diesem Rahmen habe ich u.a. 189 Projektmanager aus aller Welt gefragt: "Gibt es Best Practices?" Das Ergebnis: Fast zwei Drittel der Befragten glaubten an die Existenz von Best Practices im Projektmanagement. Weniger als ein Viertel hat das Konzept als solches für diese Disziplin abgelehnt. Die beiden kleineren Gruppen, die sich keiner Meinung direkt angeschlossen haben, haben in zusätzlichen Kommentaren erkennen lassen, dass sie es im Prinzip eher befürworten. (siehe auch Bild 1)
Skeptisches Europa
Es scheint also durchaus viele Menschen zu geben, die sich auf bewährte Methoden im Projektmanagement verlassen (möchten). Als nächstes interessierte mich, ob das Vertrauen in die Existenz von "Best Practices" in den verschiedenen Erdteilen unterschiedlich stark verbreitet ist. Tatsächlich zeigten sich deutliche kulturelle Unterschiede: Am skeptischsten sind wir Europäer (siehe Bild 2).
Zugegeben – der Gedanke an "Best Practices" im Projektmanagement ist verlockend. Die Mehrheit weltweit scheint daran zu glauben, auch weil viele das Konzept vehement vertreten. Man könnte sie als "Spin Doctors" bezeichnen: In einem Wahlkampf haben diese die Aufgabe, den Blick der Wähler auf die Stärken eines Kandidaten oder einer Kandidatin zu verengen, um von dessen oder deren Schwächen abzulenken. Beim Konkurrenten/der Konkurrentin sollen sie natürlich das Gegenteil bewirken. Da ein Wahlkampf ein "zeitlich temporäres Unterfangen, um ein einmaliges Ergebnis hervorzubringen" ist (nach PMBOK® Guide, 5. Ausgabe), ist er immer auch ein Projekt.
"One Size Fits all"?
Im Projektmanagement erzählen uns die Spin Doctors für Best Practices nun, wir müssten eine "Best Practice" erlernen und dann für alle Projekte in der Organisation anwenden. Über eine Projekttypologie verfügen sie nicht. Dabei gehören "Schema F"-Ansätze definitiv zu den häufigen Gründen, warum Projekte in Schwierigkeiten geraten. Immer wieder hört man so heute in Unternehmen Aussagen wie "Wir machen jetzt alle Projekte nach Methodik XYZ", oder "Unser PMO hat jetzt unser ganzes Projektmanagement auf agile Praktiken umgestellt."
Schnell stellt sich heraus, dass einige Projekte von solchen Standardisierungen profitieren – andere jedoch darunter leiden und zum Scheitern verdammt sind. Letzteres trifft auf die Mehrheit zu, unabhängig von der gewählten Methodik. Das ist der Preis der Einmaligkeit jedes Projekts, mit der sich viele Organisationen immer wieder schwertun.
Projektmanager machen also in ihrem Alltag immer wieder die Erfahrung, dass sich konkrete Projektsituationen sehr voneinander unterscheiden und spüren manchmal instinktiv, dass ein vorgegebener Ansatz nicht passen könnte. Daher empfehle ich, dem Konzept der unhinterfragten Übernahme bewährter Methoden den Ansatz von situativem Projektmanagement ("SitPM") entgegenzustellen (dessen Bedeutung scheint besonders in Europa erkannt zu werden, siehe Bild 2).
Situatives Projektmanagement ist lernbar
Wenn wir diesem Gedanken folgen und uns von Best Practices ein Stück weit distanzieren wollen, brauchen wir unbedingt eine Typologie und außerdem konkrete Hilfestellungen, welche Vorgehensweisen sich für welche Projekttypen empfehlen und was es dabei zu beachten gilt. Im Hinblick auf Projekttypologien ergeben sich aus meiner Sicht einige Möglichkeiten zur Einordnung. Folgende (unvollständige) Lite soll Ihnen einen Eindruck vermitteln:
- Kundenprojekte <-> interne Projekte
- Projekte mit langfristigem Planungshorizont <-> Projekte mit kurzfristigem Planungshorizont (agile Projekte)
- Mark-1-Projekte <-> Mark-n-Projekte
- Greenfield-Projekte <-> Brownfield-Projekte
- Silo-Projekte <-> eingebundene Projekte
- Projekte mit großen Auswirkungen <-> Projekte mit geringen Auswirkungen
Nach der Zuordnung eines Projekts zu einem Typus sollte ein Projektmanager in der Lage sein, jederzeit die nicht nur dazu, sondern auch zu konkreten, unterschiedlichen Situationen im Projekt am besten passenden Projektmanagement-Methoden zu wählen.
Die dafür notwendige situative Intelligenz lässt sich in kontinuierlicher Lernarbeit entwickeln, in Anlehnung unter anderem an Ansätze aus Theorien zur situativen Führung und nach deren Anpassung an die täglichen Gegebenheiten im Projektmanagement – und zusätzlich zur Theorie natürlich mit dem Sammeln von Erfahrung in der Praxis. Ein so geschulter Projektmanager verfügt über das Wissen und das Selbstvertrauen, um das angeblich Bewährte in Frage zu stellen, um mehr Projekten zum Erfolg zu verhelfen.
Dr. Georg Angermeier
11.03.2017
Oliver F. Lehmann, MSc, PMP
13.03.2017
Dr. Georg Angermeier
14.03.2017
Oliver Lehmann
16.03.2017
Dr. Georg Angermeier
19.03.2017