

Vielleicht kennen Sie den Spruch: "Aus dem Chaos sprach eine Stimme zu mir: 'Lächle und sei froh, denn es könnte schlimmer kommen.' Und ich lächelte und ich war froh und es kam schlimmer". Er bringt auf den Punkt, was viele im Arbeitsalltag erleben: Lessons learned geraten sofort wieder in Vergessenheit, Projektauftragsklärungen bleiben unvollständig, Absprachen werden nicht eingehalten, Meetings sind vergeudete Zeit, Projektbeteiligte, die Sie bisher als verlässlich kannten, verhalten sich plötzlich völlig anders, Lenkungsausschüsse haben keine Ahnung, worum es eigentlich geht, Schnittstellen vermehren sich, Ressourcen werden knapper, Unvorhergesehenes passiert täglich.
Sollten Sie den Anspruch haben, sich diesem Chaos zu stellen und Ihr Projekt hindurch zu steuern, gibt es zwei Wege: Sie tun das entweder "mit dem Kopf" mit Hilfe einer immer ausgefeilteren Methodik, Dokumentation und Kommunikation. Oder Sie tun das "mit dem Herz" mit Hilfe einer immer stärkeren Identifikation mit Ihrer Aufgabe, im Stile von "Das Projekt bin ich" (oder einer Mischung aus beidem). Beide Wege werden irgendwann versagen, weil sowohl das Chaos eines Tages unbeherrschbar werden wird, als auch Sie selber eines Tages an das Ende Ihrer Kräfte kommen werden.
In diesem Beitrag stelle ich Ihnen einen dritten Weg vor, wie Sie durch Entschleunigung und Intuition zu "genialen Abkürzungen" und damit zu souveränem Handeln bzw. Nicht-Handeln (zurück-)finden können! Außerdem erhalten Sie Antworten auf die Fragen, woher all das kommt und wieso es immer schlimmer statt besser werden wird.
In seiner Habilitationsschrift "Beschleunigung – Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne" aus dem Jahr 2005 erläutert der deutsche Soziologe und Politikwissenschaftler Prof. Hartmut Rosa, wie sozialer Wandel das Lebenstempo erhöht. Ein erhöhtes Lebenstempo forciert wiederum den technischen Fortschritt, was erneut zu einem sozialen Wandel führt, der das Lebenstempo weiter erhöht usw. Am Beispiel des sozialen Wandels im 19. Jahrhundert lässt sich dieser Zyklus gut verdeutlichen (siehe Kasten).
Das "Lebenstempo" ist bei Rosa bestimmt durch die Zahl der einzelnen "Handlungs-Episoden", die man pro Zeiteinheit durchführt. Nachfolgend verwende ich eine erweiterte Definition, die nicht nur die reinen Handlungen berücksichtigt, wie bei Rosa, sondern zusätzlich auch alle Zusammenhänge, die in meinem Denken und Fühlen auch dann präsent sind, wenn aktuell keine Handlung geschieht. Ich nenne das "Handlungszusammenhänge". Im Projektmanagement ist z.B. jede Schnittstelle, jedes Gremium, jeder Prozess, jedes Teil- und Unterprojekt etc. ein solcher eigenständiger Handlungszusammenhang. Steigt also z.B. die Anzahl der Schnittstellen, die ein Projektleiter gleichzeitig berücksichtigen muss, erhöht sich sein Lebenstempo.
Beispiel: Wie sozialer Wandel das Lebenstempo erhöht
Betrachtet man als Teilaspekt des sozialen Wandels im 19. Jahrhundert das Ideal "Bildung für alle", dann erhöhen dieses und die damit verbundene flächendeckende Schulpflicht das Lebenstempo für alle um die Handlungs-Episoden "Schule" und "Schulwege". Das wiederum forciert den technischen Fortschritt, da u.a. neue Eisenbahnstrecken gebaut werden, um auch den Kindern aus den Dörfern den Besuch der Gymnasien in der Stadt zu ermöglichen.
Durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes kommt es zu einem sozialen Wandel, nicht nur durch die Vielzahl neuer Berufe und Geschäftsmöglichkeiten, sondern auch durch völlig neue Besuchserwartungen, die das Lebenstempo selbst derjenigen erhöhen, die diese Besuche nicht machen wollen: Sie müssen ihren Freunden, Verwandten und Bekannten irgendwie kundtun, dass sie nicht kommen werden. Dadurch wird es sinnvoll, in Gestalt des Telefons den technischen Fortschritt ins eigene Leben zu integrieren – was diesen weiter vorantreibt …
Wie sieht der Zyklus der sozialen Beschleunigung ("Beschleunigungszyklus") für das Projektmanagement aus? Wie viele andere Techniken auch, ist Projektmanagement eine Reaktion auf ansteigendes Lebenstempo – und zwar das von Organisationen, die immer mehr und immer anspruchsvollere, einmalige Handlungszusammenhänge zu bewältigen haben. Als Folge der Einführung von Projektmanagement kommt es zu sozialem Wandel: dem neuen Neben- und Ineinander von Linien- und Projektorganisation.
Der soziale Wandel wiederum erhöht das Lebenstempo der Beschäftigten, weil sie immer beide Organisationsformen mit zu behandeln haben. Das führt wiederum erneut zu technischem Fortschritt – sei es in Form von Matrixorganisation, Multiprojektmanagement oder komplett projektorientierten Unternehmen. Was zu sozialem Wandel in Gestalt der immer unübersichtlicher werdenden Menge von Organisations- und Projektformen führt usw. …
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Christoph H.
07.09.2016
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Dipl.-Ing. Wolfgang Merten
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